«Wir müssen uns besser verkaufen»

Gemeinderat Felix Moser kann seinen ersten Abstimmungskampf als neuer Präsident der Grünen Stadt Zürich gleich zu einem ur-grünen Thema führen: Wie er die Abstimmung zum Atomausstieg – und sein neues Amt generell – anpacken will, erklärt er im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Im Mitgliederverzeichnis des Gemeinderats ist Ihr Beruf mit «Unternehmer» angegeben. Womit geschäften Sie?

Felix Moser: Zusammen mit zwei Kollegen habe ich vor 15 Jahren die Firma K55 gegründet, deren Inhaber ich heute bin. Wir begannen damit, MP3-Player in die Schweiz zu importieren, als diese hier noch nicht erhältlich waren. Unterdessen braucht niemand mehr ein solches Gerät, weil alle Leute auf dem Handy Musik hören. In meinem Geschäft werden heute hochwertige Kopfhörer und Musikanlagen verkauft. Ich beschäftige zwei Angestellte und zwei Lehrlinge.

 

Kann das funktionieren in einer Zeit, in der immer mehr online eingekauft wird?

Wer sich ein hochwertiges und entsprechend teures Gerät kaufen möchte, will es gern erst ausprobieren, doch das ist heutzutage fast nirgends mehr möglich ausser bei uns.

 

Dann probieren die Leute das Teil doch einfach bei Ihnen aus und kaufen es danach billiger übers Internet…

Mit diesem Risiko müssen wir leben. Doch es gibt immer noch viele Leute, welche die gute Beratung schätzen und dann auch bei uns kaufen.

 

Das Geschäft läuft also gut?

Es lief in den nunmehr 15 Jahren unterschiedlich, aber meist soweit gut. Doch wir sind auch laufend mit neuen Herausforderungen konfrontiert; als Unternehmer muss man stets kämpfen, um am Ball zu bleiben und weiterzukommen.

 

Wovon lebten Sie eigentlich, bevor Sie Unternehmer wurden?

Ich habe an der Universität Zürich theoretische Physik studiert und während des Studiums  den Internetbereich, insbesondere das Webdesign, für mich entdeckt. Nach dem Abschluss übernahm ich während zweier Jahre Vikariate als Lehrer, von der Primarschule bis zum Gymi-Lehrer. Nach verschiedenen Anstellungen in der IT- und PR-Branche entstand dann mein heutiges Geschäft.

 

Das Leben als Unternehmer ist hart, Sie sind bereits als Gemeinderat engagiert, und Ihre drei Töchter sind mit dreieinhalb, sechs und acht Jahren noch klein: Woher nehmen Sie die Zeit für Ihr neues Amt?

Bereits als ich vor knapp drei Jahren für Thomas Wyss in den Gemeinderat nachrutschte, habe ich mein Pensum im Geschäft auf 70 Prozent reduziert und bin seither nur noch an vier Tagen pro Woche dort. Jetzt reduziere ich auf 60 Prozent. Hat man gute Angestellte, kann man das verantworten, und im übrigen arbeitet auch meine Frau im Geschäft; sie führt die Buchhaltung. Ich werde künftig soviel wie möglich von zuhause aus arbeiten und gehe davon aus, dass sich so alles unter einen Hut bringen lässt.

 

Sie sind somit der Kopf eines traditionellen Familienunternehmens: Umso erstaunlicher, dass Ihnen die Mitgliedschaft in der KMU-Gruppe des Gemeinderats verweigert wurde.

Das ist insofern verständlich, als die KMU-Gruppe nicht die KMU-Vertretung ist, die man dem Namen nach dahinter vermuten könnte, sondern das politische Vehikel des Gewerbeverbands und der SVP. Ich habe seinerzeit im Gespräch mit der Gewerbeverbandspräsidentin Nicole Barandun über einen möglichen Beitritt erwähnt, dass ich zwei, drei Punkte der allgemein formulierten Ziele der Gruppe nicht unterschreiben könne, aber gern dort mitarbeitete, wo es sinnvoll sei. Doch die Gruppe wollte mich nicht. Je nu, es gibt Schlimmeres.

 

Zurück zu den Stadtzürcher Grünen: Warum wollten Sie deren Präsident werden?

Als Gemeinderat und Mitglied der Rechnungsprüfungskommission bin ich sowieso schon stark in die Partei involviert, und es reizt mich, noch stärker eingebunden zu sein. Es war mir jedoch wichtig, nicht allein an der Spitze zu stehen, sondern mich mit einem Vizepräsidenten oder einer Vizepräsidentin austauschen zu können. Jetzt sind wir dank des Co-Vizepräsidiums von Elena Marti und Luca Maggi sogar zu dritt, was ein Vorteil ist, da wir uns dank unterschiedlichem Hintergrund gut ergänzen. Dass es mit den Leuten stimmt, war für mich eine ebenso wichtige Voraussetzung, wie dass es zeitlich aufgeht. Ich arbeite gern mit verschiedenen Leuten zusammen. In erster Linie ‹den Boss raushängen› zu wollen, ginge bei den Grünen zudem sowieso nicht – wir haben genug Leute mit eigener Meinung.

