Bild: Junge Grüne

«Wir haben nur einen Planeten»

Am 9. Februar stimmen wir über die Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen ab. Was deren Annahme auslösen könnte, erklärt Michelle Huber, Mitglied des Initiativkomitees sowie der Grünen 11/12 und der Geschäftsleitung der Grünen Stadt Zürich, im Gespräch mit Nicole Soland.

Wie ist die Umweltverantwortungsinitiative entstanden?

Michelle Huber: Das Initiativkomitee hat sie im August 2021 lanciert, knapp einen Monat nach dem Nein zum CO2-Gesetz. Die Vorbereitungen dazu starteten aber bereits einige Zeit früher, und die Idee entstammt einem basisdemokratischen Prozess: Die Mitglieder der Jungen Grünen machten Vorschläge für Volksinitiativen. Ihre Ideen haben wir anschliessend an mehreren Mitgliederversammlungen diskutiert. Danach stimmten wir ab, und die Umweltverantwortungsinitiative hat sich durchgesetzt.

Warum musste es unbedingt eine Volksinitiative sein? Es gibt ja auch die Möglichkeit, über die Vertreter:innen der eigenen Partei in den Parlamenten konkrete Vorstösse einzubringen.

Diesbezüglich lautet unser Motto, das eine tun und das andere nicht lassen. Unsere Grünen Vertreter:innen in Bern machen einen super Job, und natürlich nutzen wir auch diesen Weg, um unsere Anliegen einzubringen. Doch wir haben in Bern bekanntlich eine rechtsbürgerliche Mehrheit, die sich viel zu wenig um Umweltanliegen kümmert, und der zuständige Bundesrat Albert Rösti macht erst recht nicht vorwärts. Es gab zur Zeit der Lancierung keine anderen Volksinitiativen mit dieser Stossrichtung. Deshalb kommt unsere Initiative zur richtigen Zeit. Die Klima- und Umweltkrise ist drängender denn je, und je länger wir nichts machen, desto schwieriger – und teurer – wird es.

«Wenn die Initiative angenommen wird, hat das Parlament einen Volksauftrag zu erfüllen»: Das ist für Michelle Huber vom Initiativkomitee ebenso klar wie die Tatsache, dass wir so oder so nicht weitermachen können wie bisher. (Bild: zVg)

Nach dem Erfolg der ersten Konzernverantwortungsinitiative liegt die Idee auf der Hand, mit einer Initiative mit ähnlich lautendem Namen punkten zu wollen. Doch schmücken sich die Initiant:innen da nicht mit fremden Federn?

Es standen auch andere Namen zur Diskussion. Wir schlagen grundsätzlich in dieselbe Kerbe wie die Initiant:innen der Konzernverantwortungsinitiative, und es gibt natürlich auch gewisse, vor allem ideelle, Überschneidungen. Von fremden Federn kann dennoch keine Rede sein: Wir kümmern uns spezifisch um den Erhalt unserer Lebensgrundlagen.

Dafür, dass die Konzerne endlich ihre Verantwortung übernehmen – auch für Menschen im globalen Süden, die ausgebeutet worden sind –, will bereits die neue, zweite Konzernverantwortungsinitiative sorgen: Besteht nicht die Gefahr, mit der Umweltverantwortungsinitiative das Fuder zu überladen?

Die Konzerne müssen endlich zur Verantwortung gezogen werden, weil sie die Hauptverursacher der aktuellen Krisen sind. 57 Prozent der Konzerne sind für 80 Prozent des CO2-Ausstosses auf der Welt verantwortlich. Damit ist klar, wo wir ansetzen müssen – und wo wir den grössten Hebel in der Hand haben.

Warum verlangt die Umweltverantwortungsini­tiative, dass die Schweiz innerhalb von zehn Jahren die planetaren Grenzen respektiert? Die meisten Menschen können sich unter dem Begriff «planetare Grenzen» kaum etwas Konkretes vorstellen.

Hinter dem Begriff der planetaren Grenzen steckt ein einfach nachzuvollziehender Gedanke: Wir haben nur einen Planeten. Sind die natürlichen Ressourcen erschöpft, können sie sich nicht mehr erholen. Deshalb müssen wir so wirtschaften und leben, dass unser Planet nicht an seine Grenzen stösst. Das ist nicht radikal, sondern selbstverständlich. Denn momentan verbraucht die Schweiz die Ressourcen von ungefähr 2,5 Erden.

