«Wir sind die Mehrheit. Und die kommt verdammt teuer»
Im Gespräch mit Simon Muster stellt Feministin Zita Küng die feministische Fakultät «fem!» vor, fordert mehr Mut in der AHV-Diskussion – und erzählt, wie sie in den 1980er-Jahren die Wahl von Christoph Blocher in den Ständerat verhinderte.
Zita Küng, darf ich unser Gespräch aufnehmen?
Klar, ich habe keine Geheimnisse. In den 1970er-Jahren hörten wir manchmal ein Knacken in unserer Leitung, wenn wir telefonierten. Da ahnten wir: Der Staatsschutz hörte mit, aber die Aufnahmequalität war schlecht. Wir haben dann die Wörter absichtlich überbetont, sodass die armen Staatsschützer unsere Gespräche auch mitschreiben konnten (lacht).
«Politisch ist K. bisher nicht in Erscheinung getreten.» Das steht in der ersten Fiche über Zita Küng, die die Staatsüberwachung über die damals 22-Jährige angelegt hat, als sie 1976 in eine WG in Bern zog. Später, nach ihrem Engagement in der Dritt-Welt-Solidaritätsbewegung und in der Organisation für die Sache der Frau (OFRA), landet sie sogar in der Extremistenkartei; einer Liste mit 200 Personen, die im Kriegsfall interniert werden sollten, weil sie als politisch besonders gefährlich galten. Küng war zwischen 1983 und 1987 Kantonsrätin für die Zürcher Partei POCH und die Gruppe «Frauen macht Politik!» und von 1990 bis 1996 eine der Leiterinnen des Stadtzürcher Gleichstellungsbüros. Heute arbeitet die 67-Jährige als Führungskräftecoach in Zürich.
Dieses Jahr findet der vierte Lehrgang der fem! statt. Aus welchen Überlegungen ist das Projekt 2017 angelaufen?
Die Idee stammt ursprünglich von Erika Bachfrau und Ortrud Elisa Gämlich Schmuki, die in den 1990er-Jahren das European Women’s College EWC absolvierten, ein zweijähriger, europaweiter feministischer Lehrgang. Sie waren der Meinung, dass wir aktuell etwas Ähnliches für die Schweiz aufziehen sollten: Ein niederschwelliges Bildungsangebot für alle Frauen, die sich ernsthaft und vertieft mit feministischen Fragestellungen auseinandersetzen wollen. Weil wir aber nicht unsere Generation ansprechen wollten, haben wir zwei Redaktorinnen der Zeitschrift ‹RosaRot› von der Universität Zürich beigezogen, in der jeweils die aktuelle Generation von Feministinnen vertreten sind. Die waren von der Idee begeistert und sind dem Verein beigetreten. Die erste Austragung war dann auch ein voller Erfolg: 26 Frauen haben den ersten Lehrgang 2017 abgeschlossen. Die Beziehungen, die zwischen den Absolventinnen des ersten Jahrgangs geschlossen wurden, halten zum Teil bis heute an.
Für nächstes Jahr bietet die fem! das erste Mal auch ein Programm in Deutschland an.
Genau, es gibt ein kombiniertes Angebot aus Veranstaltungen, die jeweils nur in der Schweiz oder in Deutschland stattfinden, und solchen, die wir gemeinsam durchführen. Etwa die Lernreise nach Katowice, wo wir uns über die Arbeit von Feministinnen vor Ort informieren wollen. Durch das Angebot in Deutschland haben die Teilnehmerinnen noch mehr Möglichkeiten zur Vernetzung.
Der letztjährige Jahrgang konnte wegen Corona teilweise nur online stattfinden. Wie hat sich das ausgewirkt?
