- Gedanken zur Woche
Wie Demokratien sterben
Eigentlich wollte ich ja nicht über die US-Wahlen schreiben und auch nicht über die Medienkrise. Aber dann ist etwas vorgefallen, was doch einigermassen bemerkenswert ist und mit beidem zusammenhängt. Die ‹Washington Post›, jene Zeitung, die den «Watergate»-Skandal aufgedeckt hatte und deren Motto «Demokratie stirbt im Dunkeln» ist, hat beschlossen, keine Empfehlung zu den Präsidentschaftswahlen abzugeben. Dies obwohl diese Empfehlung seit den 1970er-Jahren üblich war und die Redaktion schon einen Text zugunsten von Kamala Harris geschrieben hatte. Verlagsleiter Will Lewis begründete diesen Schritt damit, dass man sich auf die Wurzeln der Zeitung zurückbesinne und dass die Leserinnen und Leser sich selber ihre Meinung bilden können. Das führte zu einem grösseren Proteststurm, auch aus der Redaktion selbst, mehrere Angestellte kündigten. Der Historiker Robert Kagan, einer der Kolumnisten, der aus Protest die ‹Washington Post› verlässt, äusserte öffentlich seinen Verdacht, der Verzicht auf die Wahlempfehlung habe mit den wirtschaftlichen Interessen des Besitzers der ‹Washington Post› zu tun. Jeff Bezos ist neben der ‹Washington Post› auch Besitzer von Amazon sowie vom Raumfahrtunternehmen Blue Origin. Bezos habe in der ersten Amtszeit Trumps Staatsaufträge in Milliardenhöhe verloren, ausserdem wurde er von Trump mehrfach angegriffen. Bezos streitet ab, dass es wirtschaftliche Gründe sind, die zu diesem Entscheid geführt hätten. Seine Sorge gelte der Unabhängigkeit der Medien. Die Menschen hätten das Vertrauen in die Medien verloren, weil diese parteiisch seien. Bezos Editorial wurde von einigen gelobt, die seit je her die Medien als zu links kritisieren, aber vermutlich die ‹Washington Post› nicht selbst abonniert haben. Die Abonnent:innen nämlich haben in Scharen gekündigt. Die ‹Washington Post› verlor seither 250 000 Abonnent:innen, zehn Prozent ihrer Leserschaft.
Die eigene Meinung bilden lassen, unabhängig sein, unparteiisch. Das alles klingt theoretisch gut, ist in der Praxis aber immer eine Annäherung nach rechts. Viele traditionelle Medien – ob öffentlich oder privat – sind seit Jahren unter Dauerbeschuss von rechts: «Lügenpresse», «Staatssender», «Mainstream-Medien», «Fake-News». Die Medien seien alle links und nicht ausgewogen, heisst es. Diese Ausgewogenheit gilt nie für das rechte Medienökosystem, auch wenn Peter Bodenmann in der ‹Weltwoche› eine Kolumne schreiben darf. Bereits bei der Ernennung von Will Lewis als Verlagsleiter der ‹Washington Post› hat es etwas gerumpelt. Der Mann kommt aus der Schule des australischen Medienmoguls Rupert Murdoch, der weltweit konservative Medien betrieben hat. Mittlerweile hat er die Leitung seinem Sohn abgegeben. Viele Journalist:innen haben in den USA dazu aufgerufen, das Abo der ‹Washington Post› nicht zu künden. Damit bestrafe man nur die Angestellten und die ‹Washington Post› mache weiterhin guten und kritischen Journalismus, auch gegen Bezos selbst. Das stimmt zwar, aber: Die Abokündigung ist das einzige Mittel, das man als unzufriedene Leserin hat. Protest- und Leserbriefe nützen selten etwas. Und: Wenn der Besitzer eine Meinungsgeschichte aus politischen Gründen killt, warum sollte er das nicht auch bei einer kritischen Recherche machen? Ökonomisch ist diese Überlegung sowieso fraglich: Warum die bisherigen Leser:innen vergraulen, um Leute anzusprechen, bei denen fraglich ist, ob man sie gewinnen kann? Der Verlust von zehn Prozent der Leser:innen ist für eine Zeitung gravierend. Und es wird kaum bei den zehn Prozent bleiben. Dennoch verfolgen viele diese Strategie – auch die ‹New York Times›, die nach der Trump-Wahl extra ein paar konservative Kolumnisten rekrutiert hat und viele einfühlsame Reportagen über Trump-Wähler:innen verfasst hat. Bei uns gibt es gar keine grossen Medien mehr, die einen Kurs links der Mitte vertreten.
