«Wir haben einen Plan»

Im vergangenen Jahr haben Klimastreikende mit über 60 ExpertInnen verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen Massnahmen ausgearbeitet, die es der Schweiz ermöglichen sollen, bis 2030 ihre Treibhausgasemissionen auf Netto Null zu reduzieren. Am 8. Januar stellten sie ihr 377-seitiges Klimaaktionspapier vor und verkündeten stolz: «Wir haben einen Plan.»

 

Roxane Steiger

«Uns wurde zu Beginn des Klimastreiks immer wieder vorgeworfen, dass wir keine konkreten Massnahmen zur Bewältigung der Klimakrise vorschlagen würden», bekennt die Klimastreikende Hanna Fischer bei der Zoom-Pressekonferenz. Doch diesen Vorwurf wollen die Klimastreikenden nicht länger auf sich sitzen lassen. Ihr Klimaaktionsplan umfasst 138 politische Massnahmen, die in 12 Kapiteln nach Themenbereichen strukturiert sind. Damit bieten sie ein breites Spektrum an Lösungsansätzen in den Bereichen Mobilität, Gebäude und Raumentwicklung, Industrie, Energieversorgung, Landwirtschaft und Ernährungssysteme, negative Emissionen, Finanzsektor, wirtschaftliche und politische Strukturen, internationale Zusammenarbeit und Klimafinanzierung, Bildung, Klima-Anpassung sowie sektorübergreifende Massnahmen an. «Für die komplexe und vielschichtige Umsetzung dieses Vorhabens hat der Klimastreik aktiv externe Fachpersonen gebeten, sich an der Umsetzung des Klimaaktionsplans zu beteiligen», schildert Cyril Brunner, der an der ETH am Institut für Atmosphäre und Klima forscht.

 

Lösungen existieren! 

Die zentralen Massnahmen des Klimaaktionsplans beinhalten den unumgänglichen Ausstieg aus fossilen Energien. Zudem soll ein Moratorium auf neue Infrastrukturen im Bausektor gelten, was impliziert, dass bestehende Gebäude stattdessen saniert werden. Infrastrukturen wie Wind- oder Solaranlagen sowie öffentliche Infrastruktur bilden dabei eine Ausnahme. Ausserdem sollen sich Produktion und Konsum in Zukunft nach wirklichen Bedürfnissen der Menschen richten und kein künstliches Bedürfnis nach klimaschädlichen Produkten schaffen. «Deshalb wird kommerzielle Werbung im physischen öffentlichen Raum durch Kunst und Bildung ersetzt», präzisiert die Klimastreikende Lena Bühler. Weiter sollen die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens vor die Einhaltung internationaler Handelsabkommen gestellt, der Import und Export von tierischen Produkten stark eingeschränkt und Ausbildungen für lokale LandwirtInnen zum ökologischen und regenerativen Anbau angeboten werden. Auch für den Schweizer Finanzplatz sieht der Klimaaktionsplan klare Reduktionsziele und die Gründung einer Green Investment Facility vor, die mehrere Milliarden Franken in die ökologische Transition investiert. «Unabhängig vom Erfolg des Klimaaktionsplans werden Menschen aufgrund der Klimakrise aus ihrer Heimat flüchten müssen. Die Klimakrise wird darum als Fluchtgrund anerkannt und den geflüchteten Personen in der Schweiz Schutz gewährt», fügt Lena Bühler an. Auf die Frage, ob sie mit den Massnahmen die Bevölkerung in Schrecken versetzen wollen, entgegnet der Klimastreikende Matthias Hafner: «Es ist uns wichtig aufzuzeigen, dass das Bedrohlichste die Klimakrise und nicht die Massnahmen sind. Wenn wir aufzeigen, dass Lösungen existieren, kann es sogar weniger einschüchternd wirken.» Zudem seien selbst hohe Kosten langfristig gesehen viel tiefer als die Folgekosten einer Klimakatastrophe.

«Uns ist bewusst, dass einzelne Massnahmen stark polarisieren. Bei anderen besteht auch in der Politik Einsicht darüber, dass ihre Umsetzung notwendig ist. Der Klimaaktionsplan soll als Basis für die Diskussion dienen, wie wir zu einer sozialen und ökologisch gerechten Gesellschaft gelangen», führt Cyril Brunner aus. Es ist vorgesehen, das Aktionspapier der Regierung zukommen zu lassen und auf Wunsch mit ihr in Dialog zu treten.

 

Fokus Energiepolitik 

«Im Gegensatz zu den Massnahmen des Bundes ist der Klimaaktionsplan kompatibel mit dem, was nötig ist, um das Schlimmste zu verhindern und zeigt, dass Netto Null bis 2030 möglich ist. Die Lücke, wie dies politisch machbar ist, wird durch den Aktionsplan geschlossen. Die technischen Alternativen und Antworten sind vorhanden, es handelt sich jetzt nur um eine Frage des politischen Willens, insbesondere bei den erneuerbaren Energien», bekräftigt Felix Nipkow, der bei der Energiestiftung Schweiz als Leiter des Fachbereichs erneuerbare Energien tätig ist. «Solarenergie in Kombination mit Wasserkraft, die in der Schweiz schon sehr gut ausgebaut ist, wird eine Hauptrolle spielen. Das CO2-Gesetz ist unambitioniert, liefert uns jedoch ein Fundament, auf dem wir aufbauen können. Mit dem Klimastreik konnten wir ein gemeinsames Fundament erarbeiten, das auf der Strasse sowie im Bundeshaus ausgetragen werden kann.» Léonore Hälg, die an der ZHAW zu erneuerbaren Energien forscht, weist in diesem Zusammenhang auf die anstehende Revision des Energiegesetzes hin. Die Energiepolitik bilde einen zentralen Punkt in der Bekämpfung des Klimawandels und somit auch für den Klimaaktionsplan.

 

Netto Null – bis wann?   

Die Grünen haben vergangenen Dienstag ihren überarbeiteten Klimaplan präsentiert. Die Revision hatte durchaus mit der Kritik der jungen Grünen zu tun, die wie die Klimabewegung Netto Null bis 2030 fordern. Ein zentraler neuer Aspekt ist der Fokus auf einen grundlegenden Wandel der Schweizer Gesellschaft und Wirtschaft, der das Umdenken unserer Produktions- und Konsumweise erfordert. Die Schweiz soll zudem bis 2030 klimaneutral werden, indem sie die Emissionen im Inland um 50 Prozent senkt und im Ausland um dieselbe Menge reduziert. Bis 2040 sollen dann die Emissionen auf Netto Null reduziert und die verbleibenden Emissionen mit negativen Emissionen der Atmosphäre wieder entzogen werden. 

Die Klimastreikende Hanna Fischer kritisiert das Netto Null bis 2040-Ziel der Grünen: «Die politische Diskussion bewegt sich nach wie vor weit von der Realität und ist nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Klimakrise vereinbar.» In Bezug auf den Klimaaktionsplan des Klimastreiks will Parteipräsident Balthasar Glättli keine gezielte Kritik anbringen. «Ich persönlich finde, dass der Plan spannende und wichtige Anstösse beinhaltet. Jedoch gibt es einige Massnahmen, die noch nicht ausgereift sind, was es bei der Umsetzung für die Politik nicht einfach macht.»

In einem Punkt herrscht jedoch Einigkeit: Der Fokus sollte darauf liegen, wie im politischen Prozess durchgesetzt werden kann, was schon lange machbar ist, und der Mut aufgebracht werden, sich ambitionierte Ziele für eine Klimapolitik zu setzen, die den Herausforderungen der Klimakrise gerecht wird.

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