Wasser als Ware

Heute ist Weltwassertag der Vereinten Nationen. Der sichere Zugang zu Trink­­wasser ist seit 2010 ein Menschenrecht, dennoch hat heute ein Viertel der Weltbevölkerung keinen Zugang zu sauberem und durchgehend verfügbarem Wasser. Im Gespräch mit Zara Zatti erklärt UNO-Korrespondent Andreas Zumach, was die Gründe für die mangelnde Wasserversorgung sind und welche Rolle dabei grosse Konzerne wie Nestlé spielen.

 

Den UNO-Weltwassertag gibt es seit 1993. Wieso hat man diesen Tag ins Leben gerufen?
Andreas Zumach: An der Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien forderten die Länder des globalen Südens, den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu einem Menschenrecht zu erklären. Die Konferenz in Wien stellt den Ursprung dieser Debatte dar, in dessen Zuge der Weltwassertag, der seither jährlich am 22. März stattfindet, ausgerufen wurde. Erst 2010, nach 17-jährigen Verhandlungen, wurde der sichere Zugang zu sauberem Trinkwasser dann tatsächlich durch eine Resolution der UNO-Generalversammlung zu einem verbindlichen Menschenrecht erklärt.

 

Haben seither mehr Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser?
In einzelnen Regionen hat sich die Situation tatsächlich verbessert. China etwa hat in den letzten 25 Jahren mehrere 100 Millionen Menschen aus der absoluten Armut geholt, und damit auch mehr Menschen den Zugang zu Wasser ermöglicht. Global betrachtet ist die Situation leider immer schlechter geworden. Der aktuelle Weltwasserbericht der UNESCO zeigt, dass 2,1 Milliarden Menschen, also mehr als ein Viertel der gesamten Erdbevölkerung, keinen Zugang zu sauberem und durchgehend verfügbarem Wasser hat, und dass 4,3 Milliarden Menschen keine sicheren sanitären Anlagen nutzen können.

 

Was sind die Gründe für diese globale Verschlechterung?
Erstens wird die Menge an überhaupt verfügbarem Wasser durch die globale Erwärmung immer kleiner, das heisst bisher für Menschen zugängliches Wasser trocknet aus. Das zweite Problem ist die Vergiftung des vorhandenen Wassers durch die Überdüngung der Felder und den Abbau von Rohstoffen. Ein Problem stellt dabei nicht nur das Fracking dar, sondern auch bestimmte Metalle, die ohne Rücksicht auf die naheliegenden Seen und Flüsse abgebaut werden. Die Überdüngung kann man darauf zurückführen, dass immer mehr Getreide für die zunehmende Fleischproduktion benötigt wird.

Welche Rolle spielen private Konzerne bei der Wasserversorgung?
Zu den oben genannten Gründen für die Verknappung kommt zusätzlich das Problem, dass auf der gesamten Welt versucht wird, die Wasserversorgung zu privatisieren, das heisst eines der wichtigsten Gemeingüter in die Hände von multinationalen Konzernen zu legen und Profitbedingungen zu unterwerfen. Überall, sei es kommunal oder in ganzen Ländern, wo eine solche Privatisierung stattgefunden hat, brachte das negative Konsequenzen für die dort lebende Bevölkerung mit sich. Hinzu kommt, dass Grossunternehmen wie Nestlé sogenanntes Water Grabbing betreiben, das heisst Wasser, das bisher frei zugänglich war, in Flaschen füllen und verkaufen. Damit verschärfen Nestlé und andere Konzerne das weltweite Problem.

 

Was sind die grössten Nachteile einer solchen Privatisierung der Wasserversorgung?
Der erste grosse Nachteil ist, dass es den privaten Betreibern in erster Linie darum geht, Gewinne zu erzielen, und sie kein Interesse daran haben, die Infrastruktur zu pflegen. In der Folge verrottet diese. Problematisch sind dabei defekte und veraltete Rohre, wodurch ein grosser Teil an Wasser verloren gehen kann oder Giftstoffe, etwa durch alte Bleirohre, ins Wasser gelangen. Hinzu kommt, dass die Preise für die KonsumentInnen steigen, und der Rückkauf einmal privatisierter Wasserversorgung ungeheuer teuer ist.

 

Wieso entscheidet sich eine Kommune überhaupt für eine Privatisierung?
Der Druck zur Privatisierung begann in den 90er Jahren. Dabei hatten die Kommunen die Illusion, dass sie durch den Verkauf ihrer Wasserversorgung so viel Geld erhalten, dass sie damit andere wichtige Aufgaben wahrnehmen können. Ich kenne aber keine Kommune, für die sich eine solche Auslagerung gelohnt hat. Gerade in Deutschland betrachten es inzwischen alle als einen grossen Fehler, die Wasserversorgung privatisiert zu haben.

