- Im Gespräch
«Wenn man eine Steuerdumpingpolitik macht, zieht man auch Steuerdumpingfirmen an»
Am 18. Mai wird abgestimmt, ob der Kanton Zürich seine Unternehmensgewinnsteuern von sieben auf sechs Prozent senkt. Wer würde davon profitieren?
Tobias Langenegger: Von dieser Senkung hätten nur die allergrössten Konzerne etwas. Knapp sechzig Prozent der Unternehmen bezahlen nämlich gar keine Gewinnsteuern, weil sie keinen Gewinn machen. Weitere dreissig Prozent machen einen kleinen Gewinn, die Einsparungen durch die Steuersenkung wären minimal. Nur zehn Prozent der Unternehmen im Kanton Zürich bezahlen mehr als 20 000 Franken Gewinnsteuern. Fast 85 Prozent der Steuersenkungen würden den Unternehmen zugutekommen, die mehr als eine Million Franken Gewinn erzielen. Die grosse Mehrheit der Unternehmen merkt also nichts von dieser Senkung. Dem Kanton und den Gemeinden fehlen jedoch mehr als 350 Millionen Franken pro Jahr.
Der Kanton hat hier andere Zahlen. Eine Studie, die der Kanton bei BAK-Economics in Auftrag gegeben hat, kommt auf Steuerausfälle von zwei Millionen in den ersten Jahren. Mittelfristig soll die Senkung gar keine Auswirkungen haben.
Ich habe mir die Studie angeschaut und muss sagen: Sie ist wirklich sehr abenteuerlich. Es wird davon ausgegangen, dass Unternehmen wegen eines Prozents weniger Unternehmenssteuern hierhin ziehen. Zudem haben wir mit dem ersten Schritt der Steuervorlage die Steuern bereits von acht auf sieben Prozent gesenkt. Wenn diese Vorlage nun auch noch angenommen werden würde, hätten wir innerhalb von fünf Jahren einen Viertel weniger Einnahmen aus der Unternehmensgewinnsteuer. Und das soll keine negativen Auswirkungen haben?
Wer würde denn am meisten unter der Senkung leiden?
Wir alle. Wenn diese Steuereinnahmen fehlen, bezahlt das am Ende die Bevölkerung. Einerseits indem die Steuern für natürliche Personen steigen und anderseits mit einem Abbau im Service public. Der Kanton spart jetzt schon viele Projekte zusammen und wird noch weniger investieren, wenn die Einnahmen fehlen. ‹20 Minuten› hat vorletzte Woche eine Liste veröffentlicht, die zeigt, welche Investitionen der Kanton im Falle einer Annahme als erstes aufschieben würde. Unter den 83 Investitionen sind verschiedene Bauprojekte im ÖV, Kantonsschulen, eine Datenplattform für das Universitätsspital und Investitionen bei der ZHAW. Das sind alles Investitionen, die man irgendwann machen muss. In Zukunft werden sie gar noch teurer. Dieses Vorgehen zeigt eine grundlegende Fehlannahme des Kantons.
Was meinen Sie damit?
Die Steuern sind für Firmen in Zürich nicht der entscheidende Standortfaktor. In einer Studie, in der Zürcher Unternehmen die verschiedenen Vorteile bewerteten, landeten die Steuern auf einem hinteren Rang. Die Unternehmen sind hier, weil sie den guten Bildungsstandort und die funktionierende Infrastruktur schätzen. Genau die Faktoren, die bei einer Annahme also vernachlässigt werden würden. Letzte Woche hat das japanische Techunternehmen NEC seinen Umzug nach Zürich bekannt gegeben. Meinen Sie, die haben sich überlegt, ob sie wegen der tiefen Steuern nicht lieber in den Kanton Schwyz ziehen sollen? Die Konkurrenten von Zürich sind Städte wie Berlin, Dublin, Brüssel oder London und nicht die Kantone Nidwalden oder Uri.
