Wie im alten Rom?

Es gab mal einen Trend auf ‹TikTok›, den ich nur vom Hörensagen her kenne, da ich ja nicht auf ‹TikTok› bin, wo Frauen ihre Männer gefragt haben, wie oft sie ans alte Rom denken. Und die Antwort war: erstaunlich oft. Mehrfach täglich meinen da die einen, andere doch immerhin wöchentlich. Woher kommt diese Faszination von Männern fürs alte Rom? Gemäss Historiker:innen liege das daran, dass die römische Kultur, Bilder des alten Rom mit einer Hypermaskulinität wie bei Legionären oder Gladiatoren verbunden seien, was die Männer besonders fasziniere.

Nun bin ich kein Mann und ich denke auch nicht täglich ans alte Rom. Aber als Jugendliche hatte mich das alte Rom auch fasziniert. Und auch heute interessiert mich die Frage, wie Zivilisationen und Hochkulturen entstehen können. Damit verbunden ist eben auch die Frage, aus welchen Gründen sie wieder untergehen. Dass man der heutigen Zeit eine spätrömische Dekadenz unterstellt und ihr daher den baldigen Untergang prophezeit, ist zwar auch ein eher männliches Phänomen. Aber die Frage, warum eine erfolgreiche Gesellschaft sich plötzlich total verändert und in den Abgrund starrt, ist eine offene.

Der Historiker Edward Watts beschäftigt sich genau mit dieser Frage und zwar insbesondere mit dem Untergang der römischen Republik. Rom existierte zwar noch einige Jahrhunderte weiter, aber als Imperium und nicht mehr als repräsentative Demokratie. In einem Interview mit Sean llling von ‹Vox› zieht er dabei einige Parallelen zur Aktualität in den USA. Der Untergang der römischen Republik hatte verschiedene Ursachen. Durch Geld korrumpierte Institutionen und Politiker, politischer Stillstand und fehlende Konsensbereitschaft, steigende soziale und ökonomische Ungleichheiten liessen das Vertrauen in das System schwinden und begünstigten den Aufstieg von Populisten und Tyrannen. Was einem irgendwie bekannt vorkommt. Er sei 2018 einiges optimistischer gewesen als heute, meinte Watts. 2018 habe er gewisse Dinge gesehen, die ausser Balance geraten seien und ein Elektorat, das mit dem System nicht zufrieden war. Aber er sei nicht davon ausgegangen, dass damit auch politische Gewalt einhergehen könne, wie dies 2021 beim Sturm des Kapitols der Fall gewesen ist. Man sei damals nahe an einen Putsch gekommen. Aber während der Prozess des Untergangs der Republik sich in Rom über 150 Jahre hinweggezogen hatte, passiere in Amerika gerade sehr viel. In den letzten vier Jahren gab es den Sturm aufs Kapitol und zwei Attentatsversuche auf Trump. Dies sei aber fast kein Thema und innerhalb von kurzer Zeit vergessen gegangen.

Watts erinnert auch daran, dass es in Rom immer wieder Individuen gegeben hat, die bewusste Entscheidungen zugunsten der Republik getroffen hätten. Als Beispiel nannte er Sulla, der nach einem Bürgerkrieg an die Macht kam, als grausamer Diktator herrschte und dennoch am Ende die Macht wieder abgab, weil er an die Republik glaubte. Auch Cäsar habe letztlich trotz seiner Alleinherrschaft die Republik bewahren wollen. Das Problem bei Trump sei, dass es nicht klar sei, ob das bei ihm auch so sei. Dabei sei ein funktionierendes System – selbst wenn es reformbedürftig ist – etwas sehr Wertvolles. Das System schafft Regeln, die für Klarheit und für einen gewissen Ausgleich und für eine gewisse Berechenbarkeit sorgen. Wenn man ein System einmal kaputt gemacht habe, wenn die Regeln ausser Kraft gesetzt werden, wenn die Institutionen nicht mehr funktio­nieren, dann könne dies sehr gefährlich werden. Man müsse ein bestehendes System durch ein neues System ablösen können. Augustus sei dies letztlich gelungen. Auch wenn er die Republik beendet und durch ein Kaiserreich ersetzt hat, habe er damit wieder ein stabiles System geschaffen.