 

Was kann gegen diesen Privatisierungstrend unternommen werden?
Der Widerstand muss lokal, das heisst maximal auf Landesebene stattfinden. Der jüngste Erfolg stellt die Abstimmung vom 10. Februar im Kanton Zürich dar, bei der sich rund 55 Prozent der Abstimmenden gegen die Vorlage zur weiteren Privatisierung der Wasserversorgung ausgesprochen haben. In Europa gibt es immer mehr Beispiele von Rekommunalisierungen, das heisst die Rückgabe der Wasserversorgung oder anderer Dienstleistungen in den Allgemeinbesitz.

 

Sind die Privatisierungen in Europa also tendenziell rückläufig?
Trotz den schlechten Erfahrungen, die wir seit den 90er Jahren gesammelt haben, hält der Druck zur Privatisierung und Deregulierung insgesamt an. Die Ideologie des freien Marktes hält sich nach wie vor, das hat man auch im Kanton Zürich bei der Debatte um das Wassergesetz gesehen. Auf der anderen Seite ist das kritische Bewusstsein in der Bevölkerung gewachsen, allerdings nicht in allen Ländern Europas gleich. Die Schweiz ist sicherlich ein Land, das ein starkes kritisches Bewusstsein entwickelt hat, gefolgt von Deutschland und Österreich. Aus diesem Grund erachte ich es dort als schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die Wasserversorgung ganzer Städte zu privatisieren. In Italien, Spanien oder Grossbritannien ist die Bevölkerung deutlich weniger sensibilisiert, weshalb dort die Möglichkeit einer Privatisierung grösser ist.

 

Nach einem der UNO-Entwicklungsziele sollen bis zum Jahr 2030 alle Menschen auf der Welt Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Kann dieses Ziel erreicht werden?
Das Ziel kann erreicht werden, wenn der politische Wille vorhanden ist. Von den 17 Zielen zur nachhaltigen Entwicklung, die die UNO festgelegt hat, ist der Zugang zu sicherem Wasser mit Abstand das wichtigste.

 

Auch die Water Resources Group (WRG), bei der unter anderem Nestlé und Coca-Cola, aber auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) Mitglied ist, hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Zugang zu Wasser zu verbessern. Was ist das für eine Organisation?
Die WRG gibt an, das Menschenrecht auf sauberes Wasser umsetzen zu wollen, schaut man sich die konkrete Politik an, die Nestlé und andere Grosskonzerne betreiben, hat diese Politik aber genau das Gegenteil zur Folge. Nestlé pumpt Wasser ab, füllt es in Flaschen und verkauft es zu hohen Preisen, macht also frei zugängliches Wasser zu einer Ware, die sich viele Menschen nicht leisten können.

 

Seit wann verbünden sich Entwicklungsorganisationen mit Grosskonzernen?
Im Jahr 2000 hielt der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan eine Rede am WEF. Darin beklagte er sich, dass Mitgliedsstaaten der UNO Verträge nicht umsetzen würden und wandte sich in der Folge an die Zivilgesellschaft und sogenannte Stakeholder. Nebst NGO wie Amnesty International oder kirchlichen Hilfswerken meinte er damit aber auch nationale und transnationale Wirtschaftsunternehmen. Daraufhin wurde der ‹Global Compact› begründet, ein loses Abkommen zwischen der UNO und grossen Unternehmen, bei dem sich Unternehmen zum Partner des UNO-Entwicklungsprogramms (UNDP) erklären konnten. Die Unternehmen unterzeichneten völlig vage gehaltene Verpflichtungen im Sozial- Umwelt- und Menschenrechtsbereich und konnten im Gegenzug mit dem Emblem der UNO werben. Es gibt dabei bis heute kein Monitoring oder Sanktionsmöglichkeiten. Unter den NGO löste der Global Compact eine grosse Debatte aus, die überwältigende Mehrheit, mit Ausnahme von Amnesty International, liess sich nicht darauf ein. Geht man als NGO oder Hilfsorganisation ein solches Bündnis ein, wird man nur instrumentalisiert und kann keinen relevanten Einfluss nehmen.

