Philipp Huber, Präsident von Pro Wind ZH, zeigt das Eignungsgebiet 12: Berg (Dägerlen), wobei allfällige Windräder hinter das Dorf Berg zu stehen kämen. (Bild: Nicole Soland)

«Wir stehen beim Ausbau der Erneuerbaren noch ganz am Anfang»

Zu den 20 Eignungsgebieten für Windenergie, die Baudirektor Martin Neukom vor den Sommerferien präsentierte, läuft noch bis Ende Oktober die Vernehmlassung. Die Windkraftgegner:innen machen seit Längerem lautstark auf sich aufmerksam, von den Befürworter:innen hingegen ist (noch) nicht viel zu hören. Was sie zurzeit beschäftigt, erklärt Philipp Huber, Präsident des Vereins Pro Wind ZH, im Gespräch mit Nicole Soland.

Aus den ursprünglich 52 Windpotenzialgebieten im Kanton Zürich sind unterdessen 20 potenzielle Eignungsgebiete geworden. Entsprechen diese Gebiete Ihren Erwartungen, oder hätten Sie sich mehr bzw. andere Gebiete gewünscht?

Philipp Huber: Zuerst einmal bin ich froh, dass wir jetzt von 20 Gebieten wissen, wie es dort weitergeht. Es ist eine sehr gute Auswahl, und es hat speziell interessante Gebiete darunter wie beispielsweise die Gebiete 3: Stammerberg, 12: Berg (Dägerlen), 26: Batzberg oder 33: Wädenswiler Berg. Alle haben ihre Vorteile, aber es gibt in allen auch wichtige Schutzkriterien zu beachten.

Keine weiteren Wünsche?

Sehr gut wäre auch das Gebiet 42: Pfannenstiel, doch dieses wurde vorerst zurückgestellt wegen möglicher Konflikte mit der Aviatik. Umgekehrt ist nebst dem Steckbrief zu den Gebieten ein weiteres Dokument aus den Vernehmlassungsunterlagen sehr hilfreich, jenes zu finanziellen Beteiligungsmöglichkeiten an Windenergieanlagen. Darin sind Instrumente und Handlungsempfehlungen zu den möglichen Bürgerbeteiligungen aufgelistet. Die Gemeinden haben zudem die Wahl, sich zusätzlich zu äussern, beispielsweise zu möglichen Varianten für den Einbezug der Gemeinden ins Richtplanverfahren. 

Die 20 Eignungsgebiete betreffen nur die grossen, hohen Windenergieanlagen: Wie stellt sich Ihr Verein eigentlich zu kleineren Windrädern, solchen für den ‹Hausgebrauch›?

Von billigen Kleinsträdern, die im Internet angeboten werden, halte ich gar nichts – davon lässt man besser die Finger. Es gibt aber seriöse Anbieter von kleinen bis 30 Meter hohen Windrädern, die durchaus interessant sind als Ergänzung einer dezentralen Stromerzeugung mittels Photovoltaik. Sie fallen in die Zuständigkeit der Gemeinden, die sie in ihren Bauzonen bewilligen können. Weil jedoch die ‹Ernte› exponenziell zunimmt, je höher ein Windrad ist, drohen sie, vergessen zu gehen, und die Gemeinden tun sich oft schwer mit der Bewilligung. Es erinnert mich an die Anfänge der Photovoltaik, wo es auch schwierig und zeitaufwändig war, erste Paneele bewilligt zu bekommen, während heute selbst Mieter:innen Balkonkraftwerke installieren dürfen. Einen wesentlichen Stromanteil für einen Bauernhof oder die Werkstatt eines Handwerksbetriebs jedenfalls können solche 30-Meter-Anlagen durchaus liefern, die bodennahen Windverhältnisse müssen aber standortspezifisch geklärt werden.

Morgen Samstag organisiert die Baudirektion des Kantons Zürich die letzte einer Reihe von Feedbackveranstaltungen zu den Eignungsgebieten, dieses Mal für die Menschen aus den Regionen Oberland und Pfannenstiel, wobei die Anmeldefrist bereits abgelaufen ist. An früheren Veranstaltungen konnte allerdings leicht der Eindruck entstehen, es gebe im Kanton Zürich niemanden, der für Windkraft ist – oder jedenfalls nicht für die hohen Windturbinen, für die es nach der Vernehmlassung Eignungsgebiete im Richtplan festzulegen gilt…

Wir beurteilen die Informationen des Kantons als sehr hilfreich für das Verständnis der Windenergie und der Pläne des Kantons. Leider wurde die sehr positive Mitwirkung der Bevölkerung an der Veranstaltung vom 24. August im Weinland an mehreren Tischen nicht wahrgenommen. Stattdessen brauchten einige Teilnehmer:innen die Zeit dafür, mit bekannten und schon mehrfach widerlegten Argumenten Stimmung gegen die Windenergie zu machen. Ich gehe davon aus, dass rund 70 Prozent der Teilnehmer:innen Windkraftgegner:innen waren, sie sind einfach besser organisiert und lassen sich besser mobilisieren. Einige bauschten Einzelaspekte und Ausnahmen auf und brauchten abenteuerliche Argumentationsketten, um zu ‹beweisen›, wieso die Energiewende generell und die Windenergie im speziellen nicht funktionieren sollen, was bloss dazu ‹dient›, Ängste zu schüren und vorgefasste Meinungen zu zementieren.

