- Post Scriptum
Weidelsheil
Ich habe ja an dieser Stelle bereits einmal über die Jagd geschrieben. Es ging darum, dass ich sehr gut schiessen kann und das ein Talent ist, das ich wirklich nicht gebraucht hätte. Daran hat sich nichts geändert, obwohl man sich fragen kann, ob mangels Praxis dieses Talent auch heute noch immer so ausgeprägt ist, auch Begabung braucht Übung, nicht wahr. Interessant scheint mir, dass ich in vielen Zusammenhängen bemerkenswert oft Jagdanalogien verwende (ich möchte euch nicht langweilen, aber ich brauche sehr viele Ausdrücke aus dem Jagdvokabular, und wer jetzt die Augen rollt, macht das selber vermutlich ebenso, weil, ich habe das einmal recherchiert, Redewendungen wie «wissen, wie der Hase läuft», «am Drücker sein», «zur Strecke bringen» oder auch «durch die Lappen gehen» dazugehören, da muss man nicht mal zwingend Weidmannsheil sagen und ist trotzdem schon mitten drin). Aber wie erwähnt möchte ich hier nur bemerken, dass ich mich mit diesem Thema nun zum wiederholten Mal befasste. Oder sagen wir, befassen musste.
Denn man kann die Chose ad absurdum oder auch nur ein wenig weitertreiben (ha, treiben, von Treibjagd, wenn ihr wisst, was ich meine) und sagen, dass Wahl- und Abstimmungskämpfe selbstverständlich auch eine Form der Jagd sind und ich mich deshalb allein Berufes halber als Generalsekretärin der SP Zürich damit beschäftige und die Jagd nach Wähler:innenstimmen oder je nach dem Ja- oder Nein-Stimmen mich vermutlich stark prägt und allenfalls diesbezüglich etwas deformiert hat. Aber, musste ich nun feststellen, das ist alles eigentlich ganz harmlos. Das geht noch viel krasser, so, dass einem das Grauen kommt. Das wurde mir klar, als ich das Interview mit Alice Weidel, Bundestagsabgeordnete und Kanzlerkandidatin der AfD, in der ‹NZZ am Sonntag› las.
Ich habe die Sachen über Alice Weidel jetzt wirklich nur gelesen, weil eine Freundin letztes Wochenende meinte, es sei schlicht alles unlesbar. Ich las also alles und auch dieses Porträt und blieb ziemlich lange am Schlusssatz hängen: «Bei Kaffee und Mineralwasser, den Blick fest auf die hehren schneegleissenden Gipfel vor dem Panoramafenster gerichtet, erklärte sie ihr Ziel: die AfD zur stärksten Partei Deutschlands zu machen. «Mit neutralen Medien hätte ich die CDU schon längst überholt.» Zu mut- und zahnlos seien deren Konzepte, zu deutlich Friedrich Merz’ alleiniges Interesse am Machterhalt. «Das schaffe ich nicht bis zum 23. Februar», sagte sie. «Aber das schaffe ich bis zur nächsten Bundestagswahl.»
Wisst ihr, wie mir das vorkam? Die hat sich angeschlichen. Es fühlte sich exakt so an, als wäre da eine schon sehr lange auf der Jagd, sehr geschickt, sehr wendig, leise. Auf der Pirsch. Wir haben sie gesehen und gehört, aber sie hat sich immer wieder gekonnt der Umgebung angepasst, sich wieder eingereiht zwischen die anderen Bäume, bis sie selbst fast einer war, und dann waren wir wieder nicht ganz so sicher. Unsere Augen gewöhnten sich daran, und jede Bewegung von ihr war nur so fest, dass wir es nicht genau hätten sagen können, ob da überhaupt etwas sei. Wir, wie ein Reh auf der Lichtung. Wir, die wir uns immer wieder etwas beruhigt haben, da ist schon nichts, das Rascheln ist vom Wind, da steht schon keine. Aber natürlich war sie immer da, wir haben uns nicht getäuscht, und jetzt ist sie aus der Deckung raus, grösser, stärker, entschlossener, als wir meinten und sie will alles. Koste es, was es wolle.
Nun pirscht sie sich nicht mehr an, sie ist ganz und gar nicht mehr vorsichtig, jetzt ist sie laut, erhebt sich, lacht uns aus. Das merkt man an ihrer Sprache. Am Parteitag der AfD forderte sie Rückführungen, und «wenn es dann Remigration heissen soll, dann heisst es eben Remigration». Zuvor hatte sie diesen Begriff vermieden, denn er wird von den neuen Rechten verwendet. Aber diese Hemmung ist nun weg. Und an Stelle der Hemmung ist plötzlich eine unerwartete Frechheit und Klarheit, dass es einem kalt den Rücken runterläuft. «Da ist dieses neue Selbstbewusstsein, das einem in diesem Tagen bei jedem Gespräch mit Vertretern der AfD begegnet. Alles liegt offen zutage, und es ist völlig egal», schreibt ‹Die Zeit› dazu.
Völlig egal.