- Gemeinderat
Weiterziehen, weiterbauen
Vor der letzten Sitzung des Zürcher Gemeinderats vom Mittwochabend bekam Stadtpräsidentin Corine Mauch von Bewohner:innen der Sugus-Häuser ein Riesen-Sugus überreicht: Darin befand sich eine Petition mit 27 393 Unterschriften gegen die Leerkündigung. Drinnen im Saal stand sodann die Verabschiedung von Heidi Egger (SP) an, die dem Rat während fast elf Jahren angehört hatte. In ihrem Rücktrittsschreiben stand ein Satz, über den Ratspräsident Guy Krayenbühl beim Verlesen ziemlich schmunzeln musste: Sie habe die Zeit im Rat sehr genossen, schrieb Heidi Egger, es sei schön gewesen, «etwas für Zürich bewirken zu können, beziehungsweise zu glauben, man könne es…».
Dass an diesem Abend ungewöhnlich viele Medienvertreter:innen vor Ort waren, lag daran, dass Sanija Ameti (GLP) nach dreimonatiger Abwesenheit (wegen der Folgen ihrer in den sozialen Medien geteilten Schiessübung auf ein Marienbild) ihr Comeback gab. Sie meldete sich zu einer persönlichen Erklärung, um den Ratsmitgliedern für «die ganze Liebe und Unterstützung» zu danken. Und sie fügte an, «obwohl mich die NZZ eine schiesswütige Muslimin genannt hat, seid ihr alle da, ohne Schutzweste – ich danke euch fürs Vertrauen».
Ein Lohn zum Leben
Danach befasste sich der Gemeinderat mit seinem Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Ein Lohn zum Leben» (P.S. berichtete): Am 1. März 2023 hatte der Rat eine Verordnung über den Mindestlohn der Stadt Zürich beschlossen, worauf beim Bezirksrat Zürich zwei Rekurse eingingen. Mit Beschluss vom 16. November 2023 wies der Bezirksrat diese ab. Daraufhin gelangte der Gewerbeverband der Stadt Zürich mit einer Beschwerde ans Verwaltungsgericht. Dieses hiess die Beschwerde mit Urteil vom vergangenen 17. September gut und hob die Verordnung auf. Nun hatte der Rat darüber zu befinden, ob er gegen dieses Urteil beim Bundesgericht Beschwerde einreichen will.
Kommissionssprecherin Lisa Diggelmann (SP) schickte ihren Ausführungen voraus, die Mehrheit der Kommission beantrage den Weiterzug. Zur Begründung seines Entscheids habe das Gericht darauf hingewiesen, dass weder die kantonale Verfassung noch das kantonale Sozialhilfegesetz den Gemeinden den Spielraum gäben, zusätzliche Massnahmen zur Bekämpfung von sozialer Not und Armut zu treffen, führte sie weiter aus. «Beachtenswert» sei aber, dass das Urteil nicht einstimmig getroffen worden sei. Eine Minderheit sei der Ansicht gewesen, dass bei den relativ niedrigen Ansätzen für den Mindestlohn von 23.90 Franken eine «grundsatzkonforme soziale Massnahme» vorliege, die «durchaus in der sozialpolitischen Gemeindeautonomie» liege. Das decke sich zudem mit den beiden Rechtsgutachten, die im Vorfeld zum Schluss gekommen seien, «dass die Verhinderung von Sozialhilfebedürftigkeit im Kanton Zürich eine Aufgabe der jeweiligen Gemeinden sein kann und dass das dementsprechend gesetzeskonform ist». Zusammen mit 69 Prozent der Bevölkerung, die für den Mindestlohn gestimmt hat, sei die Mehrheit der Meinung, dass ein Lohn zum Leben reichen müsse. Ein Mindestlohn von 23.90 Franken pro Stunde sei aus Sicht der Minderheit des Gerichts zudem ein «relativ niedriger Ansatz». Die Mehrheit wolle mit einer Beschwerde ans Bundesgericht gelangen – nicht zuletzt auch deshalb, weil der sehr deutliche Volksentscheid von mehr als zwei Drittel der Stimmenden umgesetzt werden muss», schloss Lisa Diggelmann.