 

Worauf legen Sie inhaltlich Wert?

Ich möchte die grünen Anliegen vermehrt in die städtische Politik einbringen, denn sie gehen uns alle etwas an: Beim Verkehr beispielsweise kann es nicht sein, dass man sich aufs Parkplatzzählen versteift. Die Atomkraftwerksbeteiligungen gehören endlich verkauft, die Umwelt ist besser zu schützen – und ohne gute Bildung geht gar nichts.

 

Heisst konkret?

In den Wachstumsgebieten in der Stadt Zürich müssen wir den Verkehr endlich neu organisieren: Für Bevölkerung und Umwelt ist autofreies Wohnen das Gebot der Stunde. Es ist im Prinzip überall möglich. Als nächstes ist dann autofreies Arbeiten dran.

 

Noch betrachtet eine Mehrheit das autofreie Wohnen als ein Randphänomen für speziell grüne Zeitgenossen – die weniger Netten sagen für Spinner. Sie aber wollen mit dem autofreien Arbeiten gleich noch einen drauf setzen?

Warum nicht? Ich brauche für mein Geschäft kein Auto, und privat habe ich auch keins, denn wir wohnen im autofreien Hunzikerareal. Um die jüngste Tochter in die Waldkrippe zu bringen, reicht mir mein stromloses Velo vollauf. Eigentlich geht es ja nur darum, Geschäftsräumlichkeiten am richtigen Ort zu bauen. In Zürich-Affoltern beispielsweise hat man ausschliesslich grosse Wohnsiedlungen gebaut; aus heutiger Sicht war das falsch, denn es hat viel Pendlerverkehr generiert. Bei neuen Planungen dürfen wir die Gewerberäume nicht vergessen. Das lohnt sich doppelt: Der Verkehr nimmt ab, und wenn die Leute im selben Quartier wohnen und arbeiten können, profitieren auch die kleinen Läden vor Ort – oder es entstehen sogar neue.

 

Ihr Vorgänger Christoph Hug sagte im Gespräch mit P.S., die Grünen müssten radikaler werden. Teilen Sie diese Ansicht?

Kommt drauf an, was man unter ‹radikaler› versteht… Wenn damit gemeint ist, klar Position zu beziehen, dann bin ich dabei. Forderungen stellen darf man durchaus auch, und mit einigen kommen wir ja auch durch, beispielsweise mit jener nach der 2000-Watt-Gesellschaft, der die Stimmberechtigten im November 2008 zustimmten. Oder nehmen wir das autofreie Limmatquai: Das konnte man sich seinerzeit nicht vorstellen, aber die Forderung war nötig, und heute wünscht sich niemand die alten Zustände zurück. Manchmal braucht es Forderungen, die auf den ersten Blick keine Chance haben. Aktuell haben wir Grünen zur Abstimmung vom 5. Juni über ein bedingungsloses Grundeinkommen die Ja-Parole gefasst.

Schön, aber so kriegen Sie doch bloss eins auf den Deckel…

Manchmal sind wir der Zeit voraus. Aber manchmal müssen wir auch dort den Finger draufhalten, wo etwas nicht nur machbar, sondern nötig ist. Zum Beispiel sollten alle neuen Wohnsiedlungen der Stadt und, wo immer möglich, auch jene der Genossenschaften autofrei sein. Die geplante grosse städtische Siedlung Thurgauerstrasse etwa ist bestens mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen.

 

Bald wird über die Bau- und Zonenordnung BZO debattiert. Auch wenn die Bürgerlichen ihre Ideen à la «mindestens überall zwei Stockwerke höher» nicht durchbringen, dürfte es diese Forderung schwer haben.

In der neuen BZO fordern wir Grünen die Verwirklichung unserer Grünstadt-Initiative. Das heisst: Keine neuen Auf- und Umzonungen. Was das Weibeln der Bürgerlichen betrifft, finde ich, wir sollten erst mal abwarten, welche Anträge zur revidierten BZO im Gemeinderat mehrheitsfähig sind. Beim Richtplan haben erstaunlich viele grüne Anträge eine Mehrheit gefunden.

 

Langweilig wird es Ihnen in Ihrem neuen Amt jedenfalls kaum…

Es ist tatsächlich eine gute Zeit für den Einstieg in dieses Amt. Als nächstes steht die Abstimmung zu den AKW-Beteiligungen an; der Stadtrat soll die Kompetenz erhalten, diese zu verkaufen. Das ist wichtig, weil er sie sonst wohl nie los wird – dabei handelt es sich längst um so etwas wie toxische Papiere. Niemand weiss beispielsweise, was passieren würde, wenn die Alpiq Konkurs ginge.

