«Wir sollten es besser wissen»

 

Am 25. September wurde das neue Nachrichtendienstgesetz verabschiedet, am 28. September hat das «Bündnis gegen den Schnüffelstaat» das Referendum dagegen lanciert. Was SP-Kantonsrat Angelo Barrile von der Vorlage hält, erklärt er im Gespräch mit P.S.

 

Bei der Abstimmung über das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) war die Nationalratsfraktion der SP gespalten. Wie hätten Sie gestimmt?

Angelo Barrile: Ich hätte die NDG-Vorlage abgelehnt.

 

Weshalb?

Zum einen stehen mir die Gruppierungen, die das Referendum lanciert haben, politisch nahe: Zwar bin ich zu alt, um mich noch zu den Juso zählen zu können, doch ich bin GSoA-Mitglied. Zum anderen finde ich, dass die verstärkte Überwachung und insbesondere die Überwachung auf Vorrat, die das neue NDG ermöglicht, deutlich zu weit gehen: Wer noch nie negativ aufgefallen ist, soll nicht überwacht werden dürfen. In der Schweiz sollte das eigentlich klar sein.

 

Wie meinen Sie das?

Wir haben bereits schlechte Erfahrungen gemacht. Ich kann mich gut erinnern, wie ich als Jugendlicher die Fichenaffäre mitbekam. Damals fielen einige Leute aus allen Wolken, als sie von der Überwachung erfuhren – was wiederum mich erstaunte: Ich bin als Ausländer und Sohn eines Ex-Kommunisten in einem SVP-Dorf aufgewachsen, und mein Vater hat uns stets daran erinnert, dass es eine Akte über uns gebe. Einige der DorfbewohnerInnen, die jeweils Informationen über unsere Familie weiterzugeben pflegten, waren uns zudem bereits bekannt, bevor die Fichenaffäre losging; von anderen erfuhren wir erst danach, dass sie uns ebenfalls im Auge gehabt hatten. Entsprechend mahnte uns der Vater zur Vorsicht, wenn wir beispielsweise Flyer verteilen gingen: Das Ziel war stets, dass so wenig wie möglich auf unseren Fichen stehen sollte…

 

Laut den BefürworterInnen geht es beim NDG auch darum, dem Nachrichtendienst jene Mittel zur Verfügung zu stellen, die er braucht, um in Zeiten von Online-Foren, Chats und Facebook-Gruppen überhaupt noch seine Arbeit machen zu können.

Wer ermittelt, braucht moderne Instrumente, keine Frage. Doch im neuen NDG wird der Umgang mit Daten geregelt, die eben gerade nicht in Zusammenhang mit einer gesetzlich vorgesehenen Ermittlungstätigkeit stehen, sondern auf Vorrat gesammelt wurden. Und das ist problematisch, wie ein Blick in die USA oder nach Frankreich zeigt, wo dies bereits Realität ist: Schlimme Anschläge wie etwa jener gegen ‹Charlie Hebdo› lassen sich trotzdem nicht immer verhindern.

 

Und deshalb soll man gar nichts machen?

Nein, das habe ich damit nicht gemeint. Auf den ersten Blick leuchtet es ja durchaus ein, dass mehr Überwachung zu mehr Sicherheit führen müsste.

Bei genauerer Betrachtung müssen wir allerdings damit leben, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt. Zudem – und das ist für mich entscheidend – kann die gemäss neuem NDG mögliche Vorratsdatenspeicherung dazu führen, dass verfassungsmässig garantierte Rechte, ja Menschenrechte eingeschränkt werden.

 

Dann könnten wir aufs neue NDG also problemlos verzichten?

Nein, es enthält vernünftige Elemente, die auch aus Sicht der uns garantierten Rechte unproblematisch sind. Allerdings sollten wir uns für das ganze NDG-Paket, wie in der Schweiz üblich, genügend Zeit nehmen, es öffentlich diskutieren und dann demokratisch abstimmen.