Nun kann man sich mit Fug und Recht fragen, ob es zeitgemäss oder wichtig ist, wenn Zeitungen Wahlempfehlungen abgeben. Nur ist die ‹Washington Post› kein Einzelfall – sehr ähnlich hatte es sich bei der ‹LA Times› zugetragen – und es ist keine Wahl zwischen zwei normalen Kandidat:innen. Sondern eine Wahl zwischen einer normalen Politikerin und einem Mann, von dem selbst sein eigener Stabschef und sein oberster General sagen, dass er ein Faschist sei. Der vor vier Jahren bewiesen hat, dass er eine Wahlniederlage nicht akzeptiert.
In seinem Buch «On Tyranny» nennt der Historiker Tim Snyder zwanzig Lektionen aus dem 20. Jahrhundert, wie sich Tyrannei vermeiden liesse. Die erste: kein vorauseiliger Gehorsam gegenüber dem Diktator. Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, zwei amerikanische Politikwissenschaftler, die sich intensiv mit der Frage beschäftigt haben, wie demokratische Länder in autoritäre Systeme abgleiten, schreiben in der ‹NY Times› über Strategien, wie man dieses Abgleiten verhindern könne. Eine davon ist der Aufstand der Zivilgesellschaft. Doch sehe es jetzt eher aus, als habe sich gerade die Wirtschaft mit Trump arrangiert. Viele Wirtschaftsführer:innen hätten sich nach dem Sturm aufs Kapitol dezidiert gegen Trump ausgesprochen. Jetzt würden ihn die meisten offen unterstützen wie beispielsweise Elon Musk, oder sich explizit neutral verhalten, wie eben Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg. Auch in der Schweiz heisst es explizit: Die Wirtschaft kann sich mit beiden arrangieren, wie es die ehemalige Bundesrätin und heutige Exportförderin Ruth Metzler in einem Interview mit ‹CH Media› ausführte.
Das Problem an der ganzen Geschichte ist nicht, ob die ‹Washington Post› eine Empfehlung abgebe, sondern die Botschaft, die damit ausgesendet wird, schreibt Jonathan V. Last auf der Plattform ‹The Bulwark›, die von republikanischen Trumpgegner:innen gegründet wurde. Er erinnerte dabei an Putins Anfänge. 2003 war Putins erste Amtszeit und Michail Chodorkowski war der reichste und mächtigste Oligarch Russland, der auch damit flirtete, in die Politik zu gehen. Putin liess ihn verhaften und verteilte dessen Firma unter den anderen Oligarchen. Chodorkowski war beileibe kein Heiliger, die Korruptionsvorwürfe nicht unbegründet. Aber das Ziel der Übung war klar: Den restlichen Oligarchen klarzumachen, dass sie sich trotz Reichtum nicht schützen können. Das Signal von Bezos sei dasselbe: Er zeigt, dass selbst die Mächtigen Angst hätten, sich gegen Trump zu stellen.
Derweil erklärt Bundesrat Albert Rösti, er «tendiere zu Trump». Denn er sei der einzige Präsident, der Amerika in seiner Amtszeit nicht in einen Krieg geführt hat. Das gilt seit George W. Bush eigentlich für alle Präsidenten, aber Rösti kümmern die Fakten nicht. Genausowenig wie offenbar die Demokratie, Institutionen und Normen. Wir haben ja die Tendenz, die Amerikaner zu belächeln, uns überlegen zu fühlen. Dabei sollte man immer daran denken, dass auch bei uns einige keine Hemmungen hätten, wenn man sie denn liesse.