Nur so viele Ressourcen zu verbrauchen, wie sich regenerieren lassen, tönt gut. Doch wie soll das innert bloss zehn Jahren möglich sein?

Im Moment verbrauchen wir viel mehr Ressourcen, als unser Planet uns zur Verfügung stellen kann. Die Schweiz hat das Übereinkommen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen, das an der Klimakonferenz in Paris im Jahr 2015 verabschiedet wurde, am 6. Oktober 2017 ratifiziert. Damit hat sich die Schweiz ein Reduktionsziel von minus 50 Prozent bis 2030 gegenüber dem Emissionsausstoss im Jahr 1990 gesetzt. Die Schweiz hat damals zudem angekündigt, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Wir sollten also längst auf Kurs sein, sind das aber bei weitem nicht. Oder anders gesagt: Dass die Gegenseite behaupten kann, unser Ziel mit der Unmweltverantwortungsinitiative sei «viel zu ambitioniert», ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass wir in den vergangenen bald zehn Jahren viel zu wenig gemacht haben. In Zürich will die Stadtverwaltung das Netto-Null-Ziel bekanntlich bereits 2035 erreichen: Die Zeit drängt!

Das Ziel ist nach wie vor erreichbar?

Ja, wir glauben, dass es machbar ist. Über 80 Wissenschaftler:innen stellen sich hinter unsere Initiative. Und wir setzen uns dafür ein, dass die Initiative nach ihrer Annahme in unserem Sinne umgesetzt wird. Das heisst unter anderem, dass hierzulande endlich die Erneuerbaren zum Zug kommen, aber sicher keine neuen Gas- oder Atomkraftwerke gebaut werden.

Ob «ambitioniertes» Ziel oder nicht: Die Umweltverantwortungsinitiative soll «sozialverträglich» umgesetzt werden. Wie müssen wir uns das vorstellen?

Zuerst einmal wollen wir nicht mit dem Mahnfinger auf Individuen zeigen. Es geht nicht darum, den einen das Fleischessen zu verbieten und den anderen sofort ihr mit Benzin betriebenes Auto wegzunehmen. Zentral ist vielmehr, dass sich die gesamte Wirtschaft und die Gesellschaft gemeinsam auf den Weg machen. Nur zusammen und nur durch einen grundlegenden Wandel lässt sich das Ziel einer ressourcenschonenden und nachhaltigen Zukunft für alle erreichen. Eine sozialverträgliche Umsetzung beinhaltet aber auch, dass jene zur Verantwortung gezogen werden, die Schäden verursachen, also beispielsweise Superreiche oder grosse Konzerne.

Allzu konkret tönt das nicht …

Die Umsetzung von angenommenen Volksinitiativen ist Sache des Parlaments. Wir möchten ihm nicht bereits im Vorfeld der Volksabstimmung dreinreden. Klar ist aber, dass es Investitionen in den ökologischen Umbau braucht. Im Gegenzug müssen schädliche Investitionen gestrichen werden. Die Lösungen sind da – weg von Kohle, Öl und Gas, dafür Erneuerbare stark fördern. Es braucht entsprechende Verpflichtungen der Unternehmen und eine Landwirtschaft im Einklang mit der Natur. Wir müssen den öffentlichen Verkehr ebenso fördern wie die Kreislaufwirtschaft. Zur Erinnerung: Am 25. September 2022 hat die Stadtzürcher Stimmbevölkerung den Gegenvorschlag zur Kreislauf-Initiative der Jungen Grünen Zürich mit einem Ja-Stimmenanteil von fast 90 Prozent angenommen. Eine umfassende Umsetzung dieser Initiative in Zürich ist gut machbar.

Mit Subventionen allein lässt sich unser Planet kaum retten.

Es gibt ja auch noch andere Möglichkeiten. Weniger zu arbeiten etwa führt zu einem geringeren CO2-Ausstoss. Es gibt Studien, die das belegen. Die Wirtschaft soll den Menschen dienen, nicht umgekehrt. Zudem kostet uns schlussendlich das Nichtstun viel mehr.