Trotzdem haben in den letzten sieben Jahren über tausend Unternehmen den Kanton verlassen.
Wissen Sie, wie viele Mitarbeiter:innen die Firmen, die aus der Stadt Zürich wegziehen, im Durchschnitt haben? Weniger als drei. Das sind also mehrheitlich kleine Firmen, die hypermobil sind. Solche Unternehmen können leicht in einen anderen Kanton abwandern, es reicht ja ein Briefkasten und vielleicht noch zwei Bürotische. Diese Dreipersonenfirmen gehören zudem meist zu jenen 60 Prozent der Firmen, welche gar keine Gewinnsteuern bezahlen. Grosse Unternehmen, die viele Arbeitsplätze schaffen und Steuern bezahlen, bleiben aber hier. Die oft erwähnten Abgänge sind in keinem Bereich spürbar. Der Kanton Zürich hat immer höhere Steuereinnahmen und mehr Neugründungen als Abgänge. Faktisch hat sich die Zahl der Unternehmen und Arbeitsplätze in Zürich in den letzten 20 Jahren um 40 Prozent erhöht.
Der Fraktionspräsident der SVP, Tobias Weidmann, hat im Forum von SRF gesagt, dass es noch nie einem Kanton schlechter gegangen sei, nachdem er seine Steuern gesenkt hätte.
Das ist einfach eine absurde Logik, sorry. Seit der Wirtschaftskrise 2008 gingen die Finanzmärkte konstant nach oben. All die Mindereinnahmen, die eine Steuersenkung verursacht, wurden durch das Wirtschaftswachstum kompensiert. Aber in der Finanzpolitik kann man nicht von einem unendlichen Wachstum ausgehen.
Auf den Kanton Zürich gesehen stimmt die These trotzdem. Seit der Umsetzung des ersten Teils der Steuervorlage sind die Einnahmen gestiegen.
Das stimmt zwar, aber in der Rechnung 2024 des Kantons wird zum ersten Mal eine negative Auswirkung sichtbar. Vor allem, weil mit der letzten Vorlage verschiedene Instrumente eingeführt wurden, mit denen Unternehmen ihren steuerbaren Gewinn noch reduzieren können. Diese Geschenke an die Unternehmen spüren wir jetzt allmählich. Die Einnahmen wachsen nicht mehr beliebig, sondern stagnieren langsam. Und das hängt damit zusammen, dass trotz des Wirtschaftswachstums wegen der gesenkten Steuern jetzt nicht mehr Einnahmen kommen. Wenn wir jetzt nochmals die Steuern senken, dann kann es wirklich dramatisch werden.
Es haben in den letzten Jahren nicht nur kleine Kantone mit wenig Infrastruktur ihre Unternehmenssteuern gesenkt. Basel-Stadt zum Beispiel hat die Steuern ebenfalls reduziert.
Und schauen Sie, was dort passiert ist. Die Basler Politik ist der Pharmaindustrie massiv entgegengekommen und hat ihr Zugeständnisse gemacht. Genau diese Firmen ‹höseln› jetzt Trump hinterher und investieren lieber in den USA als in Basel. Wenn man eine Steuerdumpingpolitik macht, dann zieht man Steuerdumpingfirmen an. Solche Unternehmen ziehen weiter, wenn irgendwo die Steuern noch einmal ein Prozent tiefer sind.
Der FDP-Fraktionspräsident im Kantonsrat, Claudio Zihlmann, fand im Podcast der FDP Stadt Zürich, die Steuervorlage sei auch ein Signal der Wertschätzung an die Unternehmen.
