Wer zahlt die Entlastung?

 

Nichts tun ist für Jörg Kündig, Präsident des Zürcher Gemeindepräsidentenverbands, bei der Entlastung stark belasteter Gemeinden bei den Sozialkosten kein gangbarer Weg. Regierungsrätin Jacqueline Fehr will zusätzlich geklärt haben, wer die Kosten bezahlt.

 

Den Bericht über das diesjährige Gemeindeforum zum Thema der steigenden Sozialausgaben beginne ich mit dem Referat von Rolf Schaeren, der als Finanzvorstand von Dietikon sehr präzise ausführte, warum dieses Thema brennt. Seit 2006 wuchs die Bevölkerung Dietikons um 17 Prozent auf gut 26 000 Personen, die Einnahmen stiegen um 34 Prozent, die Ausgaben um 42 Prozent und die Ausgaben für Schule und Soziales um 66 Prozent. Dietikon hatte schon immer einen Steuerfuss in der Region von 120 Steuerfusspunkten und erhielt Finanzausgleich. Heute sind es um die 30 Millionen Franken Ressourcenausgleich und um die 10 Millionen Franken Übergangsausgleich. Will die Stadt künftig einen Ausgleich für besondere Belastungen erhalten, muss sie ihren Steuerfuss auf 129 Punkte erhöhen, was gute SteuerzahlerInnen vertreiben könnte.

Dies ist allerdings nur ein Nebeneffekt des Problems, dass Dietikon von seinem Budget 45 Millionen Franken für die Schule und fast 40 Millionen Franken für die Sozialausgaben ausgibt. Die hohen Ausgaben für die Bildung weisen einen Zusammenhang mit der hohen Anzahl von AusländerInnen (gut 40 Prozent) mit einem oft tiefen Bildungsniveau auf: Es braucht sehr viel Integration. Was die Gemeinde übrigens mit Erfolg leistet: Von 223 SchulabgängerInnen dieses Jahres standen nur 5 ohne eine Anschlusslösung da.

 

Bei sehr vielen Gemeinden sind Schule und Soziales grosse Ausgabenposten. Bei Dietikon ist es indes so ausgeprägt, dass langsam aber sicher für anderes (etwa Investitionen) kaum mehr Geld übrig bleibt. Der Stadtrat beschränkte sich nicht aufs Ausrufen, sondern nahm Kontakt mit den anderen Gemeinden auf. Von 113 erhielt er die Daten zur Auswertung, die zeigen, was schon lange vermutet wurde: Neben den beiden Städten Zürich und Winterthur (deren Zahlen bewusst nicht berücksichtigt wurden) trifft es vor allem die grösseren Agglomerationsgemeinden. Mit einem Anteil von 37,7 Prozent der Sozialkosten an den Ausgaben steht Dietikon an der Spitze, wobei Schlieren, Rüti, Oberengstringen, Kloten und einige andere mit Anteilen um 30 Prozent folgen. Am anderen Ende der Tabelle stehen mit Regensberg (2,8 Prozent), Aesch, Boppelsen kleine Landgemeinden, die bei den Soziallasten vor allem unter Druck kommen können, wenn sich bei ihnen ein sehr teurer Spezialfall aufhält.

Rolf Schaeren wies zudem auf zwei entscheidende Punkte hin. Die Zunahme der Sozialausgaben erfolgt im grösseren Stil (abgesehen von den beiden Städten Winterthur und Zürich) vor allem seit 2010. Insofern kann man nicht behaupten, der Finanzausgleich sei falsch erfolgt. Aber um so dringender ist aus seiner Sicht nun eine Korrektur aufgrund der neuen Zahlen, die sich in der Zukunft kaum ändern werden.

Von der Zunahme sind vor allem jene Gemeinden und kleinen Städte betroffen, in denen sich das Bevölkerungswachstum nach der Richtplanung zu 80 Prozent konzentrieren soll: Entlang der Verkehrsinfrastrukturen oder in ihren Hinterhöfen entstehen auch die relativ günstigen (weil verlärmten) Wohnungen, in denen sich Personen mit wenig Finanzen und viel Integrationsaufwand niederlassen. Rolf Schaeren betonte, dass Dietikon diese Integrationsaufgaben auch künftig wahrnehmen will. Es sei nicht einfach eine Last, aber die andern sollten sich an den Kosten dieser Dienstleistungen für den ganzen Kanton beteiligen.

