Willkommen in der Kirche

Die in den letzten Jahren von den Rechtsparteien durchgepeitschte restriktive Asylpolitik fordert die Kirchen zum Handeln heraus. Über achtzig Engagierte aus Kirchen, Solidaritätsbewegungen und Fachstellen haben letzten Samstag in Aussersihl an einer nationalen Tagung zum Thema Kirchenasyl teilgenommen, auf Einladung der Offenen Kirche St. Jakob und der InitiantInnen der Migrationscharta.

 

von Hannes Lindenmeyer

 

Kein Land führte 2015 im Rahmen des sogenannten Dublin-Verfahrens so viele Flüchtlinge nach Italien zurück wie die Schweiz: Über 1000 von insgesamt 2300 Rückführungen nach Italien sind von Schweizer Behörden angeordnet worden, obschon die Schweiz freiwillig auf diese Gesuche eintreten könnte – zur Entlastung der italienischen Asylstrukturen, die dort kaum mehr eine menschenwürdige Betreuung gewährleisten. Oft werden auch Menschen, die direkt in der Schweiz Asyl suchen, nach langwierigen Verfahren abgeschoben, obschon sich bei einer sorgfältigen Analyse zeigt, dass sich die im Erstverfahren erhobenen Fakten, sei es ihre inzwischen verschlechterte Gesundheit, seien es die Verhältnisse im Herkunfts- oder Zielland, seien es familiäre Konstellationen, so verändert haben, dass eine Ausschaffung eigentlich nicht mehr zulässig wäre. Um Zeit zu gewinnen, damit in solchen Fällen die Situation von Betroffenen nochmals überprüft werden kann, aber auch, um ganz grundsätzlich Position zu beziehen gegen eine immer unmenschlichere Asylpolitik in unserem Land, haben in letzter Zeit verschiedene Kirchgemeinden und Pfarreien Kirchenasyl angeboten. Der Schweizerische Evangelische Kirchenrat hat eine ängstliche «Handreichung» an die Gemeinden verfasst, die das Kirchenasyl ausschliesslich als eine diakonische Aufgabe darstellt und jegliche politische Dimension ablehnt.

 

Den Rechtsstaat beim Wort nehmen

Ziel der Tagung war es, die theologische, rechtliche und gesellschaftspoiltische Relevanz des Kirchenasyls zu erarbeiten, interessierte Gemeinden und Organisationen zum Handeln zu motivieren und konkrete Hilfe zu stellen.
Pierre Bühler, Theologe aus Neuchâtel, stellte die biblischen Grundlagen von Kirchen­asyl in den Raum: Sowohl im Alten wie im Neuen Testament wird das «Liebesgebot für den Fremden» gefordert. Bühler lehnt aber eine unmittelbare Ableitung aus dem Evangelium ab. Das Verhältnis von Recht und Religion müsse sorgfältig bedacht werden. Mit Bezug auf John Rawls Theorie der Gerechtigkeit stellt er die These auf, dass der Rechtsstaat «immer nur fast gerecht» handelt; immer wieder können Behörden, Gesetze oder Verordnungen im Widerspruch stehen zu den verpflichtenden Rechtsprinzipien von Menschenrechten und Verfassung. Ziviler Ungehorsam als öffentliche, gewaltfreie, illegale Protestaktion ist dann nötig und legitim, wenn alle legalen Mittel erfolglos ausgeschöpft sind, als ultima ratio. In diesem Falle zeigt eine solche Aktion «kritische Loyalität» zum Staat: Sie legt Zeugnis ab von einer Sorge, die eigentlich die des Rechtsstaates sein sollte. Die Legalität des Staates wird bestritten im Namen einer grundrechtlich ethischen Legitimität. Die Aktion stellt sich nicht über den Rechtsstaat, sondern nimmt diesen beim Wort.

