«Wir sind das Präsidium für alle»

Die Delegierten der SP Kanton Zürich haben am Montag entschieden: Priska Seiler Graf und Andreas Daurù bilden das neue Co-Präsidium. Wie sie das Amt interpretieren und was sie als erstes anpacken wollen, erklären die beiden im Gespräch mit Nicole Soland.
 
 
Sie sassen beide in der Findungskommission – nun sind Sie das neue Co-Präsidium: War der Job derart unbeliebt, dass Ihnen nichts anderes übrig blieb, als selbst einzuspringen?  
Andreas Daurù: Wir wurden nicht gerade mit Bewerbungen überrannt, das stimmt, aber es gab durchaus valable KandidatInnen. Leider mussten sich diese dann unter anderem aus beruflichen Gründen zurückziehen. Danach gelangten wir ziemlich bald an den Punkt, an dem wir uns ernsthaft fragen mussten, ob wir uns das Amt nicht doch vorstellen könnten. 
Priska Seiler Graf: Wie waren beide bereits im Vorfeld angegangen worden, ob das nicht ein Job für uns wäre. Da ich ja Mitglied in der Findungskommission war, zog ich das nicht ernsthaft in Betracht… 
Andreas Daurù: …ich ehrlich gesagt auch nicht… 
Priska Seiler Graf: Kommt hinzu, dass auch bei uns beiden ein Prozess stattgefunden hat: Je mehr wir uns bemühten, andere von einer Kandidatur zu überzeugen, desto stärker wurde uns bewusst, dass es uns trotz allem reizte, dieses Amt anzunehmen. 
Andreas Daurù: Ein bisschen bearbeitet wurden wir auch, das wollen wir nicht verschweigen… und zwar von verschiedenster Seite innerhalb der Partei. Ich bin bekanntlich im Februar überraschend vom Vize- ins Interimspräsidium gekommen, und die ersten zwei Wochen waren nicht gerade einfach. Mit der Zeit jedoch merkte ich, dass dieses Amt seinen Reiz hat – auch wenn Andrea Arezina und ich beide davon ausgingen, es nach dieser Übergangszeit weiterzugeben, und folglich keine grossen Stricke zerrissen.
 
 
Worin genau besteht denn dieser Reiz?
 
Andreas Daurù: Einerseits habe ich die gute Zusammenarbeit mit dem Sekretariat geschätzt, das übrigens zurzeit sehr gut aufgestellt ist und entsprechend professionell arbeitet. Andererseits reizt mich aber auch, mehr Mitverantwortung für die SP und deren Politik übernehmen zu können.
 
Priska Seiler Graf: Das war auch für mich ein wichtiger Punkt: Ein Sekretariat, das gut arbeitet, kann das Präsidium bei Bedarf entlasten. Zudem reizt es mich, die Zukunft der SP mitgestalten zu können.
 
 
Dennoch: Wonach hatte die Findungskommission eigentlich gesucht? 
Priska Seiler Graf: Uns schwebte erst jemand à la «elderly Statesman/woman» vor, der oder die aus jeder Warte innerhalb der Partei heraus vertrauenswürdig erscheint. Diese Personen zu finden, war nicht schwierig, doch leider sagten sie alle ab. Daraufhin entstand die Idee des Co-Präsidiums. Das gab es im Kanton Zürich bislang noch nicht, doch andernorts, beispielsweise in den Städten Zürich und Winterthur, funktioniert es sehr gut.
 
 
Dass Sie, Andreas Daurù, das Präsidium zusammen mit Andrea Arezina oder auch allein übernehmen könnten, stand nicht zur Diskussion?
 
Andreas Daurù: Für mich war es nie eine Option, das Präsidium allein zu übernehmen, und Andrea hatte ebenso von Anfang an klargestellt, dass sie nur Interims-Co-Präsidentin sein würde.
Priska Seiler Graf: Auch für mich kam nur ein Co-Präsidium infrage, nur schon vom Zeitaufwand her wäre ein Alleingang kaum zu verkraften.
 
Andreas Daurù: Zudem ist der Austauch nicht zu unterschätzen: Eine zweite Sicht auf die Dinge und die Möglichkeit, sich mit jemandem abzusprechen, sind an sich schon wertvoll. Natürlich können wir uns stets auch ans Sekretariat und die Geschäftsleitung wenden, aber gerade potenziell heikle Entscheide nicht allein treffen zu müssen, ist viel wert.
 
 
Der SP wird immer mal wieder vorgeworfen, sie bestehe aus lauter AkademikerInnen und sei nicht mehr für die kleinen Leute da. Der ‹Tages-Anzeiger› machte sich kürzlich allerdings andere Sorgen und fragte, wie es wohl der SP gehe, wenn «ein Psychiatriepfleger und eine Balletttänzerin» als Präsidium ran müssten…
 
Priska Seiler Graf: Balletttänzerin wäre ich gern geworden, doch es hat leider nicht gereicht (lacht). Ich bin Sek-Lehrerin und habe auch als Ballettlehrerin gearbeitet.
 