 

Mehr Sozialhilfe für 56 – 64-Jährige

Zu Beginn der Tagung präsentierten Stefan Langenauer, der Chef des statistischen Amtes, und Colette Nova, die Vizedirektorin des Bundesamtes für Sozialversicherungen, Fakten zu den Sozialkosten und deren Entwicklung. Aus diesen vielen Zahlen seien wenige für die aktuelle Situation relevante vorgestellt. Die Sozialausgaben nehmen insgesamt zu, wobei bei den bedarfsabhängigen Leistungen vor allem die Verbilligung der Krankenkassenprämien ins Gewicht fällt. Die Ergänzungsleistungen für die AHV- und IV-BezügerInnen nehmen stärker zu als jene für die politisch umstrittene Sozialhilfe, und sie fallen auch frankenmässig mehr ins Gewicht. Bei den Ergänzungsleistungen ist auffällig, dass sie oft dann fällig werden, wenn der oder die Betroffene in ein Heim zügelt. Stefan Langenauer betonte, dass diese Kosten insgesamt in einem verkraftbaren Rahmen liegen. Mit einer Ausnahme: Die Zunahme der Sozialhilfequote bei den 56–64-Jährigen ist ein Grund zur Beunruhigung: Sie werden ‹dank› der fehlenden Einzahlungen nach der Pensionierung Ergänzungsleistungen beziehen müssen.

Auch der Bund, so Colette Nova, erarbeitet Massnahmen, um diese Lücke wenigstens etwas zu füllen. Die Erhöhung der AHV, die der Ständerat höher gewichtet als der Bundesrat, ergibt zudem Einsparungen bei den Ergänzungsleistungen – allerdings, und das finde ich wichtig zu sagen, verbessert dies die Situation der Personen mit den tiefsten Renten nicht.

Wie Stefan Langenauer kam Heinz Montanari, der Leiter der Abteilung Gemeindefinanzen, zum Schluss, dass die Zunahme der Sozialleistungen (dazu gehören die Pflegeleistungen als möglicher künftiger Sprengstoff) insgesamt nicht dramatisch ist, dass aber die Verteilung unter den Gemeinden so stark differiert, dass sich ein Ausgleich aufdrängt. Rein technisch existieren dazu mindestens vier Modelle. Sie haben alle den Nachteil – und diese Botschaft kam viel zu wenig an –, dass sie mindestens 60 Millionen Franken kosten. Um dies Deutsch und deutlich zu sagen: Erhält etwa Dietikon eine Million Franken Sozialausgleich oder Winterthur deren fünf Millionen, ist dies eine schöne Geste, ändert aber an der finanziellen Situation der beiden Städte kaum etwas.

 

Wer bezahlt?

Beim abschliessenden Podium waren sich Regierungsrätin Jacqueline Fehr, der Winterthurer Stadtrat Nicolas Galladé und Jörg Kündig einig in der Notwendigkeit des Handelns: «Nichtstun ist keine Alternative», brachte es der Gossauer Gemeindepräsident auf den Punkt. Er sprach sich als Freisinniger auch gegen eine Wettbewerbslösung in der Sozialhilfe aus, da der gesetzliche Spielraum auf der Gemeindeebene sehr klein ist. Für ihn steht zumindest kurzfristig eine Erhöhung der kantonalen Beiträge im Vordergrund.

Nicolas Galladé verlangt zweierlei: Eine Verbreitung des Wissens wie an diesem Morgen auch und vor allem unter den ParlamentarierInnen und eine rasche Hilfe, da nicht nur Winterthur wegen der Soziallasten riskiert, die übrigen Dienstleistungen zu sehr einschränken zu müssen.

Jacqueline Fehr betonte, entscheidend sei der politische Wille zu einer mehrheitsfähigen Lösung. «Es kostet mehr, und dieses Mehr muss bezahlt werden.» Ob durch eine Änderung des Finanzausgleichs oder durch eine spezielle Gesetzgebung ist für sie nicht entscheidend. Wohl aber, dass die Lösung ohne Zechprellen entsteht. Anders gesagt: Wenn etwa der Kanton den Ausgleich übernimmt, bedeutet dies entweder eine Steuererhöhung oder einen markanten Leistungsabbau andernorts. Für den weiteren Weg, gab sie der Moderatorin Esther Girsberger bekannt, ist nun entscheidend, was der Kantonsrat mit dem Jugendhilfegesetz macht. Sagt er Ja zur regierungsrätlichen Vorlage mit einem kantonalen Beitrag von 35 Prozent und den 65 Prozent der Gemeinden via Beitrag pro Einwohner, wäre dies auch für die Sozialhilfe eine gute Möglichkeit.

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