- Gemeinderat
Wer wenig verdient, soll mehr erhalten
Ganze vierzig Minuten dauerte es an der Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend, bis das längst berühmt-berüchtigte Traktandum 1, «Mitteilungen», erledigt war: Es standen zwei Fraktionserklärungen und mehrere persönliche Erklärungen an. Die gemeinsame Fraktionserklärung von FDP, GLP, SVP, Mitte und EVP verlas Michael Schmid (FDP). Es ging ein weiteres Mal um die ebenfalls längst berühmt-berüchtigten Entsorgungscoupons, konkret um den Streitpunkt, dass der Gemeinderat per Änderungsantrag in die Vorlage des Stadtrats für die neuen mobilen Recyclinghöfe die befristete Wiedereinführung von zwei Coupons für mindestens drei Jahre eingefügt hatte. Dieser Beschluss sei rechtskräftig, die zuständige Stadträtin Simone Brander (SP) müsse ihn umsetzen, sagte Michael Schmid. Indem sie in den Medien verkündet habe, dies nicht zu tun, «verweigert sie die Arbeit als gewähltes Mitglied der Exekutive». Simone Brander entgegnete ihm, der Bezirksrat habe bestätigt, dass es dafür eine separate Vorlage bräuchte und dass diese den Stimmberechtigten vorgelegt werden müsste. Zudem habe der Rat eine Parlamentarische Initiative zum selben Thema vorläufig unterstützt und eine Motion zur Revision der Verordnung über die Abfallbewirtschaftung im Zusammenhang mit dem Betrieb der dezentralen und zentralen Recyclinghöfe überwiesen. Die dereinst daraus resultierenden Entscheide des Parlaments gelte es abzuwarten.
Auch die zweite Fraktionserklärung löste Diskussionsbedarf aus: Für die AL-Fraktion drückte deren Co-Fraktionspräsident David Garcia Nuñez die Freude darüber aus, dass ein Vorstoss aus ihren Reihen Erfolg hatte, nämlich der Vorschlag, einen Platz Rosa Luxemburg zu widmen. Mit ihrem «titanischen Vermächtnis» stehe die «kleinwüchsige, gehbehinderte, ausländische, jüdische Kommunistin, die in Zürich zeitweise ohne legalen Aufenthaltsstatus lebte», für den «unermüdlichen Kampf um soziale Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie». Die AL gehe «mit bestem Beispiel voraus» und werde den neuen Platz zum Geburtstag von Rosa Luxemburg am 7. März 2026 einweihen, schloss David Garcia Nuñez. Michele Romagnolo und Samuel Balsiger (beide SVP) zeigten sich empört. Dass diese Kommunistin einen Platz bekommen solle, «das ist Kulturkampf!» sagte Balsiger und schob nach, der Stadtrat sollte sich für alle Bürger:innen einsetzen, auch für «normale». Dominik Waser (Grüne) hingegen befand, Rosa Luxemburg hätte «einen Platz, eine Strasse, ein Opernhaus, eine Velovorzugsroute…» etc. verdient. Und fügte, nun Bezug nehmend auf die erste Erklärung an, langsam sei das «Täubele» wegen der Coupons «nicht mehr ernst zu nehmen. In weiteren Erklärungen kamen, wen verwunderts, die Demo vom 11. Oktober in Bern zur Sprache und die «Verwüstung» der Büros des Zürcher Hauseigentümerverbands. Yves Henz (Grüne) zeigte sich enttäuscht darüber, dass die Buchen auf dem Üetliberggrat, zu deren Rettung die Grünen Kreis 1/2 und 6/10 der Stadt gerade eine Petition übergeben haben (siehe auch P.S. vom 16. September), bereits am letzten Freitag gefällt worden seien.
«Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein»
Von den traktandierten Geschäften gab sodann die Parlamentarische Initiative der SP-, Grüne- und AL-Fraktion am meisten zu reden, die der Rat vor einem Jahr, am 23. Oktober 2024, mit 63 Stimmen vorläufig unterstützt hatte. Sie verlangten damit die «Änderung der Verordnung über die familienergänzende Kinderbetreuung in der Stadt Zürich vom 12. März 2008» samt «Erhöhung des Grenzbetrags, Entkoppelung des Vorschulbereichs und des Schulbereichs sowie Einführung einer Progression für den individuellen Beitragsfaktor». Kommissionssprecher Marcel Tobler (SP) sprach anhand eines fiktiven Beispiels eines Paars mit Kind über unerwünschte Auswirkungen der Kombination von weniger Einkommen und gleichzeitig «grossen Mehrkosten», die das Kinder bekommen mit sich bringe. Stattdessen könnte die Stadt die Rahmenbedingungen so setzen, dass sich die Menschen Kinder leisten könnten, und vor allem auch, «dass junge Mütter nicht aus dem Arbeitsleben gedrängt werden». Kinder dürften kein «Armutsrisiko» sein, fuhr Marcel Tobler fort und verwies auf einen Vorstoss für güngstigere Tarife vom Oktober 2020. Diesen habe der Stadtrat jedoch nicht umgesetzt beziehungsweise auf die Zeit nach der vollständigen Umsetzung der Tagesschule verschoben.
Mit der Parlamentarischen Initiative sollte das massgebende Gesamteinkommen minus Abzüge ursprünglich auf 140 000 Franken festgelegt werden. Der Minimaltarif für einen ganzen Betreuungstag sollte auf zwei, der Maximaltarif auf 130 Franken festgelegt werden, und es sollten weitere Abstufungen geregelt werden. In der bereinigten Fassung, die am Mittwoch besprochen wurde, liegt der Grenzbetrag nun bei 125 000 Franken und der Minimaltarif bei drei statt zwei Franken. In die bereinigte Fassung übernommen wurde die Progression, was bedeutet, dass die bisher linear ausgestalteten einkommensabhängigen Beiträge neu in Form einer Kurve daherkommen: Wer wenig verdient, soll mehr erhalten als jene mit höheren Löhnen. Marcel Tobler führte weiter aus, die Umsetzung führe geschätzt zu zusätzlichen Kosten von 22,5 Millionen Franken pro Jahr, das entspreche ungefähr 20 Prozent dessen, was die Stadt heute für die familienergänzende Betreuung ausgibt: «Das sind etwa zwei Promille des Elf-Milliarden-Budgets und gut investiertes Geld.»
«Massiv am Ziel vorbei»
Patrik Brunner (FDP) erklärte, die Stadt gebe heute schon 88 Millionen für die Kitas aus. Dahinter stehe die FDP: «Doch die Parlamentarische Initiative schiesst massiv am Ziel vorbei.» Zudem könne es nicht sein, dass man mit Haushaltseinkommen von 200 000 Franken Subventionen bekomme: «Für einmal setzt sich die SP wirklich ‹für alle statt für wenige› ein.» Soviel Geld mit der Giesskanne, und das so kurz vor den Wahlen, das habe ein «Gschmäckli», fügte er an.
Die SVP hatte zu diesem Geschäft sogar eigens eine Fraktionserklärung verfasst, die Samuel Balsiger verlas. Das «Staats- und Politversagen im Kita-Bereich» dürfe nicht «mit Steuergeldern überdeckt» werden, sagte er. Nun wollten die Linken, die dafür verantwortlich seien, nochmals über 20 Millionen Steuerfranken ins «marode System» pumpen, «anstatt ihre Arbeit zu machen». Kurz: «Die Linken treiben die Stadt Zürich in die nächste Steuererhöhung und in die Zahlungsunfähigkeit.» Was es aus Sicht der SVP stattdessen bräuchte? «Weniger Staat, mehr Freiheit.» Mit zwei Begleitpostulaten forderte sie die Senkung des Grenzbetrags auf 90 000 Franken und die Senkung der Maximaltarife aller Angebotstypen um 20 Prozent. Beide Postulate lehnte der Rat gegen die Stimmen der SVP an. Die Parlamentarische Initiative geht nach erfolgter Beratung nun an die Redaktionskommission, die Schlussabstimmung folgt in ein paar Wochen.