Dem entgegenzuwirken, dürfte für Ihren kleinen, erst im August 2023 gegründeten Verein (siehe auch P.S. vom 24. November 2023) nicht einfach sein.

Wir von Pro Wind ZH versuchen, unseren Beitrag mit Informationen zu leisten. Wir sind zurzeit daran, unsere Vernehmlassungsantwort zu erarbeiten, und wir führen zudem Gespräche mit verschiedenen Akteuer:innen, so auch im Bereich Naturschutz und Forstwirtschaft. Die meisten unserer Mitglieder haben technisch oder bezüglich Umsetzung der Energiewende sehr viel geleistet. So verfügen wir über eine grosse Glaubwürdigkeit und ein gutes Netzwerk, das bis in die Politik hineinreicht. Und wir würden uns wünschen, dass jene Parteien und Poliker:innen, die auf Bundes- und Kantonsebene die Energiestrategie beschlossen haben, selber und in Zusammenarbeit mit ihren Kolleg:innen auf Gemeindeebene die politische Arbeit und die Diskussion mit der Bevölkerung aufnehmen. Unser Ziel ist klar: Wir wollen zu guten Lösungen beitragen.

Konkret?

Der grosse Wert von Winterstrom, den Schweizer Windenergieanlagen zuverlässig liefern können, ist vielen nicht bewusst. Deshalb wäre es wichtig, möglichst bald erste konkrete Projekte an geeigneten Standorten zu realisieren und damit auch wichtiges Know-how aufbauen. Ein Schweizer Projekt hat weit höhere Standards und Qualitäten zum Schutz von Mensch und Natur als in andern Ländern mit viel mehr Platz. Je früher es in der Nähe Windräder in Betrieb zu besichtigen gibt, desto eher können sich die Menschen ein Bild davon machen, was uns tatsächlich erwartet, wenn wir die Vorgaben der Energiestrategie in konkrete Projekte umsetzen. Damit liesse sich der Nutzen für unsere Energieversorgung ebenso aufzeigen wie der Nutzen für unsere Natur, der dank geeigneter Aufwertungsmassnahmen erreicht wird.

Zur Erinnerung: Noch läuft die Vernehmlassung, und nur 20 Gebiete haben es geschafft, als Eignungsgebiet aufgenommen zu werden…

Verwunderlich ist es allerdings nicht, denn im Kanton Zürich sind zahlreiche Rahmenbedingungen einzuhalten. Wenn es darum geht, ein Moor zu schützen oder ein Grundwassergebiet, dann ist völlig klar, dass die Windkraft zurückstehen muss. Ich bedauere es aber, dass sechs der ursprünglich 52 Potenzialgebiete nicht zu Eignungsgebieten wurden, einzig wegen möglicher Aviatik-Konflikte. 15 weitere Gebiete sind aus demselben Grund auf Eis gelegt. An sich gut erschlossene und sehr geeignete Gebiete fallen einzig wegen technischer Systeme weg!

Welche technischen Systeme meinen Sie?

Hinter dem potenziellen Ausschlussgrund «technische Systeme» steckt die Tatsache, dass der Luftraum neu auch durch Windräder genutzt wird und dass die Radarsysteme für die Luftfahrt gestört werden können. Deshalb sind etwa Gebiete unter Anflugrouten gestrichen oder zurückgestellt worden. Damit wir uns recht verstehen: Weder ich selber noch unser Verein sind gegen den Flughafen Zürich oder gegen die Zivil- oder Militärflugfahrt, und selbstverständlich gehen die Sicherstellung des Flugbetriebs und die Sicherheit vor. Wir können zur Zeit auch nicht beurteilen, welche technischen Herausforderungen für die Flugüberwachung bestehen und welche Lösungsmöglichkeiten es gäbe. Doch technische Probleme müssen dort gelöst werden, wo sie anfallen. Sie sollten keine andere technische Entwicklung behindern.

Die Windkraft im Kanton Zürich steht sowieso noch in den Kinderschuhen, da ist es doch nicht so schlimm, sich fürs Erste mit dem zu begnügen, was in den 20 Gebieten möglich ist?

Das sehe ich anders: Im ursprünglichen Konzept, das der Baudirektor im Oktober 2023 vorstellte, war die Rede davon, dass die Windkraft dereinst 7 Prozent der Produktion von erneuerbarer Energie im Kanton Zürich ausmachen soll. Könnten in allen der damals präsentierten 46 Potenzialgebieten Windturbinen aufgestellt werden, wären es 12 Prozent. Mit den 20 Eignungsgebieten sind jedoch bloss 5,1 Prozent realistisch, und kommen alle 15 vorerst zurückgestellten Gebiete noch dazu, wären wir bei 8,2 Prozent. Weil damit zu rechnen ist, dass nicht alle Gebiete dann auch wirklich attraktive Projekte zulassen oder nicht mit der maximalen Anzahl der Windräder gebaut werden, sehe ich das 7-Prozent-Ziel sehr unrealistisch. Und gerade für gute und überzeugende erste Projekte wäre eine möglichst grosse Auswahl der geeignetsten Gebiete zu wünschen, nicht bereits ein grosser Wegfall einzig wegen Aviatik-Konflikten.

