Wasser und Wein

 

Wasser und Wein sind derzeit ja in aller Munde. Ich trinke beides gerne, oft auch gleichzeitig. Das ist o.k. Nicht o.k. ist es, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Das ist an und für sich nichts Neues, sondern schon seit gut 170 Jahren so, als Heinrich Heine diese Redewendung in «Deutschland. Ein Wintermärchen» sozusagen erfunden hat. Über dieses könnte man auch ganz viel schreiben, was ja zuhauf auch getan wurde, weshalb ich mich hier über etwas, nun, Zeitnäheres auslasse.

 

Es gibt Weintrinker in den eigenen Reihen. Solche, die sich eine Zweitwohnung in den Bergen kaufen, solche, die sich nicht so richtig an den sehr günstigen Mietzins erinnern können, andere, die sich steuerlich optimieren.

 

Dass die Medien gerne diese Fälle aufnehmen, weil es sich so gut und trefflich und ohne grosse Vorkenntnisse über moralische Verfehlungen sogenannter Vorbilder schreiben lässt (oder um es mit Constantin Seibt zu sagen: «Es gibt in der Schweiz kaum jemand, der einen Politiker zum Vorbild hat: Wer auf Erden will wie Gaby Huber oder Gerold Bührer sein?»), ist das eine. Das andere ist, dass wir dann ebenfalls mit dem Finger auf Genossinnen und Genossen zeigen und uns empören. Ich war natürlich in all den erwähnten Fällen von Vollmers über Kiener-Nellen bis zu Leutenegger-Oberholzer (gut stehen mir 3780 Zeichen zur Verfügung bei all diesen Doppelnamen) auch zuerst etwas wüetig. Zumal es in einem Wahljahr einfach ungünstig ist.

 

Aber dann fiel mir leider ein, dass ich keinen Deut besser bin. Wenn man die eigenen Leute daran misst, ob sie sich zu 100 Prozent parteikonform verhalten, dann scheitert man zuallererst an sich selbst. Ich fliege manchmal in die Ferien, noch dazu in Europa, einfach weil es schneller und praktischer ist, und dann vergesse ich auch noch, mit MyClimate zu kompensieren. Ich kaufe nicht immer bio. Ich würde mich zwar an jedes kleine Lädeli ketten, das von der Schliessung bedroht ist, aber ich gehe dann doch oft zum Grossverteiler. Und wenn man meine Lizarbeit in den Tiefen eines Archivs ausgraben würde, könnte ich nicht für die durchgehend korrekte Zitierung garantieren. Und vermutlich habe ich noch viel schlimmere Dinge gemacht, die mir jetzt gerade nicht einfallen (hüstel). Ich kenne viele, die so leben wie ich. Ich finde es nicht gut und ich will mich bemühen, es besser zu machen. Aber es ist auch menschlich. Politiker sind menschlich. Das gilt auch für die vom anderen Lager. Ob Köppel nun wirklich untauglich war oder damals einfach nicht ins Militär wollte, obwohl er heute für eine starke Armee einsteht, ist eigentlich egal. Man darf im Laufe des Lebens gescheiter werden, aber auch dümmer.

 

Man kann vielleicht zweierlei festhalten zu diesem Thema. Einen Vorwurf müssen sich alle gefallen lassen: Es ist nicht hilfreich, wenn man, mit Fehlern konfrontiert, zuerst mit Notlügen, Ausflüchten oder Ungenauigkeit reagiert. Es bringt nichts, weil es kommt sowieso raus, wie es wirklich war. Zweitens stimmt nicht, was mir ein Freund kürzlich zu diesem Thema sagte: Wer selber immer skandalisiere, werde dann eben selbst auch so behandelt. Es ist die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern, Missstände anzuprangern, das gilt auch dann, wenn sie selber einen am Hals haben. Sonst müssten wir nämlich alle für immer schweigen.

 

Wasser predigen und Wein trinken, das darf man manchmal. Ernst wird es erst, wenn man es systematisch macht oder gar nicht erst so tut, als hätte man Wasser im Glas.

 

Man hat das Recht, auch mal einen Seich zu machen, den man dann später bereut. Das gilt für Vollmers genau so wie für Köppel, für dich und mich und meine Grossmutter. Und übrigens auch für Vera Dillier. Aber vielleicht waren da neben Wasser und Wein auch noch andere Drogen im Spiel.

 

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