Wird diese Mücke ein Elefant?

Wenn das nicht ‹Hot News› sind: «Rot-Grün plant den kollektiven Umbau der Stadt Zürich – private Innenhöfe, Dachterrassen und Vorgärten sollen für alle frei zugänglich werden», titelte die NZZ vom 26. November. «Hauseigentümer sollen ihre Grünräume für die Allgemeinheit öffnen. Dies sieht der neue kommunale Richtplan vor. Die Bürgerlichen sind entsetzt und sprechen von einem ‹Erziehungs- und Enteignungsplan›, heisst es im Lead. Bereits am darauffolgenden Tag legte die NZZ nach: Der Plan von öffentlich zugänglichen Innenhöfen, Dachterrassen und Vorgärten entpuppe sich als «heikel». Am letzten Samstag dann folgte der dritte Streich: «Acht Quadratmeter fürs Wohlbefinden? (…) «Ein bis ins Kleinste berechneter Richtwert soll in der Stadt Zürich den Pro-Kopf-Bedarf an Freiraum regulieren. Resultat ist, dass die Politik den Zugang zu privaten Innenhöfen und Terrassen erzwingen will.»

 

Als Journalistin fragt man sich angesichts einer solch geballten Ladung unweigerlich, welche Medienkonferenz man verpasst habe. Mir ging es nicht anders, obwohl mir die Sache mit den öffentlich zugänglichen Innenhöfen doch ziemlich bekannt vorkam. Also stieg ich ins Archiv, und siehe da: Der «neue» kommunale Richtplan, um den es hier geht, war vom 24. September bis am 29. November 2018 zur öffentlichen Mitwirkung aufgelegt und danach, wie üblich, überarbeitet worden. Mit Stadtratsbeschluss vom 24. Oktober 2019 wurde der «kommunale Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten» sodann zusammen mit dem «kommunalen Richtplan Verkehr» dem Gemeinderat «zur Beratung und Festsetzung überwiesen», wie an der Medienkonferenz des Stadtrats vom 6. November 2019 zu erfahren war (vgl. P.S. vom 8. November 2019). Seither beugt sich die BeKo RP SLÖBA/V (Besondere Kommission kommunale Richtpläne «Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen der Stadt Zürich/Verkehr») über die Vorlage, deren un-beratene Version man wie üblich via Gemeinderats-Website einsehen kann.

 

In der Geschäftsordnung des Gemeinderates findet sich unter Art.61bis, «Ausschluss der Öffentlichkeit», folgender Passus: «Die Sitzungen des Büros und der Kommissionen des Gemeinderats sind nicht öffentlich.» Im Art. 66, «Medienorientierung», heisst es: «Die Kommissionen können bei Vorliegen eines besonderen Interesses die Medien über ihre Beratungen orientieren. Die Kommission muss der Orientierung zustimmen.» Eine solche Orientierung aber fand jüngst nicht statt.

 

Dass die NZZ dennoch eine Kampagne zu einem Thema führt, das besagte «Besondere Kommission» bearbeitet, erstaunt, zumal im Artikel vom 26. November gleich mehrere der 17 Mitglieder dieser Kommission zitiert werden. Anscheinend gilt hier die bekannte Faustregel, «wo kein Kläger, da kein Richter»… Immerhin eines ist klar: Die Bürgerlichen haben zurzeit keine Mehrheit im Zürcher Gemeinderat und folglich auch nicht in der Kommission. Wenn Rot-Grün also im Rahmen der Behandlung des Richtplans tatsächlich zum Schluss käme, diesen als «Erziehungs- und Enteignungsplan» umzusetzen, inklusive «Acht Quadratmeter fürs Wohlbefinden» und ohne Rücksicht auf Verluste, dann hätten die Bürgerlichen das Nachsehen. Deshalb soll die Öffentlichkeit via NZZ offensichtlich so umfassend wie möglich über die angeblich abstrusen Pläne der Mehrheit in Kenntnis gesetzt werden.

