Widerstand im Wald
Eine Gruppe von Umweltaktivist:innen hat den Rümlanger Wald besetzt. Grund dafür ist eine umstrittene Erweiterung der Deponie Chalberhau. Die Gemeinde hat wenig Freude und stellt den Besetzer:innen ein Ultimatum.
Knappe zehn Minuten vom Bahnhof Glattbrugg entfernt führt die akkurat benamste Industriestrasse vorbei an grösseren Hallen, Schildern mit zig Firmennamen hin zu einer Unterführung, wo oberhalb die stark befahrene Hauptstrasse vor der Autobahneinfahrt verläuft. Auf dem Asphalt steht in grossen Lettern «Deponie». Nach der Unterführung ist die Strasse schon ein Feldweg geworden und führt in den Wald. Einige Holzlatten deuten bereits auf die Besetzung hin, die letzten Freitag hier eingerichtet wurde. Durch das Gestrüpp ist ein mit Holzpaletten vollgeladener Anhänger zu sehen, den die Aktivist:innen gerade fleissig ausladen. Der bislang nur mit Brettern verstärkte Pfad durch den Schlamm – es hatte in der Nacht zuvor geregnet – wird verstärkt. Einige Meter weiter hinten sind Zelte zu sehen, am Boden, aber auch hoch oben im Baum. Ein defensiver Hochsitz, wenn man so will, wo nicht Wild geschossen, sondern der Wald geschützt werden soll. Die Besetzer:innen haben sich gut eingerichtet: Unterstände, eine Rückzugszone, eine Küche mit gut gefüllter Vorratsecke und einige im Wald verteilte Zelte sorgen dafür, dass diese spontane Wohnform auch organisatorisch gut funktioniert. Auch ausgebildete Sanitäter:innen sind vor Ort. Zudem wurden überall Pfade abgesteckt, Schnüre am Boden verhindern, dass unnötig auf Vegetation herumgetrampelt wird. Es wirkt fast idyllisch – einige Stunden früher war aber noch Lärm zu hören. Von Westen her, wo sich die causa Bsetzi befindet: Die Deponie Chalberhau. Sie soll, so im kantonalen Richtplan seit 2021 festgesetzt, um elf Hektaren Wald, 3 000 000 m3, erweitert werden.
2016 sah es noch anders aus. Chalberhau sollte nur fünf Hektaren Fläche mit 500 000 m3 Volumen umfassen, aber kurz darauf erarbeitete der Regierungsrat eine Revision des kantonalen Richtplans und legte damit die Grundlage, die Deponie um das sechsfache Volumen zu erweitern. Widerstand gab es bereits 2021, also nach dem Erweiterungsentscheid des Kantonsrats, aber zeitgleich mit den neuen Plänen seitens des Regierungsrats. Es formierte sich ein Komitee «Deponieerweiterung Chalberhau: Nein!». Es kritisierte damals, die Bevölkerung werde getäuscht, es sei eine Salamitaktik. Die Pläne wurden deswegen aber nicht angepasst.
Exemplarisch
Weshalb wird der Wald also genau jetzt besetzt, wo alldies schon lange beschlossen ist? Eine der Besetzerinnen erklärt: «Grundsätzlich versuchen wir, den politischen Diskurs so zu verändern, dass die Umsetzung nicht passiert. Es geht aber nicht nur um diesen einen Wald, diesen spezifischen Ort, sondern um eine generelle Tendenz in der Baupolitik, die wir kritisieren: Dass an vielen Orten intakte Ökosysteme zerstört werden zum Profit von Konzernen.» Hier profitierten die Baubranche und die Immobilienkonzerne an der Zerstörung des Waldes. Denn die Deponie wird erweitert, um Bauschutt abzuladen – darunter auch Bauschutt von Wohnungen, die zugunsten von Ersatzneubauten abgerissen wurden, eigentlich aber noch bewohnbar und meist auch bezahlbar wären. «Die Häuser und auch der Wald werden zerstört, nur damit Luxuswohnungen entstehen, die sich nur wenige Menschen leisten können, während Menschen mit geringerem Einkommen an den Stadtrand verdrängt werden. Wir fordern deshalb, dass der Wald überhaupt gar nicht erst gerodet werden muss, indem der Abrisswahn gestoppt wird», so die Aktivistin weiter. Und ergänzt: «Unser Widerstand geht nicht gegen diesen einen Konzern, der hier die Häuser abgerissen hat, sondern ist gegen diese Praxis allgemein gerichtet.»
Bei diesem einen Konzern handelt es sich um die Unternehmungen Eberhard, die Betreiber der Deponie Chalberhau. Im ‹Rümlanger› vom 21. Februar 2020 erklärte ein Sprecher des Unternehmens, dass man prüfe, ob aufgeforstet wird, noch bevor ein Teil des Walds gerodet wird. Wie sieht das nun drei Jahre später aus? Auf Nachfrage kann Geschäftsleiter Daniel Eberhard nicht sagen, ob nun definitiv aufgeforstet wird – «das Bewilligungsverfahren läuft», und die Strategie sei, alte Etappen aufzuforsten, wenn neue Etappen angegangen werden. Wie es im Detail aussieht, sei noch unklar. Eberhard betonte zudem, bei Deponien sei der Einschnitt ja auch ein temporärer – auch wenn die Bäume eine Zeit lang fehlen, würden sie wieder gepflanzt, sobald die Deponie voll ist.
Die Gemeinde Rümlang hat derweil keine Freude und hat den Besetzer:innen ein Ultimatum gestellt, den Wald bis Samstagabend zu verlassen. Am Dienstagabend kam es zu einem Gespräch zwischen den Aktivist:innen und der Gemeinde, wobei erstere auf Nachfrage erklären: «Sie hätten gerne, dass wir gehen, das ist klar. Aber es sieht auch so aus, als würde die Besetzung nicht direkt geräumt werden. Es kommt eher darauf an, was wir verhandeln.» Die Polizei hat bislang nicht interveniert. Lediglich am ersten Tag der Besetzung wurden Personenkontrollen durchgeführt, Wegweisungen gab es nicht. Seitens der Gemeinde hiess es aber, am Samstag würde eventuell die Kantonspolizei eingeschalten. Wie lange hat das Besetzer:innen-Kollektiv also vor, zu bleiben? «Grundsätzlich, bis unsere Forderungen erfüllt werden. Wenn der Wald nicht gerodet wird, gehen wir natürlich. Aber letzten Endes ist es auch eine kollektive Entscheidung, die von allen hier Anwesenden getroffen werden muss.»
Ob der Widerstand hilft, wird sich zeigen. Die Rümlanger Gemeinderätin Michaela Oberli (SVP) hatte im ‹Rümlanger› vom 21. Februar 2020 noch erklärt, als Gemeinde sei es wichtig, bezüglich Rekultivierung ein Wort mitreden zu können. Und nach dem Telefonat mit Daniel Eberhard tönt es nicht so, als hätte die Gemeinde hier Entscheidungshoheit. Auch wenn die Besetzung vorerst bleiben kann – es klingt zumindest auf kommunaler Ebene nicht so, als würden die Forderungen der Aktivist:innen auf viel Gehör stossen.