 

Dennoch sind die Bürgerlichen dagegen; sie sagen, die Beteiligungen liessen sich, wenn überhaupt, nur zu einem lausigen Preis verkaufen, weil die Stadt den Verkauf bis 2034 über die Bühne bringen müsste.

Zurzeit gibt es noch Leute, die solche Beteiligungen kaufen und weiterhin auf Atomstrom setzen wollen. Warten wir zu, dann kann es tatsächlich sein, dass sie niemand mehr will. Zudem haben wir in der Stadt bereits einmal über den Atomausstieg abgestimmt; die Chancen stehen deshalb gut, dass auch das Resultat vom 5. Juni in unserem Sinn ausfällt. Ich hoffe, dass wir ein deutliches Zeichen setzen können, denn wir stimmen ja bald auch noch auf nationaler Ebene über den Atomausstieg ab. Dass dieser kommen muss, ist für uns Grüne klar: Atomstrom rentiert finanziell nicht, die Erzeugung ist gefährlich, und geht etwas schief, drohen immense Schäden wie in Tschernobyl oder Fukushima.

 

Heutzutage rentiert ja auch Wasserkraft nicht mehr.

Es hat momentan zu viel Strom auf dem Markt, vor allem zu viel subventionierten Kohlestrom aus Deutschland. Wenn wir hierzulande schon mit Steuergeldern etwas fördern wollen, sollten wir deshalb erneuerbare Energien fördern, anstatt AKW für 700 Millionen Franken aufzurüsten, damit sie noch ein paar Jahre länger laufen können.

 

Der beste Strom ist doch sowieso der, den wir nicht brauchen – sagen die Grünen.

Strom zu sparen, ist sicher angesagt. Die Technik wird uns dabei helfen, aber die Crux ist natürlich, dass neue Geräte zwar weniger Strom verbrauchen, aber die Ersparnis dadurch mehr als wettgemacht wird, dass immer mehr neue Geräte auf den Markt kommen. Ein Beispiel: Wenn ein Elektrovelo ein Auto ersetzt, ist das sinnvoll. Wenn aber ein Elektrovelo ein konventionelles Velo ersetzt oder abwechselnd mit diesem zum Einsatz kommt, ist es ein ökologischer Rückschritt. Zudem hat zwar die Stadt ein Stromsparförderprogramm, doch dieses könnte noch ausgebaut werden. Am effektivsten wäre es wahrscheinlich, wenn man die Strompreise erhöhte, doch das ist nicht durchsetzbar.

 

Wir stimmen am 5. Juni in der Stadt Zürich auch noch darüber ab, ob das EWZ Stromsparprojekte fördern soll: Die Bürgerlichen sagen, bei einem Ja werde das EWZ gezwungen, Steuergelder für nicht sinnvolle Projekte auszugeben, falls sich grad keine sinnvollen finden liessen…

Die Förderung gibt es ja bereits; bis jetzt lag das dafür bestimmte Geld in einem speziellen Fonds, und das Förderprojekt an sich ist gar nicht bestritten. Was die Bürgerlichen stört, ist lediglich die neue Untergrenze von einem Rappen. Die Aufregung um die angeblich nicht zu findenden sinnvollen Projekte ist an den Haaren herbeigezogen.

 

Ebenfalls abgestimmt wird über das Kongresshaus. Die Grünen sind ja gar nicht mehr dagegen?

Wir waren gegen das Moneo-Projekt, weil dieses auf eine Public-Private-Partnership herausgelaufen wäre, bei der die Privaten profitiert und die Öffentlichkeit gezahlt hätte. Jetzt wird das Kongresshaus ja wieder eine öffentlich-rechtliche Anstalt, und vor allem gehört das Land der Stadt. Kongresshaus und Tonhalle sind zudem zwei wichtige Institutionen, die sich die Stadt leisten soll.

 

Wahlen stehen zwar noch nicht gerade vor der Tür, aber bei den letzten haben die Grünen verloren: Was machen Sie nächstes Mal besser?

Ich denke, wir Grünen verkaufen uns zu schlecht. Vielen Leuten ist nicht bewusst, was wir so alles angerissen haben – in Zürich etwa die 2000-Watt-Gesellschaft oder die Kinderbetreuung. Würden unsere Leistungen besser wahrgenommen, hätten wir wohl eine grössere Gefolgschaft. Bei den kommenden Abstimmungen im Herbst zur Grünstadt-Initiative oder zur Grünen Wirtschaft ist dann wieder klar, dass diese Anliegen von uns kommen. Grundsätzlich sind ja die Städte eher links, was bedeutet, dass wir vor allem auf dem Land noch stärker werden müssen. Gleichzeitig ist die Stadt Zürich oft Vorbild für andere Gemeinden, und deshalb ist es auch wichtig, dass die Leute wissen, was wir hier anpacken. Die städtische Abstimmung über den Atomausstieg hat also durchaus auch Symbolcharakter.

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