Andreas Daurù: Wir ergänzen uns ideal; ich bringe den gewerkschaftlichen Hintergrund und die Erfahrungen als Angestellter in der Pflege mit.
 
Priska Seiler Graf: Mit meiner Ausbildung zur Sek-Lehrerin bin ich auch nicht speziell akademisch unterwegs; mir war es immer wichtig, sozusagen auch mit Händen und Füssen tätig zu sein. Das hat sich bis anhin gut mit meinem Flair für die Theorie vertragen. Vor allem aber finde ich es unnötig, Menschen mit und ohne akademische Ausbildung gegeneinander auszuspielen. Die SP ist für alle da.
 
Andreas Daurù: ArbeiterInnen und gewerkschaftlich orientierte SPlerInnen haben einen genauso wichtigen Platz in der Politik und in der Partei wie AkademikerInnen. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass wir erstere nicht mehr vertreten. Kommt hinzu: Wer sollte es sonst tun, wenn nicht die SP? Die anderen Linken machen es jedenfalls nicht besser!
 
 
Wenn Sie beiden sich so gut ergänzen, haben Sie die folgende Frage für sich bestimmt schon beantwortet: Wer von Ihnen kümmert sich um Mario Fehr, wer um die Juso?
 
(Gelächter…) Andreas Daurù: Die Frage lautet eher, ob sich diese Frage überhaupt stellt. Weder Priska noch ich sind für bestimmte Gruppen innerhalb der Partei zuständig. Zudem haben wir gar keine unterschiedlichen Flügel in der Partei, sondern lediglich verschiedene Strömungen.
 
Priska Seiler Graf: Dem kann ich nur beipflichten. Wir sind das Präsidium für alle! Natürlich bin ich eher pragmatisch und Andi ist eher links, doch wir lassen uns beide in keine Schubladen stecken. Das ist im übrigen das, was mich nach 25 Jahren als SP-Mitglied immer noch fasziniert: die Breite und Vielfalt unserer Partei. Von meinem Hintergrund her – ich habe als Klotener Stadträtin das Ressort Sicherheit und bin als Nationalrätin Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission – sind mir sicherheitspolitische Themen näher, und damit natürlich auch unser Sicherheitsvorsteher Mario Fehr. Und übrigens: Wir waren auch schon froh um ihn; das geht in dieser Diskussion leicht vergessen.
 
Andreas Daurù: Wir treten gemeinsam auf, nicht als Zuständige für Mario Fehr bzw. für die Juso. Wenn man mit einer klaren Haltung in die Diskussionen geht, kann man alle Anliegen bereden. Die Vielfalt ist mir wichtig.
Wenn in der ‹Rundschau› des Schweizer Fernsehens verkündet wird, die Juso übernähmen die Partei, es gebe eine «Jusoifizierung», dann finde ich das plakativ und undifferenziert… Es gehört zu unseren Aufgaben, dass niemand die Partei ‹übernimmt›; da müssen wir uns wehren und zusammenhalten. Toleranz gegenüber dem, der nicht genau gleich ist wie wir, gehört bei uns einfach dazu. Als Exekutivmitglied hat man zudem eine andere Rolle als die Juso.
Doch es braucht die Juso. Sie sind zwar «der Stachel in unserem Füdli», wie es die Präsidentin der Juso Schweiz einmal ausgedrückt hat, und manchmal ärgern wir uns über sie, aber das soll so sein, das ist der Job der Jungen.
Priska Seiler Graf: Wenn sie uns vorwerfen, wir seien träge und verwalteten bloss noch die Ideale alter Zeiten, dann ist das in Ordnung und auch ihre Aufgabe. Nichtsdestotrotz gibt es eine rote Linie – und als die Juso Strafanzeige gegen Mario Fehr einreichten, haben sie diese definitiv überschritten. Andererseits sollten Exekutivmitglieder auch einsehen, dass die Partei nicht immer alles gut­heissen kann, was sie sagen und machen. Es gibt meistens einen Handlungsspielraum, und den kann man nun mal unterschiedlich auslegen und nutzen. Falls es Unstimmigkeiten gibt, suchen wir das Gespräch.
 
Andreas Daurù: Wir werden den regelmässigen Austausch mit beiden RegierungsrätInnen pflegen.
Priska Seiler Graf: An den politischen Leistungen unserer Regierungsmitglieder wird die Partei gemessen; entsprechend ist es wichtig, dass wir darüber im Bild sind, wie es ihnen läuft und wie sie ankommen.
 
 
Was ist Ihr erster Job als frisch gewähltes Co-Präsidium?
 
Andreas Daurù: Intern müssen wir die Zusammenarbeit organisieren, auch jene mit dem Sekretariat, aber der erste ‹richtige› Job sind die Kommunalwahlen 2018.
 
