«Wir machen es so, wie du es willst»

Mehran Tamadan versucht in seinen Filmen die Beweggründe eines diametral entgegengesetzten Gegenübers zu ergründen in der Hoffnung, eine Veränderung im Denken zu erwirken. In «Mon pire ennemi» ist es die Person, die Verhöre in iranischen Gefängnissen führt.

Vor zehn Jahren wurde Mehran Tamadan mit einem Einreiseverbot für den Iran belegt, weil er für seinen zweiten Film «Iraner» religiöse Würdenträger während zweier Tage in einem abgelegenen Haus zu einer grundsätzlich philosophischen Aussprache über das Wesen des Daseins befragt hatte, obschon die postrevolutionäre Auslegung des Islam solche Planspiele an sich verbietet. Der damalige Tenor lautete: «Wir haben einen Gott, eine Religion, wieso brauchen wir noch soziale Regeln?» Noch zuvor, im Zuge der Grünen Revolution, die dem Arabischen Frühling vorangegangen war, suchte er die Motivation von Freiwilligen der Revolutionsmiliz der Baschiden, einer Untergruppe der Revolutionsgarden, in vergleichbarer Weise in eine Nachvollziehbarkeit zu überführen. Jede öffentliche Äusserung einer bedeutenden Minderheitenmeinung im Iran wird gewaltsam unterdrückt. So zuletzt auch die von vielen geteilte Empörung über die natürlich ungeklärt bleibenden Umstände, die zum Ableben von Mahsa Amini in einer Zelle der Sittenpolizei geführt hatten, woraus in der Folge die grösste Protestbewegung seit der iranischen Revolution 1979 mit dem Slogan «Frauen! Leben! Freiheit!» formierte und nur mit sichtlich grösster Mühe vonseiten des Regimes wiederholt unterbunden werden konnte. Die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi sammelte für das gleichnamige Buch die Erzählungen von zwölf weiteren Frauen und fügte ihre eigenen Erfahrungen als Inhaftierte im Evin-Gefängnis in Teheran zu einem Zeitzeugnis über Misshandlung, Folter und Psychoterror zusammen. Und jetzt sucht ein Exiliraner in Frankreich nach Iraner:innen mit Verhörerfahrung, die an ihm ein Re-Enactment-Exempel eines solchen Verhörs statuieren, damit er den Filmbeweis mit in den Iran nehmen kann und ihn die ihn verhörenden Personen bei seiner voraussehbaren Verhaftung zu sehen und einen Spiegel vorgehalten bekommen sollen.

Naivität trifft Perfidie

Fünf Männer mit den traumatischen Erfahrungen solcher Behandlungen treten kurz in «Mon pire ennemi» auf, um bald darauf das Handtuch zu werfen. Niemals würden sie eine solch sadistische Niedertracht nachspielen wollen und etliche äussern ihre Missmut darüber, Mehran Tamadans Ansinnen sei ohnehin naiv und illusorisch, wiewohl nachgerade die tatsächlichen Abgründe relativierend und verharmlosend. In der selbst hierzulande unterdessen bekannten Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi («Holy Spider», «Shayda») findet er eine Person, die sich darauf einlässt, die Partie Bösewicht in abgemildeter Form (es findet keine direkt körperliche Gewalt Eingang in den Film) als Rolle zu verkörpern. Was trotz aller Weichzeichnung durch diese theoretische Trockenübung indes auf der Ebene perfiden verbalen Terrors nun passiert, lässt eine entfernte Ahnung dessen aufkommen, was in den Isolationszellen vor Ort noch sehr viel grausamer und selbstredend auch existenzbedrohlicher tatsächlich passiert. Es ist regelrecht erschütternd anzusehen – und in einem Kinosaal ohne jedwede Möglichkeit zu Ablenkung emotional auch regelrecht physisch auszuhalten – wie zielgerichtet selbst die rein verbale Perfidie einer Befragungstaktik es ermöglicht, eine an sich gefestigte Person ihrer gesamten Orientierung zu berauben und sie die Ohnmacht der aktuellen Lage als grenzenlos spüren zu lassen. Es beginnt mit der Aufforderung «sei ehrlich und du wirst gerettet», geht über die raffinierte Verdrehung sämtlicher Aussagen in ihr Gegenteil und die nicht sonderlich verklausulierte Drohung, die Nächsten unter der Geständnisverweigerung leiden zu lassen, bis zu einer vermeintlich regelrechten Umkehr der Machtverhältnisse, in der sich die verhörende Person als unter all diesen Umständen und dem System am allermeisten Leid tragende Figur inszeniert, um empathisch Mitleid zu erheischen, das wiederum einen erleichterten Zugang zur Redebereitschaft erwirkt. «Mon pire ennemi» verknüpft in mehreren ineinander verwobenen Ebenen auf höchstselbst erschreckend perfide Weise, wie ein neudeutsches Gaslighting schleichend, aber dafür umso durchschlagender betrieben werden kann, derweil der äussere Anschein selbst in dieser Trockenübungsanlage ein Bild von Harmlosigkeit erweckt. Darüber hinaus kommen aber auch Fragen zu Retraumatisierung, einem übersteigerten Ego von Kunstschaffenden und der Begrenztheit im beabsichtigten Erzielen einer Wirkung zur Sprache, dass sich zuletzt eine heillose Ratlosigkeit breit macht.

«Mon pire ennemi» spielt im Kino Houdini.