- Im Gespräch
«Wer eine andere Welt will, muss bei der Veränderung mithelfen»
Vergangene Woche haben Sie Buchvernissage gefeiert. Begonnen hat das Projekt aber als Ihre Maturaarbeit. Wie wurde aus der Arbeit ein Buch?
Cyrill Hermann: Ich wollte mich für die Maturitätsarbeit mit einem Thema auseinandersetzen, das mich auch in meinem Alltag beschäftigt. Dazumal war es die Frage, wie wir lokal gegen eine so globale Krise wie die Klimakrise kämpfen können, ohne die zu vernachlässigen, die schon heute am meisten unter ihr leiden: die Menschen im Globalen Süden. In Zusammenarbeit mit dem Verlag hat es dann aber noch einige Sitzungen gebraucht, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. So ist beispielsweise der ganze erste Teil über die Schweizer Klimabewegung entstanden, bevor es dann um die globalen Perspektiven geht.
Im Buch kommt immer wieder vor, dass sich der Klimastreik nicht auf einzelne Exponent:innen reduzieren sollte. Sie sind als alleiniger Autor nun trotzdem etwas exponiert. Wie geht es Ihnen damit?
Uns war es beim Klimastreik immer wichtig, dass es keine Schweizer Greta Thunberg oder Luisa Neubauer gab. Ich glaube, das haben wir geschafft. Ich habe mich dazu entschieden, mein Buch deshalb auch intern zur Verfügung zu stellen. Viele andere Menschen konnten ihre Anmerkungen anfügen und mitentscheiden, was am Ende im Buch steht. Wir hatten uns auch überlegt, einen kollektiven Schreibprozess zu machen. Dann haben wir aber entschieden, dass wir als Bewegung Wichtigeres zu tun haben, als gemeinsam Bücher zu schreiben.
Sie geben im Buch viel Persönliches preis. Man erfährt, wie und wo Sie aufgewachsen sind und wie Ihre Familiensituation aussieht.
Ich finde, das ist wichtig, um meine Positionalität und damit auch meine Perspektive zu verstehen. Ich bin als weisser, männlich gelesener Mensch in Zürich aufgewachsen. Das prägt meinen Blick natürlich. Zudem kann ich nicht für die ganze Klimastreikbewegung sprechen. Als ich das Buch zum Gegenlesen an meine Mitaktivist:innen gesendet habe, schrieben die zurück, dass eine Demo, die ich vielleicht super fand, für sie eher unangenehm war. Darüber hinaus habe ich auch eher einen persönlichen Zugang zu Politik. Andere haben zuerst Marx gelesen und sind dann in die Bewegung gekommen, das war bei mir nicht so.
Sie sind ja bereits in der Sekundarschule zum Klimastreik gekommen, da war nicht viel Zeit, um vorher noch Marx zu lesen.
Genau, ich ging in der zweiten Sekundarschule an meinen ersten Klimastreik. Wir hatten damals im Deutschunterricht einen Zeitungsartikel über den Streik gelesen und da beschlossen zwei Mitschüler:innen und ich, an den nächsten Streik zu gehen.
Was sind Ihre Erinnerungen an diesen ersten Streik?
Wir sind beim ersten Mal eher etwas abgeschlichen. Wir hatten Angst, dass die anderen aus unserer Klasse es vielleicht nicht cool finden würden, dass wir an eine Demonstration gehen. Umso cooler war es dann, dort zu sein und zu sehen, wie viele Menschen sich auch für dieses Thema engagieren. Für den nächsten Streik hatten wir dann unsere ganze Klasse überredet, mitzukommen, und ich begann mich in einer Arbeitsgruppe zu engagieren.
Einige Monate später kam dann der Lockdown und Sie haben sich noch stärker politisiert. Woran lag das?
Ich war gerade ans Gymnasium gewechselt und irgendwann hiess es, dass das laufende Semester nicht zähle. Dazu waren reale Kontakte ja nur sehr begrenzt möglich. Ich hatte also Zeit für Aktivismus. Zudem hatte ich mit fünfzehn auch keine Lust, nur mit meiner Familie herumzuhängen oder Bananenbrot zu backen. Ich begann mich stärker in der Bewegung zu engagieren, Aktionen zu planen, und als die Regelungen gelockert wurden, gingen wir in der Nacht Plakate aufhängen. Da hat es mich reingezogen.