Roger Meier (FDP) führte aus, wegen des nicht einstimmigen Entscheids des Verwaltungsgerichts anerkenne die Minderheit den «legitimen Anspruch, den Entscheid höchstrichterlich überprüfen zu lassen». Das Urteil basiere jedoch auf der Auslegung von Artikel 111 der Kantonsverfassung, und aus Sicht der Minderheit sei das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich besser für diese Aufgabe geeignet als ein höheres, eidgenössisches Gericht. Das Verwaltungsgericht sei zum Schluss gekommen, dass Artikel 111 nicht so ausgelegt werden könne, dass «zur Bekämpfung von sozialer Not und Armut hoheitlich in private Rechtsverhältnisse eingegriffen werden kann». Die Gemeinden hätten keinen Spielraum, um eine Pflicht von Privaten einzuführen, die Sozialhilfe in der Stadt sicherzustellen. Deshalb verstosse die Verordnung gemäss Verwaltungsgericht gegen übergeordnetes Recht. Das geltende Konzept der Sozialhilfe sehe klar vor, dass Sozialhilfe Aufgabe des Staates sei, und das Sozialhilfegesetz sehe keine Leistungspflicht Dritter vor. Der Staat könne deshalb seine Pflicht nicht an Private und auch nicht an Arbeitgeber ausgliedern. Die Minderheit beantrage deshalb, auf eine Beschwerde ans Bundesgericht zu verzichten. Mit 69 gegen 59 Stimmen (von SVP, FDP und GLP) beschloss der Rat den Weiterzug ans Bundesgericht.
Für Privatschulen bauen?
Bei einer Standardvorlage, einem Projektierungskredit von 3 Millionen Franken für den Ersatzneubau der Sporthalle Seefeld, kam es sodann zu einer lebhaften Debatte. Dies wegen zweier Rückweisungsanträge: FDP und SVP verlangten die Rückweisung mit dem Auftrag, das Projektbudget um 15 Prozent zu reduzieren. Die Grünen beantragten Rückweisung mit dem Auftrag, einen Ersatzneubau mit nur einer Einfachsporthalle statt zwei Einfachsporthallen zu projektieren sowie genügend Räume für Verpflegung und Betreuung einzuplanen, damit alle Schulkinder der Schulanlage Seefeld vor Ort verpflegt und betreut werden könnten. SP und GLP unterstützten die Vorlage, die AL lehne sie ab, sagte Kommissionssprecherin Liv Mahrer (SP), doch wegen diverser Abwesenheiten und Stichentscheid der Präsidentin sei die Mehrheit der Kommission dennoch für die Vorlage. Rechne: FDP 23 Sitze, SVP 14, Grüne 18 und AL 8, macht 63 Stimmen und damit eine Nein-Mehrheit im Rat, wenn alle da sind…
Yasmine Bourgeois (FDP) argumentierte wie immer, wenn Schulen gebaut werden sollen – die Schulen in anderen Gemeinden würden viel weniger kosten, die Stadt baue zu teuer und mit zu viel «Züri-Finish». Balz Bürgisser (Grüne) störte sich daran, dass die Sporthalle Seefeld an Privatschulen vermietet werde: «Soll die Stadt für Privatschulen bauen und ihnen die Hallen für einen Spottpreis von 14 Franken pro Stunde vermieten? Für deren Schüler:innen, von denen viele von ausserhalb der Stadt kommen?» Ann-Catherine Nabholz (GLP) entgegnete ihm, es würden lediglich acht Prozent der Kapazitäten dieser Hallen von Privatschulen genutzt. Sophie Blaser (AL) ärgerte sich über die «Subventionierung von Privatschulen durch die Hintertür». Dabei sei es nirgends vorgesehen, dass die Stadt den Privatschulen irgendwelche Räume baue.
Dass die Vorlage trotz allem nicht Schiffbruch erlitt, lag am spektakulären Rückwärtssalto der FDP: «Wir wollen keine Diskriminierung von Privatschulen und Sportvereine nicht benachteiligen, deshalb stimmen wir dem Projekt zähneknirschend zu», gab Yasmine Bourgeois bekannt. Mit 82 gegen 38 Stimmen (von SVP, Grünen und AL) kam der Projektierungskredit durch.