Wer kann, kann

Papierwanderdünen mit integrierter Orgelpfeife, Weissagungen aus dem Zellstoffbiberbau, Doppelflötenserenaden und frenetischen Jubel auslösende Sekundenzeiger. «Méta-Jean 2» ist eine Ode an die Poesie des Analogen.

 

Klang, Bewegung und Verwunderung gleich Zauber. Das ist die Formel, die sich «Méta-Jean 2» von Mischa Käser und Herwig Ursin beim Namensgeber Tinguely ausgeliehen hat, um damit sämtliche Räumlichkeiten des Kunstraums Walcheturm zu bespielen. Wie im Traum sind das Sinnhafte und das ‹nur› Faszinierende nicht scharf voneinander separierbar. Yvonne Schlatters Bühnenausstattung setzt voll auf Papier und verblüfft auch damit: Ein überdimensionierter, zerknüllter Haufen vermag hier eine makellos glatte Papierbahn zu gebären, Papiertragetaschen heften wie von Zauberhand an Wänden und Kassenrollen sind die neuen Lustfesseln. Klang kann, effektvoll eingesetzt, von Reissverschlüssen und Klebebändern ebenso in Wohlklang und Rhythmus überführt werden, wie ohrenscheinlich behender Umgang mit Holzinstrumenten, die zu diesem Zweck noch nicht einmal unbedingt in althergebrachter Manier bespielt werden müssen. Den konzentrierten Fokus des Publikums und die gespannte Erwartung auf alles, was sich aus dieser Mensch-Musik-Maschine im Verlauf einer Stunde noch alles entwickeln kann, hat das sechsköpfige Team von «Méta-Jean 2» bereits ab der ersten Minute auf sicher. Denn der Witz alias Nonsens schwingt immer auf derselben Flughöhe wie der notwendige Ernst, um aus vergleichsweise wenigen Mitteln allein durch deren meisterhafte Kombination im professionellen Einsatz ein alle Sinne umfassendes Gesamtkunstwerk herzustellen. Stimmeinsätze, ob akustisch verständlich oder bare Kunstsprache, lassen Erinnerungen an die allerersten Dada-Festspiele der Fondation Krösus hochkommen. Scheinbar ewige Wiederholungen desselben Ablaufes, die sich im Detail dann doch alle unterscheiden, stellen das Vertrauensverhältnis zur eigenen Wahrnehmung auf die Probe und steigern wie von Zauberhand den Ehrgeiz, alles im Moment und ganz genau erfassen zu wollen. Der einzige Wermutstropfen dieser fulminanten Sinneserfahrung durch Poesie ist der fehlende Replay-Kopf, aber das mit gutem Grund: Er würde viel häufiger gedrückt, als es der körperlichen Konstitution der PerformerInnen zuträglich wäre. Die Flüchtigkeit des Augenblicks umfassender poetischer Verführung wird dadurch aber erst recht zum Glückserlebnis. «Méta-Jean 2» ist eine filigran austarierte Zusammenarbeit von sechs sich formidabel ergänzenden Einzelnen oder die Beweisführung: Wer kann, kann.

«Méta-Jean 2», 14.1., Kunstraum Walcheturm, Zürich. www.trio-iii-vii-xii.ch

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