Wie viel Wissen ist ein Wissensvorsprung?
Die Zürcher Gemeinde Pfäffikon hat Ende letztes Jahr ein IT-Projekt neu vergeben. Zwei unterlegene Anbieter haben dagegen vor Verwaltungsgericht Einsprache erhoben. Was ist passiert?
In der Gemeinde Pfäffikon im Kanton Zürich verzögert sich der Wechsel des IT-Dienstleisters, weil beim Verwaltungsgericht zwei Beschwerden gegen den Vergabeentscheid des Gemeinderats eingereicht wurden. So weit, so uninteressant. Doch ein Satz in der Medienmitteilung von letztem Dezember sticht hervor: «Es wird die Unbefangenheit des stellvertretenden Gemeindeschreibers bestritten, der zwei Arbeitgeber hat und sowohl für die Gemeinde als auch mit einem Kleinpensum für die Firma Upgreat AG arbeitet.» Das klingt schon interessanter.
Doppelrolle
Aber von vorne: Im Sommer 2021 entscheidet sich der Pfäffiker Gemeinderat, ein Projekt mit dem illustren Namen «Fulloutsourcing IT» auszuschreiben. Konkret geht es um den Betrieb des Rechenzentrums, auf dem die Programme der Gemeinde gehostet werden. Bisher wurde dieses durch die Ritz AG in Wetzikon betrieben. Weil dieser Vertrag aber Ende Jahr auslief und neue IT-Projekte in der Zukunft anstehen, entschied sich der Gemeinderat, den Auftrag neu auszuschreiben. Das ist nicht aussergewöhnlich: Dienstleistungsverträge müssen gemäss Bundesrecht in regelmässigen Abständen neu ausgeschrieben werden. Bereits damals war aber die Doppelrolle des stellvertretenden Gemeindeschreiber und IT-Verantwortlichen ein Thema, bereits damals war klar, dass sein zweiter Arbeitgeber, die Upgreat AG aus Fehraltorf, ein Angebot einreichen wird. Deshalb werde er bei der Auswertung der Angebote in den Ausstand treten, heisst es damals im Gemeinderatsbeschluss.
Auffallend ist vor allem die Chronologie der neuen Anstellung des Pfäffiker IT-Verantwortlichen. Die Stelle als Verwaltungsmanager bei der Upgreat AG trat er im September 2020 an. Das war der Firma sogar eine kurze Medienmitteilung wert: Zusammen mit einem ehemaligen hohen Verwaltungsmitarbeiter aus dem Kanton Schaffhausen habe er die Aufgabe, «das Service-Angebot von Upgreat für den öffentlichen Sektor auszubauen». Laut Branchenportal ‹IT-Market› berate er für die Firma Gemeinden bei der Einführung von Microsoft 365 und Modern Workplace. Rund ein Jahr später setzt sich sein neuer Arbeitgeber gegen sechs Mitbewerber durch und erhält von seinem anderen Arbeitgeber den Zuschlag für das Projekt «Fulloutsourcing IT», im Umfang von jährlich rund 300 000 Franken. Es ist der erste grosse Schritt der neuen Digitalisierungs- und IT-Strategie. Dort sind auch weitere anstehende Projekte aufgegleist: Modern Workplace und neue Tools wie Microsoft 365.
Wissensvorsprung?
Genau gegen diesen Vergabeentscheid haben nach Informationen von P.S. zwei unterlegene Anbieter vor dem Verwaltungsgericht Einspruch erhoben. Der Vorwurf lautet auf «Vorbefassung», wenn also eine Anbieterin bereits an der Vorbereitung der Ausschreibung so mitgewirkt hat, dass sie die Vergabe zu ihren Gunsten beeinflussen konnte. Konkret geht es darum zu verhindern, dass eine Anbieterin ein Wissensvorsprung gegenüber anderen hat und so ein besseres Angebot abgeben kann. Als IT-Verantwortlicher der Gemeinde Pfäffikon kennt der stellvertretende Gemeindeschreiber alle relevanten Akteure in der Verwaltung und war unter anderem an der Ausarbeitung der Digitalisierung und IT-Strategie beteiligt. Das bestätigt der Gemeindeschreiber Hanspeter Thoma auf Anfrage. Reicht das, damit seine Arbeit als Vorbefassung der Upgreat AG gilt? Eine Anwältin, die sich mit dem Beschaffungswesen im Kanton Zürich auskennt, findet die geschilderte Situation «problematisch». Sie möchte aber nicht zitiert werden, weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt.
Thoma, der seit bald dreissig Jahren Gemeindeschreiber in Pfäffikon ist, wehrt sich gegen den Vorwurf der unterlegenen Anbieter. Er war als Leiter der Arbeitsgruppe «Submission Rechenzentrum» zusammen mit dem Vertreter der Zürcher Firma Publics für die Durchführung des Verfahrens zuständig. «Die Upgreat AG hat von den sechs Anbietern jenes Angebot eingereicht, dass die Kriterien am besten erfüllt hat.» Der Ausstand und die Frage der Vorbefassung sei durch den Gemeinderat klar und korrekt geregelt worden, es sei technisch sichergestellt worden, dass der IT-Verantwortliche keinen Zugang zu den relevanten Unterlagen gehabt habe – «im Wissen um die besondere Situation». Er habe weder bei der Erstellung noch bei der Bewertung der Angebote teilgenommen.
Ausnahmeregeln
Warum aber hat es der Gemeinderat überhaupt darauf ankommen lassen, dass eine solche besondere Situation entsteht? Zwar gibt es verschiedene Ausnahmeregeln, die eine Gemeinde geltend machen kann, aber der Kanton empfiehlt in einem Merkblatt, «wenn möglich auf die Anrufung dieser Ausnahmeregeln zu verzichten», um langwierige Beschwerdeverfahren zu vermeiden. Genau ein solches Verfahren hat Pfäffikon jetzt am Hals. Wäre es nicht besser gewesen, die Upgreat AG vom Vergabeverfahren auszuschliessen? Gemeindeschreiber Thoma sieht das anders. «Wir sahen rechtlich keinen Grund, die Upgreat AG vom öffentlichen Verfahren auszuschliessen.» Ob bei der Vergabe des Auftrags alles mit rechten Dingen vor sich gegangen ist, wird das Verwaltungsgericht entscheiden. Die Gemeinde erwarte den Entscheid im Sommer 2022, sagt Hanspeter Thoma. «Das Resultat lässt sich schwer abschätzen.»
Korrektur: In einer ersten Version stand fälschlicherweise, dass das ausgeschriebene Projekt “Falloutsourcing IT” hiess. Tatsächlich war der Name aber “Fulloutsourcing IT”. Die entsprechenden Stellen wurden korrigiert.
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