Weniger arbeiten tönt gut, doch wir müssen auch von etwas leben. Was soll mit jenen Menschen passieren, die ihre Arbeit verlieren, weil beispielsweise gewisse Produkte – und damit auch deren Herstellung – verboten werden?

Der Weg zum Netto-Null-Ziel bietet auch sehr viele Chancen, nicht zuletzt die Chance auf neue, nachhaltige und sichere Arbeitsplätze. Die Unternehmen in der Schweiz sind als innovativ bekannt, wir müssen uns deshalb keine Sorgen um ihre Anpassungsfähigkeit machen. Es wird auch zukünftig      viele Möglichkeiten geben,  etwas Sinnvolles und Nachhaltiges zu arbeiten. Zudem leben wir in einem funktionierenden Sozialstaat. Dass wir jenen Menschen unter die Arme greifen müssen, die beispielsweise ihre umweltschädliche Arbeit verlieren und nicht sofort eine neue Stelle antreten können, versteht sich von selbst.

Ohne Investitionen und ohne Geld vom Staat wird es nicht gehen: Warum sollten die Bürgerlichen im Parlament plötzlich dafür zu haben sein?

Investitionen beleben die Wirtschaft, und wir in der Schweiz haben das nötige Geld. Wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Urne fordert, dass nicht mehr in klima- und umweltschädliche Projekte und Konzerne investiert wird, sondern das Geld in nachhaltige, ökologische Produkte und Dienstleistungen fliesst, dann muss das Parlament reagieren und den politischen Willen aufbringen, dies auch umzusetzen.

Es muss – doch tut es das auch?

Ja. Eben erst sagte eine Mehrheit Nein zum Autobahnausbau, nun ist dieser vom Tisch. Umgekehrt hat eine Mehrheit sowohl das Klimagesetz als auch das Stromgesetz gutgeheissen. Der Ausbau der Erneuerbaren ist damit beschlossen. Nichts zu tun ist angesichts der sich häufenden Katastrophen keine Lösung. Unsere Initiative ist ein Vorschlag an die Bevölkerung. Nimmt sie ihn an, ergeben sich neue Chancen, endlich zu handeln.

Das Parlament hätte längst damit beginnen können, in nachhaltige Arbeitsplätze und ökologische Verkehrswege zu investieren sowie alle klima- und biodiversitätsschädlichen Anreize zu streichen– doch dafür fehlt die politische Mehrheit: Warum sollte es jetzt klappen?

Wenn die Initiative angenommen wird, hat das Parlament einen Volksauftrag zu erfüllen. Unabhängig davon sollte längst allen klar sein, dass wir nicht einfach weitermachen können wie bisher: Indem wir unseren Planeten rücksichtslos ausbeuten, vergiften und zumüllen, zerstören wir auch uns selbst.

Besteht umgekehrt nicht die Gefahr eines grossen Rückschlags beziehungsweise einer Weigerung von Regierung und Parlament, die Umweltziele weiter zu verfolgen, falls die Initiative abgelehnt werden sollte?

Diese Gefahr sehe ich nicht. Denn insbesondere Bundesrat Rösti macht jetzt schon fast nichts, und auch die bürgerliche Mehrheit bewegt sich nur höchst ungern. Es braucht deshalb so oder so weiterhin Druck von uns. Wir müssen unsere Forderungen wiederholen, bis sie endlich gehört werden, und das lieber heute als morgen.

Was habe ich konkret davon, wenn ich Ja stimme?

Viele Vorteile: eine lebenswerte Zukunft, mehr Grünflächen und Begegnungsräume, mehr Erholung und Gemeinschaft, weniger Stress, gesunde Lebensmittel und sauberes Wasser, stabile Arbeitsplätze, eine intakte Umwelt, nachhaltigere Produkte und nicht zuletzt eine Kreislaufwirtschaft, wie sie zu Zeiten unserer Grosseltern normal war: Möbel, die locker 100 Jahre alt werden, Kleider, die wir lange tragen können und bei Bedarf flicken, Haushaltsgegenstände, die sich reparieren lassen und Restenverwertung statt Foodwaste.

Weitere Infos siehe umweltverantwortung.ch