Was hat die Politik gegen Lärm? 

Bis zu den Stadtratswahlen vom 4. März 2018 befragen wir an dieser Stelle die amtierenden StadträtInnen und die neu Kandidierenden zu einem aktuellen Thema – dieses Mal Gesundheitsvorsteherin Claudia Nielsen (SP) zum Thema «Was muss Politik, was darf Politik (nicht)?» Die Fragen stellte Nicole Soland.

 

Diese Woche wurden mit der Veröffentlichung von Recherchen zu den «Paradise Papers» nebst Steuertricks von Grosskonzernen auch heikle Geschäfte von Schweizer Firmen in Afrika enthüllt, etwa jene des Rohstoffhändlers Glencore in Kongo. Ihr Kommentar?

Claudia Nielsen: In der Politik muss man stets abwägen. Den einen Gewinne zu ermöglichen, kann bedeuten, den andern die Lebensgrundlagen zu entziehen. Kongo ist ein an Bodenschätzen unglaublich reiches Land, aber die Bevölkerung lebt in unglaublicher Armut. Jetzt kommt diese Tatsache über das Thema «gerechte Versteuerung» auch hierzulande auf den Tisch, und das ist gut so: Die Politik wird eine Rolle spielen können – und müssen.

 

In die Schweiz: Dank der Organspendeninitiative sollen künftig mehr Spenderorgane zur Verfügung stehen. Was halten Sie von dieser Volksinitiative beziehungsweise ihrer Stossrichtung? Und wie kann die Politik gewährleisten, dass wirklich alle verstehen, dass sie aktiv Nein sagen müssen, wenn sie nicht OrganspenderInnen sein wollen?

Wenn die Organspende zum Thema wird, gelangen Angehörige häufig in eine schwierige Situation und sind unter Zeitdruck. Ich würde mir wünschen, dass möglichst alle rechtzeitig mit ihren Angehörigen reden und schriftlich festhalten, ob sie ihre Organe spenden möchten oder nicht. Zudem gehen unterschiedliche Kulturen und Religionen auf unterschiedliche Art und Weise mit diesem Thema um, was es erschweren kann, sicherzustellen, dass alle die nötigen Informationen bekommen. Ich bezweifle denn auch, dass es eine Lösung gibt, die allen passt. Das Gute an der Volksinitiative ist auf jeden Fall, dass nun über ein Thema geredet wird, über das wir so oder so reden müssen.

 

Um Kosten zu senken, sollen mehr Menschen ambulant statt stationär behandelt werden. Damit werden aber auch Kosten verlagert, unter anderem zu den KrankenkassenprämienzahlerInnen, also zu uns allen. Ist das sinnvoll?

In der Gesundheitspolitik tobt ein heftiger Verteilkampf. Viele PolitikerInnen schreiben nichtsdestotrotz in ihr Wahlprogramm, dass sich nichts an den Krankenkassenprämien ändern soll, dass möglichst wenig Steuermittel zu verwenden sind, und dass obendrein alle eine Top-Gesundheitsversorgung mit voller Wahlfreiheit haben können. Nur: Das geht nicht. Wir haben eine Top-Gesundheitsversorgung – und lassen sie uns etwas kosten. Ambulant vor stationär ist für viele PatientInnen eine gute Sache, aber nicht für alle. Nehmen wir die alleinerziehende Mutter von drei kleinen Kindern, die nach einem ambulanten Eingriff am Abend wieder zuhause ist und ihre Kinder versorgen muss: Wie kann sie so genesen? Oder nehmen wir an, es benötigt jemand eine Kostengutsprache für einen Aufenthalt in einer Rehabilitationsklinik: Das ist für die Spitäler ein bürokratischer Kraftakt – und einen solch grossen Aufwand möchte ich lieber in die Medizin stecken als in die Bürokratie.

 

Sie haben kürzlich in der NZZ laut über einen Kokainabgabe-Versuch nachgedacht. Einen solchen gab es bereits in den 1990er-Jahren; er verlief nicht erfolgreich: Warum doppeln Sie trotzdem nach?

Ich habe nie behauptet, man müsse beim Kokain dasselbe machen wie seinerzeit beim Heroin; es handelt sich um zwei sehr unterschiedliche Drogen. Aber ich fordere, dass man in der ganzen Drogenpolitik wieder einen Schritt vorwärts macht. Unsere grosse Errungenschaft in der Drogenpolitik der 1990er-Jahre war bekanntlich, dass wir dem Drogenelend entgegenwirken konnten. Heute muss man sich überlegen, wie man zumindest jenem Teil der KokainkonsumentInnen helfen kann, der nicht sozial integriert ist und der Kokain häufig in einem Cocktail mit andern Drogen nimmt, was der Gesundheit meist nicht gut bekommt.

 

In der NZZ vom letzten Samstag war zu lesen, zuviel Lärmschutz könne schaden, nämlich den Bauwilligen. Albert Leiser vom Hauseigentümerverband wird zitiert, es müssten die Grenz- und Alarmwerte überprüft und allenfalls erhöht sowie die Mess- und Berechnungsmethoden geändert werden. Ihr Kommentar?

Übermässiger Lärm ist nicht etwas, was einen ein bisschen stört wie schlechtes Wetter, sondern massiv und nachgewiesenermassen gesundheitsschädigend ist. Die gesundheitlichen Folgen reichen von zu hohem Blutdruck über Schlafstörungen bis zum Herzinfarkt; dies erhöht die Gesundheitskosten. Die Politik hat auch die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung vor übermässigem Lärm geschützt wird. Auch deshalb engagiere ich mich gegen übermässigen Fluglärm und bin sehr froh, dass es uns zusammen mit andern Gemeinden gelungen ist, dass die geplanten Südstarts geradeaus während vier Stunden über Mittag nicht in den Sachplan für den Flughafen Zürich aufgenommen wurden.

 

Die Einführung von Tempo 30 als Massnahme zur Entlastung vom Lärm in der Stadt Zürich ist wegen Rekursen blockiert. Falls die Lärmsanierung bis Ende März 2018 nicht geschafft ist, drohen hohe Entschädigungsforderungen. Warum sieht die Stadt nicht ein, dass Tempo 30 politisch nicht machbar ist, und baut stattdessen einfach überall Lärmschutzfenster ein?

Die Lärmschutzverordnung hat der Bund erlassen. Er sagt klar, dass beim Lärmschutz an erster Stelle Massnahmen an der Quelle stehen – und da ist die Temporeduktion eine der wichtigsten und effizientesten Massnahmen. Was die Luft betrifft, sehen wir jetzt, nach 30 Jahren Dranbleiben, dass sich die Bemühungen gelohnt haben. Das wird auch beim Lärm so sein, nur ist diese Erkenntnis noch nicht überall angekommen. Und was die Entschädigungsforderungen betrifft, nur soviel: Da werden ein paar AnwältInnen gutes Geld verdienen, bevor das letzte Wort gesprochen ist.

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