 

Nicht legal, aber legitim

Das Kirchenasyl hat zwei Funktionen: eine humanitäre, indem es einzelne Menschen, die durch staatliches Handeln in ihren Grundrechten verletzt werden, schützt, und eine gesellschaftspolitische, in dem es einen Protest gegen grundrechtliche und ethische Verstösse zum Ausdruck bringt. Die politische Funktion des Kirchenasyls verlangt, dass sich nicht nur einzelne AktivistInnen, sondern auch Kirchenleitungen hinter das Kirchenasyl stellen. Wie Pfarrer Jakob Schädelin aus Bern darlegte, wurde in den 1990-er Jahren die Klage eines Bürgers gegen die Kirchenleitung, die Kirchenasyl gewährte, vom Regierungsrat abgewiesen mit Bezug auf den Berner «Synodus», eine 1532 geschlossene Vereinbarung zwischen der Reformierten Kirche von Bern und der Regierung, in der die Kirchenleitung verpflichtet wird, die Regierung von Handlungen abzuhalten, die den reformatorischen Grundwerten widersprechen.
Es gibt seit der Säkularisierung keine legale Basis für ein Kirchenasyl. Schutzgewährung für Menschen, die ihre Aufenthaltsrechte verloren haben, ist formal eine illegale Handlung, aber dann, wenn sich die Aktion auf Grundrechte bezieht, legitim. Dies verlangt, dass im Sinne des «prophetischen Wächteramtes» auch Verantwortung gegenüber den staatlichen Behörden wahrgenommen wird: Sie sollen über die Aktion informiert werden, es gilt, mit ihnen einen Ausweg aus der die Grund- und Menschenrechte verletzenden Situation zu suchen. Dies aber auch – wie sich dann am Podium mit juristischen Fachleuten zeigt – aus ganz praktischen asylgesetzlichen Gründen: Gemäss Dublin-System darf eine registrierte Person nach sechs Monaten  nicht mehr in das Erstland zurückgeführt werden; falls sie aber untertaucht, verlängert sich diese Frist auf 18 Monate. Wichtig ist daher, dass die im Kirchenasyl Schutzsuchenden gemeldet werden, damit sie nicht als untergetaucht gelten und damit ihr Recht auf die 6-Monatsfrist verlieren. Je nach Situation gilt es zu unterscheiden, ob ‹stilles Asyl› gewährt werden soll – um im Einzelfall mit den Behörden eine pragmatische Lösung ohne Publizität zu finden – oder ‹öffentliches›, sei es, um den Druck auf die Behörden zu erhöhen, sei es, um gesellschaftspolitisch Position zu beziehen.

 

Neuen Unterstützungsverein rasch aufbauen

In Workshopgruppen wurden verschiedene konkrete Erfahrungen mit dem Kirchen­asyl ausgetauscht. Die Aktion in der Matthäuskirche in Basel (2016) war eine Niederlage: Aktivisten besetzten die Kirche und richteten hier Asyl für acht von Ausschaffung bedrohte Flüchtlinge ein. Diese Kirche wird von keiner lokalen Gemeinde getragen, sondern ist direkt der Gesamtkirche Basel unterstellt. Die städtische Kirchenleitung nahm lange keine klare Haltung ein, obschon sich alle sozialen und spirituellen Gruppierungen, die direkt in der Matthäuskirche verkehren – aber über keine Entscheidungskompetenzen verfügen – mit der Besetzungsaktion solidarisierten. Schliesslich liess die Kirchenleitung die polizeiliche Räumung der Kirche zu.
Als ‹Lehre› aus diesem Fall folgerte der Jesuitenpater Christoph Albrecht, dass ein Kirchen­asyl nur in Kirchen stattfinden sollte, die von aktiven und engagierten Gemeinden getragen werden. Für die Offene Kirche St. Jakob ist das ein ein wichtiger Grund, ihren neuen Unterstützungsverein «Forum St. Jakob» rasch und stark aufzubauen, um in der zukünftigen Gesamtkirche Stadt Zürich ab 2019 den nötigen basisnahen Rückhalt zu finden für Situationen, in denen ziviler Ungehorsam nötig wird.

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