Als der Bundesrat im März 2020 den Lockdown verhängte, haben wir einen wöchentlichen virtuellen feministischen Kaffeplausch organisiert, später einen virtuellen «Apero Riche», der bis diesen Juli weitergeführt wurde. Dort haben wir uns jeweils über konkrete Fragen ausgetauscht, die für die Teilnehmerinnen gerade wichtig waren. Viele politische Themen, die Frauen vor der Pandemie beschäftigten, sind in den letzten eineinhalb Jahren noch dringlicher geworden. In Krisensituationen verschärft sich die Lage jener, die nicht in der Hierarchie oben stehen. Dieser regelmässige Austausch und die Diskussionen zu konkreten feministischen Fragestellungen helfen dabei, nicht sprachlos zu werden und sich als Frau selbst zu verorten. Bildung ist so ein wichtiger Teil der Selbstermächtigung von Frauen.
Gleichzeitig leisten Sie auch Vernetzungsarbeit, schaffen Kontakte zwischen Frauen, die sich vorher nicht kannten. Ist die fem! auch eine Antwort auf die Männernetzwerke, in denen Machtpositionen von einem Mann zum nächsten weitergegeben werden?
Ich möchte mich gar nicht an den Männerbünden orientieren. Auf unserer letzten Bildungsreise nach Mailand haben wir uns mit den Feministinnen eines Frauenbuchladens über ihre 40jährigen Erfahrungen ausgetauscht. Sie vertreten das Konzept «Partire da-se», was so viel bedeutet wie «Von sich aus gehen». Der Grundgedanke dahinter ist, dass Frauen in dieser patriarchalen Welt keine Rechte geschenkt werden. Im Zentrum der feministischen Überlegung sollte demnach nicht eine Reaktion auf die patriarchalen Strukturen stehen, sondern die Frage, was das Begehren jeder Frau ist. Und dafür ist die Vernetzung zwischen Frauen auf allen Ebenen wichtig.
Sie haben zu Beginn betont, dass das Angebot niederschwellig ausgestaltet ist. Die Teilnahmegebühren von 1800 Franken für den Lehrgang sind allerdings relativ hoch.
Uns ist bewusst, dass die Motivation nicht vom Bankkonto abhängt. Deshalb führen wir mit jeder Teilnehmerin vor dem Lehrgang ein Gespräch, indem wir die finanzielle Situation besprechen. Wer finanziell gut dasteht, wird eingeladen, in einen Ausgleichstopf einzuzahlen, aus dem die Teilnehmerinnengebühren für finanziell schwächere Teilnehmerinnen gezahlt werden können. Jedes Jahr unterstützen sich Frauen so gegenseitig, was zu einem grossen Solidaritätsgefühl untereinander führt.
Sie haben einen kurvenreichen Werdegang: Zuerst als Aktivistin bei der sozialistisch-feministischen OFRA, dann als Politikerin im Zürcher Kantonsrat und heute als Coach für weibliche Führungskräfte. Wie erklären Sie sich das?
Meine Mutter hat mir von klein auf gesagt, dass ich immer fragen müsse, dann würde ich schon erfahren, was ich brauche. Ich habe schnell gemerkt, dass das für mich als Mädchen aus ärmsten Verhältnissen nicht stimmt: Ich sollte arbeiten und schweigen. Wäre 1968 nicht passiert, wüsste ich nicht, was aus mir geworden wäre. So habe ich mich aber in der autonomen Frauenbewegung politisiert, wobei ich auch dort immer mit Widersprüchen konfrontiert war: Als ArbeiterInnenkind hatte ich grosse Freude an der Oper, was die Kinder mit zum Teil gut situierten Eltern in der linken Bewegung nicht verstehen konnten. Das hat zu vielen Diskussionen geführt. Aber meine Klassenposition stand für mich nie zur Diskussion. Allerdings stelle ich fest, dass die Klassenfrage heute vernachlässigt wird. Dabei ist sie eng mit dem feministischen Kampf verbunden.