Im Vorwort schreiben Sie, dass Sie mit Ihrem Buch eine Brücke zu Menschen schlagen wollen, die den Klimastreik 2019 gesehen haben und mittlerweile nicht mehr verstehen.
2019 war der Klimastreik viel in den Medien und stiess auf Sympathie. Viele Leute sind damals ein, vielleicht zwei Mal mitgelaufen oder hatten Kinder, die dabei waren. Aber die Auseinandersetzung mit der Klimakrise blieb ziemlich oberflächlich. Wir vom Streik haben uns seither intensiv mit den Ursachen der Krise und ihren verschiedenen Auswirkungen befasst. So wurden für uns Themen wie Feminismus, Kapitalismus und Kolonialismus immer wichtiger, während viele Menschen noch die Schüler:innen von 2019 im Kopf haben, die doch nur etwas fürs Klima machen wollten. Manche Leute sind irritiert davon, dass es Antifa-Fahnen oder einen feministischen Block an einer Klimademo gibt. Ich hoffe, dass mein Buch den Raum gibt, um zu zeigen, wie diese Themen zusammenhängen.
Wie erklären Sie denn diesen Graben, der in der Zwischenzeit aufgegangen ist?
Vermutlich erreicht man schlicht mehr Menschen, wenn man nur für eine Reduzierung des CO2 kämpft und die sonstigen Ungerechtigkeiten nicht infrage stellt. Ich weiss nicht, wie viele der 100 000 Demonstrierenden von 2019 sich auch als Feminist:innen bezeichnen würden. Ich glaube, für uns war es ein wichtiger Schritt, von diesem Single-Issue-Aktivismus wegzukommen, und gleichzeitig hat es uns wohl auch ein bisschen weniger fassbar gemacht. Denn selbst wenn es eine Pumpe gäbe, die CO2 aus der Luft saugen könnte, hätten wir einfach in ein paar Jahren eine Biodiversitätskrise. Unser Aktivismus zielt auf eine nachhaltige Lösung der multiplen Krisen ab.
Sie schreiben auch von der Parole «System Change, not Climate Change», die zu Beginn noch umstritten war. 2019 wurde eine Abstimmung durchgeführt, die zwar mit 45 Ja-Stimmen zu 32 Nein-Stimmen zugunsten der Parole ausging. Da Entscheidungen im Klimastreik mit einer Zweidrittelsmehrheit getroffen werden müssen, habt ihr euch zuerst auf einen Kompromiss geeinigt und die Parole nicht prominent verwendet.
Ich war bei der Abstimmung nicht dabei, aber es wurde beschlossen, dass diese Parole nur verwendet wird, wenn wir innerhalb des Systems die anderen Forderungen nicht erreichen können. In der Sektion Zürich war das aber schon seit Beginn anders. Wir hatten viele Leute, die bereits politisch aktiv waren und wussten, dass es im Kapitalismus keine Klimagerechtigkeit geben konnte. In anderen Sektionen war das aber durchaus umstrittener.
Fünf Jahre später wurde die Parole dann einstimmig beschlossen. Auch sie selber haben in der Zwischenzeit das Vertrauen in das System und die institutionelle Politik verloren. Zum ersten Mal nach dem Climate Action Plan, mit dem Sie aufzeigen wollten, wie die Schweiz Netto Null im Jahr 2030 erreichen könnte.
Wir waren wohl etwas naiv damals. Wir dachten, der Politik fehlt es einfach an Lösungen, und wenn wir die Lösungen liefern, dann wird das mit etwas Druck von den Strassen schon umgesetzt. Zudem wurde uns immer wieder vorgeworfen, keine Lösungen zu liefern. Für den über 300 Seiten langen Bericht haben wir mit über 60 Expert:innen und Wissenschaftler:innen zusammengearbeitet. Dass danach einfach nichts passiert ist und bis heute keine Partei einen Plan erarbeitet hat, wie die Schweiz das Pariser Klimaabkommen umsetzen will, finde ich schockierend und bestätigt unser Misstrauen in die institutionelle Politik.
Als zweiten Kipppunkt bezeichnen Sie, als im Westen von Deutschland 2023 das Dorf Lützerath geräumt und zerstört wurde, damit dort Kohle abgebaut werden kann.
Die Räumung von Lützerath war total sinnlos und geschah im Wissen, dass Deutschland mit einer Ausweitung des Kohleabbaus unmöglich das Pariser Klimaabkommen einhalten kann. Ich habe da das Vertrauen in die Politik verloren.