 

Laut der WRG kann man die bevorstehenden Investitionen für die weltweite Wasserversorgung nur bewältigen, wenn man Wasser zu einer Ware macht und so private Investoren anlockt. Wie sehen Sie das?
Das ist völlig falsch. Der Kern des Problems liegt darin, dass grosse Unternehmen, allen voran multinationale Konzerne wie die Firma Nestlé, die in über 130 Ländern Produktionsstätten besitzt, keine bis praktisch keine Steuern bezahlen. An der UNO-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung, die 2015 in Addis Abeba stattfand, wurde aufgezeigt, dass den Ländern des Südens das 100fache dessen, was sie an öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen vom Norden erhalten, entzogen wird, weil grosse Unternehmen auf raffinierte Weise keine oder nur minimale Steuerbeträge zahlen. Gäbe es eine gerechte Besteuerung, hätten wir mehr als genug Geld zur Verfügung, um die Infrastrukturen für die Wasserversorgung für alle Menschen dieser Welt herzustellen. Es ist ein verlogenes Scheinargument, zu sagen, man brauche die Ökonomisierung des Wassers, um an finanzielle Ressourcen von Unternehmen zu gelangen.

 

Ist in den nächsten Jahren mit einer entsprechenden Besteuerung zu rechnen?
An der Konferenz in Addis Abeba haben die Industriestaaten des Nordens, darunter auch die Schweiz, diese Forderung geschlossen abgelehnt. Die Staaten des Nordens weigern sich, zusammen mit den grossen Unternehmen gerechte Besteuerungen durchzusetzen. Eine der Gründungsforderungen der Attac (Association pour une taxation des transactions financières pour l‘aide aux citoyens) nach einer Transaktionssteuer konnte bis heute nicht durchgesetzt werden. Durch eine faire Besteuerung könnten viele Probleme auf dieser Welt gelöst werden. Damit sich daran etwas ändert, muss der Druck auf die Unternehmen und Regierungen stärker werden.

 

Welche Länder und Menschen sind momentan am meisten von Wasserknappheit betroffen?
Die am meisten betroffenen Länder liegen in Afrika. Die Hälfte aller Menschen, die momentan keinen oder einen unzureichenden Zugang zu sicherem Trinkwasser haben, leben in Afrika. In der Region der Sub-Sahara besitzt lediglich ein knappes Viertel aller Menschen einen sicheren Zugang zu Wasser und verfügen nur 28 Prozent über sanitäre Einrichtungen, die sie nicht mit anderen Haushalten teilen müssen. Auch die grossen Länder Asiens wie Pakistan oder Bang­ladesch sind stark von unzureichender Wasserversorgung betroffen. Allgemein hat man festgestellt, dass Stadtbewohner einen besseren Zugang zu Wasser besitzen als Bewohner von ländlichen Regionen. Im diesjährigen UNESCO-Bericht mit dem Titel «Nobody should be left behind» zeigt sich ausserdem, dass Menschen, die aufgrund ihres Geschlechts, einer körperlichen Behinderung, ihres sozioökonomischen Status oder ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder religiösen Minderheit ohnehin schon benachteiligt sind, nochmals einen schlechteren Zugang zu Wasser besitzen als andere Menschen dieser Region. In Kanada beispielsweise verfügten 40 Prozent der indigenen Bevölkerung lediglich über minderwertiges Wasser, weshalb sie überproportional von Krankheiten betroffen sind, die durch verunreinigtes Trinkwasser entstehen.
Auch Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind schlechter mit Wasser versorgt. In den Flüchtlingslagern in Jordanien, in denen seit 2011 über 800 000 syrische Flüchtlinge leben, stehen am Tag nur 35 Liter Wasser zur Verfügung, während das in Jordanien festgelegte Ziel für die Bewohner der Städte bei 100 Litern liegt.

 

Wie werden Flüchtlingslager mit Wasser versorgt?
Ich war kürzlich im Zaatari-Flüchtlingslager, dem grössten Flüchtlingscamp in Jordanien. Es gibt dort keine festen Wasserleitungen, das Wasser wird von Hilfsorganisationen, von Privaten, dem UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge und dem Welternährungsprogramm der UNO in grossen Tanklastwagen herbeigebracht.

 

Was bringt eine solch schlechte Wasserversorgung in den Flüchtlingslagern mit sich?
Viele Krankheiten in den Lagern können auf kontaminiertes Trinkwasser zurückgeführt werden. Die Cholera, die eigentlich als ausgerottet galt, kommt in den Flüchtlingslagern, aber auch in anderen Teilen der Welt, wo die Wasserversorgung unzureichend ist, wieder auf. Auslöser der Cholera ist ausschliesslich kontaminiertes Wasser und eine unzureichende Abwasserentsorgung.

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