- Gedanken zur Woche
Weich, dafür unfair
Bei den umstrittenen Abstimmungen vom Wochenende bibbere ich vor allem um die Stipendien für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge. Während ich bei der Reform der Pensionskassen und bei der Biodiversität ein anderes als das gewünschte Resultat nachvollziehen kann, da es bei beiden Vorlagen reale Interessensgegensätze mit Gewinnern und Verliererinnen gibt, sehe ich dies bei einem Nein zu den Stipendien nicht. Ein Nein erschwert einfach ein paar Hundert jungen Erwachsenen eine Ausbildung und sonst gar nichts. Die SVP ergriff das Referendum ja nicht, weil sie den jungen Erwachsenen unbedingt eine Lehre vermiesen will (ein Studium schon eher), sondern weil es eine weitere Gelegenheit war, sich gegen das «Asylchaos» zu wehren. Ein Nein soll aufzeigen, dass eine Mehrheit von der laufenden Asylpolitik genug hat, dass nun die Schraube angezogen werden soll. Der SVP schloss sich die FDP an, die sich bemüht, von ihrem Motto «hart, aber fair» vor allem den ersten Teil zumindest oberflächlich zu betonen. Da sie (keine Unterstellung, sondern ihr neues Parteiprogramm) findet, es kämen zu viele Ausländer:innen in zu kurzer Zeit in die Schweiz und da sie es mit der Grosswirtschaft nicht anlegen will und somit an der Personenfreizügigkeit festhält, muss die Anzahl der Flüchtlinge reduziert werden und die Anwesenden möglichst abgeschreckt werden.
Bevor ich zur Abstimmung komme, zwei Vorbemerkungen: Es ist mir bewusst, dass Kriminelle und Terrorist:innen den Asylstatus missbrauchen, um auch in die Schweiz zu kommen und hier ihre Verbrechen zu begehen. Wer allerdings meint, die «Horden junger Muslime», die bei uns als Flüchtlinge einfallen, wären die grösste Gefahr, und mit gelöstem Migrationsproblem Europa wieder in Ordnung sein werde, soll einen Blick in das überschwemmte Osteuropa werfen, um eine vielleicht grössere Gefahr zu sehen. Dabei will ich die Terrorfrage und die Cyberkriminalität (siehe aktuell Pager im Libanon) keineswegs bagatellisieren. Die Polizei ist gefordert, sie benötigt dafür mehr Ressourcen und wohl auch mehr Möglichkeiten. Ob dafür die in Deutschland nun praktizierten und bei uns geforderten Grenzkontrollen das richtige Mittel sind, wage ich zu bezweifeln, überlasse dies aber den Fachleuten. Aber die Gefahr so abzuwenden, indem man Flüchtlinge aus Nationen wie Syrien oder Afghanistan gar nicht mehr aufnimmt, wie dies der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz verlangt, kommt einer Solidarhaftung oder Solidarverurteilung gleich. Das Folgendem zumindest sehr nahe kommt: Der Beruf des Treuhänders eignet sich zur Steuerhinterziehung bestens und es kommt auch immer wieder mal vor. Soll man nun Treuhänder verbieten oder es mindestens auf Treuhänderinnen beschränken, da Frauen ja bekanntlich weniger zur Kriminalität neigen?
Zur höheren Kriminalität der Ausländer, die in der Schweiz zutrifft, möchte ich die Untersuchung von Martin Killias in Erinnerung rufen. Ausländer:innen werden vor allem im Ausland straffälliger, keineswegs in ihrem Heimatland. Auch Schweizer benehmen sich in Mallorca anders als zu Hause. Zuschreibungen von Verbrechen an die Nationalität sind deshalb sehr mit Vorsicht zu geniessen und die Linke sollte vielleicht beim nächsten Vorwurf von Rassismus an die Polizei mitbedenken, dass Polizist:innen bei einer Kontrolle auf anderes als auf die Hautfarbe achten könnten.
Vorbemerkung zwei: Der Status vorläufig Aufgenommener ist durchaus fragwürdig. Er wird jenen verliehen, denen die individuellen Gründe für Asyl fehlen, die aber nicht in ihr Heimatland oder in ein anderes Land abgeschoben werden können. Und zwar für nicht absehbare Zeit. Hinter diesem Status steckt die Hoffnung, dass sich – etwa in Syrien – in den nächsten Jahren so viel ändert, dass man die vorläufig Aufgenommenen zurückschicken kann. Das ist derzeit für die meisten Theorie. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie in den nächsten 5 bis 10 Jahren in ihre Heimat können oder müssen, ist äusserst klein.
Ich kann verstehen, dass man den Status Vorläufig Aufgenommen abschaffen möchte, weil er ein komisches Ding zwischen Schutzstatus (wo die Rückkehr viel klarer, wenn auch nicht zeitlich definiert ist) und Asyl ist. Nur, wir haben diesen Status an recht viele Flüchtlinge vergeben und ich gehe davon aus, dass die Schweiz ein gegebenes Wort hält und sie – ausser es geschieht in ihrer Heimat etwas erfreulich Unerwartetes – dürfen bei uns bleiben.
Das stellt ganz klar die Frage in den Raum. Wie geht dieser Aufenthalt für sie und für uns am besten? Wolfgang Schäuble, kürzlich verstorbene CDU-Grösse und als Innenminister jahrelang für Flüchtlinge zuständig und alles andere als ein Softie, äussert sich in seinen Erinnerungen mehrmals sehr eindeutig: Entscheidend ist, dass die Flüchtlinge arbeiten können, für sich selber sorgen können.
Vorläufig Aufgenommene dürfen arbeiten. Sie finden mit ihren Kenntnissen allerdings oft keinen Arbeitgeber, sodass sie von Sozialgeldern leben oder schwarzarbeiten. Unsere Gesellschaft benötigt dringend ausgebildete Berufsleute und es gibt keinen Grund, vorläufig aufgenommenen Jugendlichen eine Ausbildung zu verwehren. Wer als vorläufig Aufgenommener fünf Jahre in der Schweiz und unter 25 Jahre alt ist, kann sich heute um ein Stipendium bewerben. Das Bildungsgesetz, über das wir am Sonntag abstimmen, verlangt lediglich, dass junge vorläufig Aufgenommene nicht mehr warten müssen, sondern sich sofort um ein Stipendium bewerben können.
Sie erhalten keine milde Gabe, sondern lediglich die Gelegenheit wie alle anderen Jungen, sich um ein Stipendium zu bewerben. Das verlangt, dass man eine Lehrstelle und die nötigen Deutschkenntnisse für die Berufsschule nachweisen kann oder dass man die Aufnahme in eine Mittelschule oder in eine Fachhochschule geschafft hat. Es wird also gefordert, bevor gefördert wird. Ohne dass dabei finanzielle Belastungen anfallen, da Sozialhilfe wegfällt. Ganz wie es der Freisinn will und was ja nicht einmal falsch ist.
Nur wollen sie es hier nicht anwenden. Anderseits fehlt ihnen die Härte, die vorläufig Aufgenommenen auszuweisen. Man gibt ihnen kaum echte Chancen, lässt sie in der Sozialhilfe und hofft, dass es ihnen verleidet und sie gehen. Das ist so ziemlich das Gegenteil von ihrem Asylmotto «hart, aber fair». Ich würde sagen «weich oder feige, dafür unfair». Es geht am Sonntag nicht gross um Asylpolitik, sondern lediglich im eine Chance für ein paar 100 Jugendliche auf eine Ausbildung, für die sie sich anstrengen müssen.