Was hat das mit Ihnen und mit dem Klimastreik gemacht?
Das war extrem schwierig. Unsere Bewegung war darauf aufgebaut, dass wir an Regierungen appellieren und sie zum Handeln zwingen. Wenn du dann merkst, dass diese Regierung nicht handelt, musst du die Strategie ändern.
Und wie ist die neue Strategie?
Wir müssen eine Gegenmacht aufbauen und als Bewegung stärker werden. Dazu gehört, sich zu organisieren mit Menschen, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind, mit Arbeiter:innen in CO2-intensiven Industrien und mit Menschen aus dem Globalen Süden. Die perfekte Strategie werden wir alleine wohl nicht finden, aber wir scheitern voran, probieren, von anderen Bewegungen zu lernen und unsere Perspektive nach Klimagerechtigkeit weiter auszuarbeiten.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass die Schweiz kein funktionierender Staat sei.
Es kommt natürlich darauf an, was einen funktionierenden Staat definiert. Aber es steht fest, dass nicht die ganze Welt wie die Schweiz leben kann, dass unser Reichtum auf der Armut des Globalen Südens basiert und dass die Mittel auch in der Schweiz enorm ungleich verteilt sind. Das System funktioniert also auch hier nicht. Zudem hält sich die Schweiz nicht an die Menschenrechte, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall der Klimaseniorinnen festgestellt hat. Und anstatt das ernst zu nehmen, wird diskutiert, ob man aus dem Gerichtshof aussteigen will. Oder das Klimaschutzgesetz, das mit 63 Prozent angenommen worden ist und jetzt im Zuge des rechten Sparpakets zusammengestrichen wird.
Neben der Schweiz geht es in Ihrem Buch immer auch um eine globale Perspektive. So haben Sie mit indigenen Sami-Aktivist:innen gesprochen, die im Norden der heutigen Staatsgebiete von Norwegen, Schweden und Finnland leben oder mit Aktivist:innen, die in Uganda gegen die Ölpipeline kämpfen. Wieso war Ihnen diese Perspektive wichtig?
Zum einen, weil ich die Verbindung zwischen Kapitalismus und neo-kolonialistischer Politik aufzeigen wollte. Es ist unglaublich, wie stark sich die Lebensrealitäten im Globalen Süden und im Globalen Norden unterscheiden und wie bis heute Geld und Ressourcen aus dem Globalen Süden in den Norden transferiert werden. Zudem haben uns indigene Aktivist:innen und jene aus dem Globalen Süden auch immer wieder zu Recht kritisiert, weil wir zu eurozentrisch sind. Dieses Problem löse ich mit dem Buch natürlich nicht, aber ich wollte ihre Kämpfe zeigen und ihre Perspektive einholen. Deshalb war es mir auch wichtig, die Interviews nicht zu kürzen und Platz zu geben, damit sie ihre eigene Geschichte erzählen können und ich nicht für sie spreche.
Im Interview mit den Aktivist:innen aus Uganda geht es auch darum, dass es ein Privileg ist, Aktivismus als Hobby auszuüben. Trotzdem ist es auch eine grosse Belastung, sich neben der Lohnarbeit noch mit politischer Arbeit zu beschäftigen.
Ich glaube, dieser Widerspruch kann sich aktuell nicht auflösen. Wenn man lohnabhängig ist und Aktivismus immer nur nebendran machen kann, ist es viel Selbstausbeutung und extrem energie- und kräftezehrend. Ich bin aber überzeugt, dass wir als Gesellschaft eine globale Verantwortung tragen und etwas ändern müssen. Es ist schon primär mega viel Arbeit, aber ich habe auch viel gelernt, Leute aus der ganzen Welt getroffen und sehr viel Ermächtigendes erlebt.
Zum Schluss Ihres Buches geht es um Hoffnung. Sie schreiben: «Man kann keine Hoffnung haben – Hoffnung ist Arbeit.» Wie meinen Sie das?
Ich finde, dass Leute nicht einfach ihre Hoffnung an andere Leute abdelegieren können. Ich hatte auch lange Hoffnung in die Klimawahl oder in andere Aktivist:innen, aber am Ende braucht es das politische Engagement von uns allen. Wer eine andere Welt will, muss bei der Veränderung mithelfen. Und zwar nie alleine, immer gemeinsam!