Letzte Woche wurde bekannt, dass Bundesrat Rösti das Neubauverbot von Atomkraftwerken kippen will, unter anderem mit der Begründung, es sei offen, ob der Ausbau der erneuerbaren Energien rasch genug erfolgen werde, um «die wegfallenden Kapazitäten und den steigenden Strombedarf rechtzeitig decken zu können», wie es in der Medienmitteilung heisst. Und Sie als Windkraftbefürworter bezweifeln, dass der 7-Prozent-Anteil der Windkraft im Kanton Zürich erreichbar ist?

Zum Ausbau der Erneuerbaren hat sich die Schweiz schon vor Jahren bekannt. Doch geschehen ist leider viel zu wenig. Jetzt müssen wir nicht nur endlich vorwärts machen mit der Windenergie, sondern auch mit der Photovoltaik, denn hier nutzen wir erst etwa fünf bis zehn Prozent des Potenzials. Wir müssten folglich etwa zehnmal mehr zubauen, um auf den vorgesehenen Anteil von 50 Prozent zu kommen – oder anders gesagt: Wir stehen beim Ausbau der Erneuerbaren noch ganz am Anfang. Zu sagen, es sei nicht sicher, ob wir das Ziel erreichen könnten, bevor wir uns überhaupt ernsthaft auf den Weg dorthin gemacht haben, ist unredlich. Es braucht keine neuen AKW, sondern endlich den längst beschlossenen Ausbau von Photovoltaik und Windkraft. Und betrachte ich die Diskussionen und Länge der Bewilligungsverfahren für einzelne lokale erneuerbare Projekte, dann viel Glück für AKW-Projekte.

Nebst der Stromversorgung sollen mithilfe von Sonne und Wind auch unsere Klimaziele erreicht werden: Sehen Sie diesbezüglich ebenfalls schwarz?

Nein, hier sehe ich eine grosse Chance für den Flughafen Zürich und die Swiss.

Ausgerechnet für den Flughafen und die Swiss?

Ich kenne viele Menschen, die sowohl von der Luftfahrt wie auch von Windrädern fasziniert sind, das geht gut zusammen. Jetzt zurück zu Ihrer Frage: Die wegen Aviatikkonflikten bisher wegfallenden 32 Windenergieanlagen würden den jährlichen Energieverbrauch und die CO2-Belastung von fünf Linienflugzeugen der Swiss kompensieren, was erstens 8 Prozent des Passagierverkehrs der Swiss und zweitens der Kerosinmenge für 1,4 der total 16,5 Millionen Passagiere entspricht. Die 49 möglichen Anlagen in den 15 vorerst zurückgestellten Gebieten würden den Energieverbrauch und die CO2-Belastung von weiteren acht Linienflugzeugen der Swiss kompensieren, was weiteren 13 Prozent des Passagierverkehrs der Swiss sowie der Kerosinmenge für nochmals 2,1 Millionen Passagiere entspricht. Zum Vergleich (Quelle: Swiss-Umweltbericht 2023): Die CO2-Kompensationsmassnahmen der Swiss im Jahr 2023 betrugen 2 Prozent des CO2-Ausstosses des Passagierverkehrs.

Der Flughafen und die Swiss würden besser in Windenergieanlagen in der Region investieren, als CO2-Zertifikate zu kaufen?

Der Luftverkehr ist sehr energieintensiv und die CO2-Reduktionen im Luftverkehr selber sind grundsätzlich viel schwieriger und damit auch teurer zu realisieren als Reduktionsmassnahmen am Boden. Wir anerkennen die Leistungen der Swiss und der Branche. Doch würden sie ihre Aviatiküberwachung umbauen oder sogar in Windenergieanlagen investieren, hätte nicht nur ihre Branche etwas davon, sondern es würde der ganzen Region etwas bringen, namentlich sauberen Strom und die Chance, die Klimaziele tatsächlich zu erreichen.

Wie stellen Sie sich das vor?

Im Gebiet Winterthur Land und Weinland beispielsweise leben rund 75 000 Einwohner:innen. Sie könnten sich mit Photovoltaik und Windenergie selbst versorgen, Wasserkraft würde es nur zum Ausgleichen brauchen. Mit «sich selbst versorgen» meine ich, dass neben dem Strom für Haushalte und Wärmepumpenheizungen auch der Strom für E-Autos, Arbeitsplätze und Schulen inbegriffen ist. Das haben wir von Pro Wind ZH durchgerechnet. Aber das funktioniert nur, wenn die Verantwortung für den Klimaschutz und für eine sichere Energieversorgung selber in die Hand genommen wird, wenn also Photovoltaik wie auch Windkraft aus der Region auch genutzt wird. Nur so gelingt die Energiewende.

Weitere Infos: pro-wind-zh.ch, zh.ch/windenergie