Mit einer Senkung von sieben auf sechs Prozent, von der nur die grossen Konzerne profitieren, sollen die KMU jetzt also Dankbarkeit erfahren? Ja, bravo – KMU haben genau gar nichts von dieser Steuervorlage! Zudem ist es nicht so, als ob der Kanton Zürich nie seine Steuern senken würde. Bei der letzten Budgetdebatte hat die Mehrheit im Kantonsrat den Steuerfuss von 99 auf 98 Prozent gesenkt. Eine Anfrage des SP-Kantonsrats Stefan Feldmann hat zudem gezeigt, dass der Kanton in den letzten zwanzig Jahren pro Jahr Steuersenkungen in der Höhe von 1,4 Milliarden Franken gemacht hat. Am meisten davon profitiert haben die grossen Unternehmen. Es wird bereits mehr als genug gemacht, und trotzdem will man hochideologisch weiter Steuern für Konzerne senken.
Bei einer Annahme würden auch die Gemeinden hohe Finanzeinbussen spüren. Der Stadt Zürich drohen Steuerausfälle von 100 Millionen Franken. Wie erklären Sie sich die Angriffe des Kantons auf die Stadt in letzter Zeit?
Es sind anscheinend wirklich grosse Ressentiments gegenüber der Stadt vorhanden, was dazu führt, dass man die Gemeindeautonomie missachtet. Bei Tempo 30 zum Beispiel will die bürgerliche Mehrheit im Kantonsrat die Stadt übersteuern und vor einem Monat gab er dann noch bekannt, dass er gerne einen Teil der Einnahmen aus der Grundstückgewinnsteuer von den Gemeinden hätte. Vielleicht sind die Bürgerlichen einfach verletzt, weil sie in der Stadt nicht in der Mehrheit sind und es so gut läuft. Die Stadt Zürich ist extrem erfolgreich, wirtschaftlich profitieren davon alle Gemeinden im Kanton. Ich finde es tragisch, wenn aus diesem Gefühl heraus die Stadt sabotiert wird.
FDP, SVP, Mitte und GLP, die die Vorlage befürworten, kamen bei den letzten Kantonsratswahlen zusammen auf sechzig Prozent Wähler:innenanteil. Wie sehen Sie die Erfolgschancen für ein Nein?
Ich glaube, die Chance steht gut, weil die Bevölkerung im Kanton Zürich per se kritisch ist, wenn sie das Gefühl hat, zu kurz zu kommen. Das ist eine Steuervorlage, von der rund zwanzig grosse Konzerne hauptsächlich profitieren, die Bevölkerung aber die Rechnung zahlt. Ich hoffe, die Bevölkerung hat die Nase voll von dieser Politik. Da es keine nationalen Vorlagen geben wird, ist am Ende die Mobilisierung entscheidend. Es braucht wirklich jedes Nein gegen diese masslose Klientelpolitik. Der Kantonsrat hat gar noch die Kompensation rausgestrichen, die Ernst Stocker eingebaut hat.
Sie sprechen die Erhöhung der Teilbesteuerung der Dividenden an.
Genau, da muss ich noch kurz ausholen: Aktuell werden Dividenden nur zu fünfzig Prozent besteuert, was eine absolute Frechheit ist. Alle bezahlen Steuern auf hundert Prozent ihres Lohns, aber wer mehr als zehn Prozent der Aktien eines Unternehmens besitzt und Dividenden erhält, bekommt auf diese Einnahme noch einen Steuerrabatt. Die AL wollte, dass immerhin 70 Prozent dieser Einnahmen besteuert werden, und kam bei der Abstimmung 2022 auf 49,5 Prozent Ja-Stimmen. Das hat dem Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker wohl einen Schrecken eingejagt und er hat sich entschieden, als Kompensation für die Steuersenkung den Steuerrabatt zu reduzieren, so dass immerhin sechzig Prozent der Dividendengewinne versteuert werden müssten. Die Bürgerlichen im Kantonsrat haben mit der GLP sogar noch diese Kompensation herausgestrichen.
Im Podcast sagt FDP-Fraktionspräsident Zihlmann, das sei nötig gewesen, um alle Teile der Wirtschaft abzuholen.
Zum Glück braucht man für eine Abstimmung nicht die Konzernlobby hinter sich, sondern die Bevölkerung. Ich hoffe, dass die Bevölkerung diese Abstimmung gewinnt!