Seit Mittwochvormittag ist klar, dass Donald Trump die Wahl gewonnen hat. Und das nicht einmal knapp, er hat sowohl bei den Elektoren wie beim Volk eine Mehrheit erreicht. Ebenfalls klar ist, dass auch der Senat eine republikanische Mehrheit erhalten wird, das Repräsentantenhaus wird vermutlich auch in republikanischer Hand sein. Da auch der Supreme Court, der oberste Gerichtshof über eine republikanische Mehrheit verfügt, verfügt Donald Trump zu Beginn seiner zweiten Amtszeit über eine grosse Machtfülle. Kritische Stimmen sind aus seinem Umfeld verschwunden. Seine ehemaligen Minister und Stabchefs haben sich öffentlich kritisch gegen ihn gewandt und vor seiner Gefährlichkeit gewarnt. Sie werden durch Loyalisten ersetzt werden.

Über die Gründe für seinen Sieg wird in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten sicher reichlich spekuliert werden. Klar ist, dass eine Mehrheit der Bevölkerung unzufrieden mit der jetzigen Regierung war, insbesondere über die pandemiebedingte inflationäre Preisentwicklung. Ob die Unzufriedenheit berechtigt oder unberechtigt ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Die Themen Kaufkraftverlust und Migration bewegen derzeit viele Länder und viele bisherige Regierungen geraten unter Druck, oft gerade von Rechtsaussen. Doch Trump hat in den letzten Wochen seines Wahlkampfs kaum mehr über Preise oder die Wirtschaft gesprochen, obwohl dies sein Team eigentlich gewollt hätte, sondern mehr über seine Rachephantasien an politischen Gegnern. Seine grössten Wahlkampfhelfer waren der Impfgegner und Verschwörungstheoretiker Robert F. Kennedy, dem er die Kontrolle über die Gesundheitsämter geben wird und Elon Musk, der auf seiner Plattform ‹X› ebenfalls gerne Verschwörungstheorien verbreitet, gerne auch mit rassistischer oder antisemitischer Schlagseite. Dieser soll das Land mit einer Schocktherapie à la Milei therapieren, was halt am Anfang zu grösseren wirtschaftlichen Verwerfungen führen werde. Trump hat also nie versteckt, was ihn eigentlich antreibt. Das heisst, man muss sich auch damit befassen, dass die Leute schlicht mögen, was er ihnen zu verkaufen hat. 

Gleichzeitig ist dies alles auch nicht im Vakuum entstanden, sondern in einem Informationssystem, das auf der einen Seite nackte Propaganda und Desinformation und auf der anderen Seite künstliche Ausgewogenheit schafft. Kamala Harris sei zu wenig spontan, sei inhaltlich zu vage, hiess es seitens der traditionellen Presse. Ohne dass man es für nötig gehalten hätte, je über ihre Inhalte zu berichten. Während bei Trump jede noch so irre Aussage in einen erklärenden Kontext gesetzt wurde. Und damit der Eindruck vermittelt wird, als sei dies halt eine Wahl zwischen zwei unzulänglichen Kandidierenden, courant normal halt, wie dies auch die NZZ vermittelte. Aber das ist es nicht: Es war die Wahl zwischen einer normalen Politikerin und einem Kandidaten, der jegliche Norm sprengt. Jeder andere Kandidat wäre mit einem Bruchteil seines Sündenregisters schon lange politisch erledigt gewesen. Aber weil Trump kein normaler Politiker ist, gelten für ihn keine normalen Massstäbe. Damit wird er gleichzeitig erhöht und verharmlost. 

Aber eben, die spinnen die Römer. Die Amis auch. Vielleicht bald wir alle.