Windige Argumentation

Die Windenergie kann einen Beitrag zur Winterstromversorgung im Kanton Zürich leisten: Das erklärte Baudirektor Martin Neukom (Grüne) am 7. Oktober an einer Medienkonferenz (siehe P.S. vom 14. Oktober). Die Energiestrategie 2022 des Kantons Zürich geht davon aus, dass im Jahr 2050 rund sieben Prozent des kantonalen Strombedarfs mit Windenergie gedeckt werden können. Entsprechend hat sich die Baudirektion damit befasst, wo im Kanton wie viel Windenergie genutzt werden könnte. In einem nächsten Schritt geht es darum, detailliert zu schauen, wie gut die Potenzialgebiete tatsächlich geeignet sind, und zwar in Zusammenarbeit mit den möglichen Standortgemeinden, den Natur- und Landschaftsschutzverbänden und der Windenergiebranche.

 

Und wie kam diese Potenzial-Abklärung in der Öffentlichkeit an? Besonders interessant war diesbezüglich die Lektüre der NZZ: In der Ausgabe vom 8. Oktober ist ein grosser Artikel der Berichterstattung von der Medienkonferenz vom 7. Oktober gewidmet. Allerdings nimmt diese den kleinsten Teil des Platzes ein. Hauptthema ist das «riesige Problem», das die Windkraft angeblich habe: «Die Anlagen sind höchst umstritten.» Das Potenzial der Windenergie wird dann doch noch thematisiert, in der NZZ vom 13. Oktober und mit dem Titel «Baudirektor Neukoms wundersame Windvermehrung». Experten hätte «noch vor acht Jahren» gesagt, Zürich sei kein Windkanton, heisst es da. Der Autor bezieht sich auf eine Studie von 2014, die der damalige Baudirektor Markus Kägi (SVP) in Auftrag gegeben hatte, und siehe da: «Das Resultat war eindeutig: ‹Die Windverhältnisse in der Schweiz sind nicht mit denen in anderen europäischen Regionen wie der Atlantikküste oder der Nordsee zu vergleichen›, schrieb die Baudirektion in einem Bericht.» Darauf wäre ich ohne Studie tatsächlich nie gekommen… Ernsthaft: Auch im inländischen Vergleich sei Zürich auf den hinteren Rängen gelandet, schreibt die NZZ weiter. Die Experten hätten damals festgehalten, das Potenzial sei «in der Praxis sehr klein», es seien vielleicht vier bis sechs Anlagen realistisch, die etwa 20 Gigawattstunden Strom pro Jahr produzieren könnten, also «rund 0,2 Prozent des Strombedarfs». Jetzt jedoch schätze die Baudirektion die Zahl der möglichen Windräder um den Faktor 20 grösser ein und das Strompotenzial 40 mal so gross – eine «wundersame Windvermehrung» eben.

 

Die NZZ vom 15. Oktober legte mit einem Kommentar nach, Titel: «Neukoms Wunschpläne können nicht aufgehen.» Dort geht es erneut um die Studie von 2014, die zum «klaren, faktenbasierten Schluss» gekommen sei, dass Zürich kein Windkanton sei. Dennoch schreibe die Baudirektion zu ihren Windausbauplänen, diese Energiequellen müssten jetzt erschlossen werden. Wer das machen solle, lasse der Baudirektor jedoch offen: «Bei privaten Kapitalgebern muss er jedenfalls nicht anklopfen, denn es ergibt auch im Jahr 2022 ökonomisch keinen Sinn, im Kanton Zürich Anlagen zu planen, solange an anderen, windreicheren Standorten höhere Erträge zu gleichen Kosten winken.»

 

Aha. Da liegt der Hund begraben: Laut der NZZ ist es anscheinend verboten, nur schon das Potenzial für Windenergie im Kanton Zürich abzuklären (selbst wenn der Bund dies verlangt). Oder es ist zumindest dann verboten, wenn nicht von vornherein feststeht, dass die Windkraft für private Investoren ein Bombengeschäft sein wird: «Die Gefahr besteht, dass staatliche Akteure in die Bresche springen, zum Beispiel die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich.» Aber damit nicht genug: «Sollten die EKZ tatsächlich im windschwachen Kanton Zürich tätig werden, dann wäre das kein wirtschaftlicher, sondern ein politischer Entscheid, ein Beitrag an die Energieziele des grünen Baudirektors – und letzlich eine kolossale Geldverschwendung, getragen von den Zürcher Steuerzahlern und einer Million Privatkunden der EKZ, welche als Kleinverbraucher den Anbieter nicht wechseln dürfen.»

 

Woher weiss die NZZ wohl, dass die Mehrheit, die sowohl zur Energiestrategie 2050 Ja gesagt hat wie auch kürzlich zum neuen kantonalen Energiegesetz, keinen politischen Entscheid wünscht? Wie auch immer: Selbstverständlich endet der Kommentar mit einem Hinweis darauf, wie man es machen müsste. «Selbst die Niederlande, ein Windland par excellence, fahren beim Ökostrom mehrgleisig: Die Regierung plant den Bau zweier neuer Kernkraftwerke.» Nur der böse Kanton Zürich will einfach nichts von AKW-Ökostrom wissen… Seltsam ist allerdings schon, dass die NZZ in diesem Zusammenhang nicht auch noch schreibt, welche Privaten in der Schweiz denn gern neue AKW finanzieren würden.

 

Übrigens: Ein Blick in die Studie von 2014 lohnt sich durchaus. Auf den Seiten 48/49 beispielsweise heisst es: «Theoretisch ist ein ansprechendes Windenergiepotenzial im Kanton Zürich vorhanden: 450-1750 GWh oder 130-480 Windenergieanlagen in den Szenarien mit den grössten Einschränkungen. Zum Vergleich: Der Stromverbrauch des Kantons Zürich betrug im Jahre 2010 rund 9000 GWh (Quelle: www.awel.zh.ch). Mit der Nutzung der Windenergie könnten also in der Jahresbilanz theoretisch rund 5-20 Prozent des Strombedarfs im Kanton Zürich gedeckt werden.» Nanu? Allzu weit entfernt von den 120 Anlagen und den 7 Prozent des kantonalen Strombedarfs, von denen Baudirektor Neukom an der Medienorientierung vom 7. Oktober sprach, ist das nicht…

 

Und damit weiter in der Studie von 2014: «Der Bundesrat strebt im Rahmen seiner Energiestrategie 2050 eine Nutzung von 4000 GWh/a an, was einem Fünftel des geschätzten technisch-wirtschaftlichen Potenzials entspricht. Welchen Stellenwert der Kanton Zürich in Sachen Windenergie bis anhin inne hat, zeigt die Tatsache, dass sich im Gegensatz zum Jura und zu den Alpen im Konzept Windenergie Schweiz von 2004 keine prioritären Standorte für Windenergienutzung im Kanton Zürich befanden (…). Der Kanton Zürich rechnet dann auch nur mit etwa 20 GWh/a bis ins Jahr 2050, was mit etwa 4 bis 6 Anlagen erreicht werden kann (…).»

 

Auf Deutsch: Was die NZZ als «Potenzial» der Windenergie im Kanton Zürich bezeichnet, ist gemäss der Studie von 2014 lediglich die Grössenordnung eines möglichen Beitrags des Kantons an die Windenergienutzung in der Schweiz. Jenes Beitrags notabene, den dieser gemäss einem Konzept von 2004, also von vor fast 20 Jahren, in etwa hätte leisten müssen. Und das ist, bei allem guten Willen, nicht dasselbe, liebe NZZ.

 

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