Wie ein Sprung in der Platte

Acht Jahre Krieg in Syrien. Lubna Abou Kheir findet mit «Gebrochenes Licht» eine sprachliche Krücke, um die daraus erwachsende menschliche Ohnmacht erahnbar zu machen – in jedem Alter, an jedem Ort, zu jeder Zeit. 

 

Der Botenknabe (Aurel Kuthy) ist völlig ausser Atem und dermassen aufgeregt, seine Neuigkeit zu verbreiten, dass sich seine Sprache überschlägt. Die Dringlichkeit des Inhalts wird durch die Form augenscheinlich noch verstärkt. Im Saal drin bemüht sich eine Musik (Matija Schellander), in ihrer Melodie fortzufahren und Emotionen auszulösen, aber sie hängt wie die Nadel in einer Schallplattenrille fest. Unaufhörlich im Bestreben, diesen Sprung in der Platte zu überwinden, wird jede Energie von dieser erbarmungslos unüberwindbaren Hürde ins Leere gelenkt. Welch treffliches Bild! Vier lose miteinander verbundene Figuren auf der Bühne versuchen zu verschiedener Zeit, an unterschiedlichen Orten und einem sich wandelnden Fatalismus, ihre jeweils jetzt drängendsten Nöte, Empfindungen und Hilferufe zu äussern. Selbst wenn sprachlich sehr gut verständlich, sind auch diese Sätze die Wiederholung der sich verhaspelnd überschlagenden Eile des Botenknaben vom Anfang im Foyer. Maya (Anna Hofmann), eine junge Frau im Exil in Zürich, will das Geld für den Nachzug ihrer Mutter irgendwie auftreiben. Waddah (Jakob Leo Starck), ein Militär an den Fronten, will trotz abgeschnittener Kommunikation seinen Liebsten mitteilen, dass er noch lebe. Ein namenloser Schlepper (Rahel Sternberg) – «ich bin nicht ein Fahrer, ich bin der Fahrer» – erhöht seine Preise mit jeder neu gefallenen Provinz weiter und bleibt dennoch souverän in seinem gönnerhaften Habitus des rettenden Engels. Nada (Sascha Ö. Soydan), die mittlerweile seit über fünf Jahren von ihrer Tochter Maya getrennte, in Istanbul sich irgendwie durchbringende Mutter in einem nicht genauer definierten Alter, flüchtet sich in die Scheinwelt des Glamour und die Erinnerung daran. Damals, in Damaskus. Getreu der prophetischen Anfangsansage des Botenknaben, dass alles klein anfängt und wächst, ausser Kriege und Städte, die sich umgekehrt proportional verhalten, durchlaufen alle vier Figuren (nicht linear) verschiedene Stadien emotionaler Stärke, körperlicher Widerstandskraft inklusive dem jeweils entsprechenden Gegenteil. Die Inszenierung von Ivna Zic dient der Figurenidentifikation, deren Regungen allesamt restlos nachfühlbar sind. Ihre Situation ist von äusseren Zwängen dominiert, das generelle Misstrauen daraus erst erwachsen, die langjährig strapazierte Freude am Leben schon fast in Zynismus übergegangen. Der Begriff ‹Hoffnung› hat sich über die Jahre vom Vehikel einer Verheissung in einen sie mit Wut erfüllenden Angstgegner verkehrt. Salz in Wunden brennt und chronische Schmerzen verleiten mitunter zu Jähzorn. Trotzdem sind die gebrochen, stakkatohaft verkürzend und assoziativ formulierend Deutsch sprechenden Figuren von Lubna Abou Kheir reihum bewunderswert gefasst. Ihr unbedingter Wille, sich den eigenen Willen nicht brechen zu lassen, strömt aus jeder thematisierten Situation. Das Glück gehört ergänzend zur Eingangssequenz auch zu den Elementen, die nicht von allein grösser werden. Nur die menschliche Bereitschaft, eines im Kleinsten erkennen zu wollen, die wächst in einem Masse, dass zuletzt ein Wort, ein Fundstück oder schlicht eine aufgeräumte Wohnsituation dazu erklärt werden. «Gebrochenes Licht» ist keineswegs hoffnungslos, nur das Geschwafel von Hoffnung mag keine der Figuren mehr hören. Sie haben sich alle ihrer jeweiligen Situation angepasst, ihre Ansprüche an ein Leben sind auf das bare Leben an sich reduziert und sogar diese Haltung kann mit jeder der unvermittelt eintreffenden Wendungen einer existenziellen Infragestellung unterworfen sein. Alles wird relativ und alle kämpfen, wie die Nadel, unbeirrt immer weiter…

 

«Gebrochenes Licht», bis 23.11., Theater Neumarkt, ZH.

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