 

Die NZZ hält fest, «die Kommission (…) will private Innenhöfe, Dachterrassen und andere Aussenräume, wenn immer möglich, öffentlich zugänglich machen». An der erwähnten Medienkonferenz vom November 2019 hiess es dazu lediglich, die Stadt wolle mit Privaten «zusammenarbeiten», damit künftig Innenhöfe oder allenfalls auch Dächer «vermehrt öffentlich zugänglich» gemacht werden könnten. Auch die rot-grüne Stadt Zürich kennt die Wörter «Privateigentum» und «Bestandesgarantie». Die NZZ schreibt weiter, dass «gemäss einem Richtwert für jeden Einwohner der Stadt acht Quadratmeter Grünfläche zur Verfügung stehen sollten». Weil die Bevölkerung in Zürich immer weiterwächst, werde der Platz knapp: «Es müssen also neue Aussenräume her, konkret rund eine Million Quadratmeter oder 140 Fussballfelder.» Das Ziel, dass «der Planungsrichtwert von 8 m2 multifunktionalem öffentlichem Freiraum für die Erholung pro Einwohnerin und Einwohner und 5 m2 pro Arbeitsplatz zur Verfügung stehen soll», ist allerdings bereits im regionalen Richtplan enthalten und von dort übernommen. Den regionalen Richtplan setzt der Regierungsrat fest – und der ist nicht als speziell linkes Gremium bekannt. Zu den «neuen Aussenräumen» ist in der Vorlage folgendes vermerkt: «Mit den im vorliegenden kommunalen Richtplan vorgesehenen Massnahmen kann trotz baulicher Verdichtung der Freiraum-Versorgungsgrad im städtischen Durchschnitt gehalten und gebietsweise auch verbessert werden. Insgesamt soll die Schaffung von rund 38 ha neuer Freiräume ermöglicht werden.» Rund 38 Hektaren, das sind 380 000 m2 – also schon etwas weniger als eine Million m2

 

Zugegeben, ich verstehe das Gstürm wegen des Grün- und Freiraums natürlich schon: In Zürich könnte man sich dermassen dumm und dämlich verdienen, wenn man auch noch den letzten Flecken Freifläche überbauen dürfte! Kein Wunder, macht die Lobby jener, die das gern tun möchten, einen Aufstand. Andererseits verstehe ich das Gstürm aber auch gar nicht: Acht Quadratmeter Freiraum pro BewohnerIn, das ist, mit Verlaub, ein Fliegenschiss! Jeder öffentliche Parkplatz in der Stadt Zürich weist eine Fläche von durchschnittlich zwölf Quadratmetern auf, also vier Quadratmeter mehr als der Zielwert – nicht der Ist-Wert! – an Freiraum pro Nase. Es gibt aktuell rund 70 000 öffentliche Parkplätze in der Stadt, die folglich eine Fläche von zirka 840 000 Quadratmetern belegen. Von wegen, in Zürich ist der Platz halt knapp!

 

Erinnern Sie sich an die Vorlage zur neuen Vermietungsverordnung? Damals hatten Bürgerliche und Linke je etwa gleich viele Sitze im Rat, und die Bürgerlichen machten in der Öffentlichkeit auf allen Kanälen Dampf, bis SP und Grüne den meisten Wünschen der FDP zustimmten. Kein Problem, Kompromisse sind schliesslich das Wesen unserer Demokratie? Nicht ganz: Auf Kompromisse, die im Rahmen der Kommissionsberatung, also geschützt vor den neugierigen Augen und allfälligen Beeinflussungsversuchen der Öffentlichkeit, gefunden werden, trifft das zu. Wenn allerdings all jene Zugang zu den Verhandlungen in der Kommission haben, die befürchten, ihren Partikularinteressen würde sonst womöglich zu wenig entsprochen, dann wird es unübersichtlich. Sollen wirklich jene das Sagen haben, die es am besten schaffen, in der Öffentlichkeit Wirbel zu machen? Oder doch eher jene, denen die Mehrheit der WählerInnen ihre Stimme gegeben hat?

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