«Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht»

Diesen Sommer soll es zum zweiten Frauenstreik kommen. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, haben engagierte Frauen in der ganzen Schweiz Streikkollektive gebildet. Das Frauen*streik Kollektiv Zürich lud am letzten Freitag zu einer Informationsveranstaltung.

 

Milad Al-Rafu

 

Am 14. Juni 1991 nahmen Hunderttausende von Frauen in der ganzen Schweiz an Streik- und Protestaktionen teil. Viele dieser Frauen legten ihre Arbeit nieder, machten Streikpausen und verweigerten für einmal auch privat Haushalts- und Betreuungsarbeit. Aufgerufen zum Streik hatte der Schweizerische Gewerkschaftsbund. Die verschiedenen lokalen Streikkomitees agierten jedoch dezentral und autonom. Primäre Forderung der Bewegung war die Gleichberechtigung von Frau und Mann in gesellschaftlichen sowie beruflichen Belangen.

 

In den fast dreissig Jahren seit dem ersten Frauenstreik hat sich einiges getan: Der Gleichstellungsartikel wurde im Gesetz verankert, häusliche Gewalt gilt nun als Offizialdelikt und die Mutterschaftsversicherung wurde eingeführt. Die intensiven Debatten der letzten Jahre über sexuelle Übergriffe und Geschlechterrollen rund um die MeToo-Bewegung zeigten jedoch auf, wie weit man von Gleichberechtigung tasächlich noch entfernt ist. Aus diesem Grund haben sich in der Westschweiz engagierte Frauen aus Gewerkschaften, Menschenrechts- und Frauenorganisationen dazu entschlossen, im Jahre 2019 wiederum einen schweizweiten Frauenstreik zu initiieren. Das Datum: Natürlich der 14. Juni.
In der Romandie laufen die Vorbereitungen bereits auf Hochtouren. Auch in der Deutschschweiz haben sich in den letzten Monaten verschiedene Kollektive gebildet – nur schon in der Stadt Zürich gibt es bereits deren vier. Eines dieser Kollektive, das «Frauen*streik Kollektiv Zürich, lud letzten Freitag zu einem Infoabend ein, um Fragen rund um den Streik zu beantworten.

 

Diskriminierung
«Auf Tampons wird ein höherer Steuersatz erhoben als auf Viagra», erklärt Linda, Mitglied des «Frauen*streik Kollektivs Zürich», was ein ungläubiges Raunen bei den rund 30 Personen im Maxim Theater hervorruft: Ein simpler Satz über die Besteuerung von Hygieneprodukten reicht, um die bestehende Diskriminierung von Frauen im Jahr 2019 in all ihrer Klarheit zu benennen. In ihrem Manifest bezieht sich das Kollektiv dann auch auf die kleinen sowie grossen, strukturellen Benachteiligungen, die Frauen und Mitglieder der LGBTQI-Community tagtäglich erfahren: Zu den Forderungen gehören unter anderem ein verstärktes Vorgehen gegen häusliche sowie sexualisierte Gewalt, die angemessene Würdigung und Entschädigung von Betreuungsarbeit – die immer noch mehrheitlich von Frauen ausgeübt wird – sowie das Erreichen der Lohngleichheit. Auch für eine Reduktion der Arbeitszeit sowie einen nachhaltigen Umgang mit den natürlichen Ressourcen sprechen sich die Vertreterinnen des Kollektivs aus.

 

Streikaktionen
Wie schon 1991 hängt die Organisation des Streikes stark von den einzelnen Kollektiven ab: «Der Streik ist dezentral organisiert und findet dort statt, wo die teilnehmenden Frauen leben und arbeiten», erklärt Anna, auch Mitglied des Streikkollektivs Zürich. Gemeinschaftliche Anlässe solle es in Zürich trotzdem geben: «Der Helvetiaplatz ist ab Mittag reserviert. Auch eine Schlussmobilisierung am Morgen des Streiks ist geplant.» Zudem hat man sich mit den Gewerkschaften und den anderen Kollektiven in der Schweiz darauf geeinigt, dass um 11 Uhr und um halb vier koordinierte Aktionen stattfinden werden: «Alle Frauen sind dazu aufgerufen, morgens um 11 Uhr am Arbeitsplatz für einen Moment zusammenzukommen.» Wenn möglich sollten die Frauen ihren Arbeitstag ausserdem bereits um 15.30 Uhr beenden – symbolisch für die 20 Prozent Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern.

 

Die Art des Streikes legen die beteiligten Frauen individuell fest: «Vom ganztägigen bis zum einstündigen Streik ist alles möglich. Bummelstreiks, die Verweigerung der Dienstkleidung oder das Einlegen von Streikpausen sind andere Möglichkeiten, um ein Zeichen zu setzen, ohne die Arbeit ganz niederzulegen», führt Anna aus.

 

Frauen, die in der Altenpflege, Kinderbetreuung oder im Gesundheitswesen tätig sind, sehen sich in den Vorbereitungen für den 14. Juni vor besondere Herausforderungen gestellt: «Wir können die Kitas nicht einfach für einen ganzen Tag schliessen, ohne zu gewährleisten, dass für die Betreuung der Kinder gesorgt ist», hält Lorena am Infoabend des Streikkollektives fest. Sie ist eine der InitiantInnen der «Trotzphase», einem Zusammenschluss von ausgebildeten und angehenden Fachpersonen aus der familienergänzenden Kinderbetreuung, die gegen die prekären Arbeitsbedingungen in den Kitas und Horten ankämpft. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu umgehen, sieht sie darin, Streikpausen einzulegen oder die Kitas am Nachmittag zu schliessen und sich mitsamt den Kindern auf einen öffentlichen Platz zu begeben. «Zudem versuchen wir gezielt die Väter zu sensibilisieren, sodass diese ihre Kinder an diesem Tag früher von der Kita abholen.» Generell sei man dankbar für die Unterstützung von männlicher Seite – auch wenn diese am 14. Juni für einmal nicht im Mittelpunkt stehen.

 

Das Streikbüro des Frauen*streik Kollektivs Zürich im Würfel des Parkplatzes an der Wasserwerkstrasse 110 ist jeden Freitag von 10 – 18 Uhr geöffnet

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