 

Das können wir nun dank des Referendums; die SP unterstützt dieses allerdings nicht…

Es ist ja erst gestartet – und wir dürfen nicht vergessen, dass die SP eine sehr breit abgestützte Volkspartei mit zwei Flügeln ist. Auch in der SP herrscht nicht automatisch Einigkeit darüber, wie hoch die Sicherheit zu gewichten ist beziehungsweise wie schlimm man die Überwachung findet. Ich würde mich aber auf jeden Fall freuen, wenn meine Partei sich auch noch am Referendum beteiligte.

 

Regierungsrat Mario Fehr hat kürzlich den Kauf von sogenannten Staatstrojanern bewilligt, was einigen Wirbel auslöste. Wenn solche Praktiken jetzt schon möglich sind, kann es mit dem neuen NDG doch kaum mehr schlimmer werden.

Ob dieser Einsatz laut geltenden Gesetzen rechtmässig war, untersucht zurzeit die Justizkommission des Kantonsrats. Kantonsräte wie ich, die dieser Kommission nicht angehören, müssen sich ebenso wie alle andern BürgerInnen gedulden, bis die Untersuchung abgeschlossen ist. Vorher haben wir schlicht nicht genug Informationen, um diesen Fall beurteilen zu können. Fest steht allerdings auch, dass das geltende Gesetz niemandem einen Blankocheck für den Einsatz von Überwachungssoftware ausstellt, während die Bestimmungen im neuen NDG doch einiges weiter gefasst sind.

 

Die BefürworterInnen sagen, das neue NDG erlaube den ErmittlerInnen zwar mehr, dafür sei auch die Kontrolle besser: Glauben Sie daran?

Im Kantonsrat habe ich gute Erfahrungen mit der Kontrolltätigkeit von Aufsichtskommissionen gemacht. Zudem kann jedes Ratsmitglied diesen Kommissionen Hinweise geben, sich etwas genauer anzuschauen.

Ich habe das auch schon gemacht, und aufgrund der Rückmeldung der Kommission weiss ich, dass sie der Sache nachgegangen ist. Der Kommission, die das NDG kontrolliert, würde ich folglich prinzipiell vertrauen – obwohl sich der Widerspruch, dass die Aufsicht erst im Nachhinein kontrollieren kann, während die Überwachung neu schon präventiv möglich ist, natürlich nicht weg-kontrollieren lässt.

 

Wie schätzen Sie angesichts der bürgerlichen Mehrheit in Parlament wie Bevölkerung die Chancen des Referendums ein?

Die Bürgerlichen sind geschlossen für das neue NDG. Das heisst jedoch keineswegs, dass wir gleich aufgeben sollten, im Gegenteil: Als Minderheit müssen wir erst recht laut sein und gegen die präventive Überwachung kämpfen.

 

Als SP-Kantonsrat haben Sie Übung darin, in der Minderheit zu sein: Sind Sie dadurch besonders gut gerüstet fürs Amt des Nationalrats?

Mag sein (lacht). Dass es einfacher ist, wenn man bereits Parlamentserfahrung mitbringt, kann ich jedoch bestätigen: Als ich im Kantonsrat anfing, fand ich mich zwar rasch zurecht. Noch einfacher war es aber für jene neuen Mitglieder, die zuvor bereits in einem Gemeindeparlament politisiert hatten.

 

Wahlen 2015
Bis zu den Nationalratswahlen vom 18. Oktober stellen wir an dieser Stelle jede Woche Kandidierende vor, die dem Nationalrat noch nicht angehören. Wer zum Zug kommt und zu welchem aktuellen Thema er oder sie befragt wird, entscheidet die Redaktion. Es werden nur KandidatInnen mit intakten Wahlchancen berücksichtigt. Heute mit: Angelo Barrile (SP, Zürich) zum Thema neues Nachrichtendienstgesetz.

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