Priska Seiler Graf: Und danach folgen schon bald die Wahlen in den Kantons- und Nationalrat. Fürs Gelingen des Wahlkampfs ist es wichtig, mit einer gewissen Ruhe, Gelassenheit und vor allem Unaufgeregtheit ans Werk zu gehen.
 
 
Gilt letzteres auch, wenn Sie als Co-Präsidium mit Streit unter GenossInnen oder sonstigem Ärger konfrontiert werden?
 
Andreas Daurù: Es darf auch mal laut werden, das ist kein Problem, im Gegenteil. Das macht unsere Partei doch aus: Reibungsflächen sind genügend vorhanden.
 
Priska Seiler Graf: Streit ist normal – aber er sollte nicht hauptsächlich via Medien ausgetragen werden. Interne Diskussionen sollten intern bleiben. Dass es welche geben wird, versteht sich von selbst; wäre das nicht der Fall, müssten wir uns Sorgen machen.
 
 
Sie packen Ihre nächsten Aufgaben demnach mit einem guten Gefühl an?
 
Andreas Daurù: Die Partei ist sehr gut aufgestellt. Sekretariat und Geschäftsleitung haben bereits gute Vorarbeit geleistet und ein Projekt, das unsere Präsenz gerade auch in den Landgemeinden wieder stärken soll, ist bereits erfolgreich gestartet.
 
 
Wenn man die Leute nicht dazu überredet, stellt sich niemand für ein Amt zur Verfügung?
 
Priska Seiler Graf: Auf dem Land ist die Situation ziemlich anders als in den Städten. Im Bezirk Bülach beispielsweise ist es in den Parlamentsgemeinden kein Problem, die Listen zu füllen. Doch in den Gemeindeversammlungs-Gemeinden bedeutet die Wahl in den Gemeinderat, dass man aus dem Stand ein Exekutivamt übernehmen muss. Das stellt eine gewisse Hürde dar – zumal die Chancen, gewählt zu werden, bei uns im Zürcher Unterland nicht besonders gross sind. Hier ist SVP-Gebiet, und ansonsten werden vor allem Parteilose immer wieder auf Anhieb gewählt. Das SP-Logo auf dem Plakat ist hier eher hinderlich.
 
Andreas Daurù: Nichtsdestotrotz haben wir ein Reservoir von guten Leuten. Bei uns in Winterthur ist die Wählerschaft durchaus urban, und auch in grösseren Landgemeinden haben Linke gute Chancen. Aber der moralische und inhaltliche Support unserer Leute ist nötig, und einige muss man verständlicherweise auch ein, zweimal anstupsen, bis sie bereit sind, es zu versuchen. Es ist wichtig, gerade auch dort präsent zu sein, wo unsere Chancen besser sein könnten.
 
Priska Seiler Graf: Es kann nicht sein, dass die SP auf dem Land in keinem Gemeinderat vertreten ist. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass wir nicht einfach überall dieselben Rezepte anwenden können. Was in der Stadt gut funktioniert, fällt möglicherweise auf dem Land flach und umgekehrt.
 
 
Ob es bei den nächsten Wahlen eher rauf oder runter geht, kommt auf den Ort an?
Andreas Daurù: Grundsätzlich hat die Linke eher an Kraft gewonnen. Das Nein zur USR III war ein Signal, dass nicht alles möglich ist, was sich die Bürgerlichen wünschen: Dem Staat müssen die nötigen Gelder zur Verfügung gestellt werden, damit ein guter Service public und ein gerechter Sozialstaat möglich bleibt. Das lässt mich hoffen. Doch natürlich ist es mit dem Hoffen nicht getan; wir müssen auch handeln und Themen setzen.
 
Priska Seiler Graf: Die bereits ‹gesetzten› Themen wie Wohnen, Kinderbetreuung und Umwelt/Energie verfolgen wir weiter; wir möchten uns aber auch vermehrt um Wirtschaftsthemen kümmern. Vorerst nehmen wir zur Kenntnis, dass sich die bürgerliche Mehrheit in Bern als nicht so erfolgreich erwiesen hat, wie es gleich nach den Wahlen 2015 zu befürchten war. Ich glaube, dass es in der Schweiz nicht gut kommt, wenn man übertreibt, das zeigt uns nicht nur das Resultat der USR III-Abstimmung. Und das ist unsere Chance: Wir befinden uns im Aufwind und können das Tagesgeschäft aus unserer Warte zur Debatte stellen.
 
Andreas Daurù: Genau: Die Visionen und Ideale sind da…
 
Priska Seiler Graf: …sie lassen sich nur nicht so rasch verwirklichen.
 
Andreas Daurù: Im bürgerlich dominierten Kantonsrat etwa gestalten wir mittels Referenden mit und sind damit nahe an der Bevölkerung dran, auch wenn uns kein Erfolg beschieden ist. Viel wichtiger ist sowieso, dass wir nicht in Hoffungslosigkeit versinken und denken, wir hätten eh keine Chance: Wenn es uns gelingt, Koalitionen bis in die Mitte zu schmieden, können wir durchaus etwas erreichen.

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