1987 kandidiert Zita Küng für den Ständerat. Ihre MitkonkurrentInnen: Monika Weber (Landesring der Unabhängigen), Rico Jagmetti (FDP) – und Christoph Blocher (SVP). Die SP verzichtete damals auf eine Kandidatur und unterstützte Küng und Weber gegen das selbsternannte «bürgerliche Team». «Da ich mir selbst mit meiner links-aussen Politik keine Chance auf eine Mehrheit erhoffen konnte, habe ich versucht, Monika Weber indirekt zu unterstützen.» Dies, indem Zita Küng öffentlich jeweils ein klare Linksaussenposition vertrat und so Weber das Spielfeld in der politischen Mitte überliess. Trotzdem erreichte Zita Küng im Kanton Zürich mehr als 50 000 Stimmen. Und weil kaum eine Person, die Küng auf ihren Zettel schrieb, auch Blocher wählte, verhinderte sie seinen Wahlsieg. Das sei einer ihrer grössten politischen Erfolge, sagt Küng – und ergänzt scherzend: «Als Blocher 2011 noch einmal antrat, dachte ich einen Moment, ich müsse auch wieder kandidieren.»
Ein Thema, das die Klassen- und Geschlechterfrage vereint, ist die Altersvorsorge. Frauen erhalten aus strukturellen Gründen deutlich weniger Rente. Trotzdem droht die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65, was einem Rentenabbau für Frauen gleichkommt. Wie gross wäre dieser Rückschlag?
Wenn das Rentenalter 64 fällt, haben wir ein grosses Problem. Das ungleiche Rentenalter war bisher ein Pfand, mit dem Frauen gleichen Lohn und die Besserstellung von Care-Arbeit mit Nachdruck einfordern konnten. Wenn dieses Pfand wegfällt, gibt es keinen Grund für bürgerliche PolitikerInnen mehr, diese Ungerechtigkeiten noch zu thematisieren. Dabei ist ja das Ziel, ein würdiges Leben im Alter für alle zu gewährleisten. Dieses ist heute aber nur einer kleinen Minderheit von gutverdienenden Männern vorenthalten. Wenn also ein System daran scheitert, sein Ziel für eine Mehrheit der Bevölkerung zu erfüllen, müssen wir das System ändern. Die Strukturen, in denen wir leben, sind nicht gottgegeben, sondern veränderbar. Wir müssen unser Rentensystem vermehrt am realen Leben entlang organisieren, nicht entlang der Finanzflüsse. Doch wenn es ein Thema gibt, über das das Parlament ungern ernsthaft spricht, dann sind es Frauen.
Wieso das?
Weil wir eine Mehrheit sind. Und weil es verdammt teuer kommt. Die Ökonomin Mascha Madörin hat mit der fem! drei zentrale Zahlen ausgewählt, die die ökonomische Dimension der Diskriminierung von Frauen verdeutlichen: 100 – 248 – Eins. 100 Milliarden Franken erhalten Frauen jährlich weniger an Einkommen als Männer, 248 Milliarden Franken pro Jahr ist die unbezahlte Care-Arbeit von Frauen wert, und eine Milliarde Stunden werden von Frauen allein für die unbezahlte Betreuungsarbeit von Kindern aufgewendet. Zusammengerechnet würde also die strukturelle Gleichstellung von Frauen jährlich mehr als die Budgets des Bundes, aller Kantone und aller Gemeinden kosten. Weil wir aber das System nicht auf einmal ändern können, müssen wir kleine Erfolge erzielen, wie es etwa mit der Einführung der Erziehungsgutschrift 1997 gelang. Diese fiktive Gutschrift für jedes Jahr, in dem Erziehungsberechtigte ein Kind unter 16 Jahren betreuen, wird zur AHV-Rente hinzugerechnet. Das war ein grosser politischer Wurf, weil sich so die AHV-Rente von Frauen verbesserte, die anstatt einer vollzeitigen Lohnarbeit der Erziehungsarbeit nachgehen. Allerdings wird auch diese Gutschrift immer noch ungerecht verteilt.
Wie denn das? Die Erziehungsgutschrift fliesst bei verheirateten Paaren je hälftig an Mann und Frau.
Ja, und wenn Männer dann mal 50 Prozent der Erziehungsarbeit übernehmen, wäre das auch gerecht. Die aktuellsten Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen aber, dass in rund 60 Prozent der Paarhaushalte die Hausarbeit hauptsächlich von der Frau erledigt wird; nur in sechs Prozent der Haushalte ist hauptsächlich der Mann zuständig. Bis sich das nicht ändert, könnten die Frauen zum Beispiel diese Gutschrift grösstenteils erhalten.
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