Was für ein Zirkus!

In einer der zwei verbliebenen Oblicht-Hallen des ehemaligen Güterbahnhofs beziehen der Zirkus Chnopf und das Zirkusquartier zurzeit ihre neue Bleibe. Das haben Stadt und Zirkus längst abgemacht. Das in der anderen Halle beheimatete Art Dock wurde derweil im Ungewissen gelassen.

 

Wird die Halle 256 des ehemaligen Güterbahnhofs zum Zirkusquartier?, fragte P.S. in der Ausgabe vom 11. November im bereits dritten Artikel im Jahr 2022, der sich mit der Zukunft des Art Dock befasste. Doch der Reihe nach: Im Mai hatte Art-Dock-Gründer Ralph Baenziger einen «Notruf» an die Gemeinderätinnen und -räte abgesetzt und eine Petition lanciert. Grund: Ihm war zu Ohren gekommen, die Oblichthalle an der Hohlstrasse 256 müsse dem Zirkus Chnopf und dem Zirkusquartier Platz machen. Dies, weil Letztere während des Neubaus des Koch-Quartiers eine Übergangslösung bräuchten. Bei der Stadt hiess es damals jedoch, die Details der zukünftigen Nutzungen würden noch ausgearbeitet, und die Stadt sei mit den verschiedenen Beteiligten im Gespräch (siehe P.S. vom 20. Mai).

 

Im September erfuhr P.S., dass die Bausektion des Zürcher Stadtrats bereits am 3. Januar 2022 einen Bauentscheid an Kanton und Bauherrschaft (Art Dock / Ralph Baenziger) verschickt hatte. Gegenstand dieses Entscheids war das «Gesuch um Verlängerung der Zwischennutzung der Güterhalle des ehemaligen Güterbahnhofs bis zum 31. Dezember 2026 (…)». Diesen Entscheid könne man nur so verstehen, dass beide Hallen mit den Hausnummern 256 und 258 und der sogenannte Tagischopf mit der Hausnummer 260 nur für Ausstellungen bzw. als Infocenter fürs unterdessen fertiggestellte Polizei- und Justizzentrum PJZ genutzt werden dürften. Denn für andere Nutzungen fehlten alle Bau-/Betriebsbewilligungen, erklärte Ralph Baenziger damals. 

 

Die Hallen dürften zudem «nur bei nachweisbarem Kulturgüterschutz auf maximal 10 Grad und sonst gar nicht temperiert» werden, da sie nicht isoliert sind. Dieser Darstellung entgegnete die Stadt, man habe von Anfang an offengelegt, dass ein Hallenteil einer anderen Zwischennutzung zugeführt werde (siehe P.S. vom 16. September). Wenn das so sei, frage er sich, weshalb die nötigen Bewilligungen für den Zirkus nicht längst eingeholt worden seien, statt die Halle leerstehen zu lassen, merkt Ralph Baenziger dazu an.

 

Im November schliesslich wurde P.S. ein Brief zugespielt, der vom Juni 2021 stammt – also bereits über ein Jahr alt ist. Er ist mit «Letter of Intent» überschrieben und an die Liegenschaftsverwaltung der Stadt Zürich adressiert. Darin heisst es, aus dem «engen Austausch» der Vereine Zitrone, Zirkusquartier Zürich und Zirkus Chnopf sei die Gruppierung GüZN entstanden, «welche hiermit Interesse an der Zwischennutzung des Gebäudes Hohlstrasse 256 auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs bekundet». Und im Jahresbericht 2021 des Zirkusquartiers ist unter dem Titel «Neue Zwischennutzung im Güterbahnhof» zu lesen, «während in Altstetten bald am ‹Koch-Quartier› gebaut wird, beziehen Zirkus Chnopf und Zirkusquartier 2023 eine neue Zwischennutzung im Güterbahnhof an der Hardbrücke». Wenn aber seit Ende 2021 alles klar ist, weshalb erhielten dann Ralph Baenziger und die Öffentlichkeit noch im Herbst 2022 die Auskunft, es sei «noch nicht definitiv bestimmt», wer die Halle 256 erhält? Auf entsprechende Anfrage verwies man bei der Stadt erneut auf die «noch laufenden Abklärungen» (siehe P.S. vom 11. November).

 

(Nicht-)Kommunikation

Nun, Mitte Dezember, sind die Zirkusleute tatsächlich daran, die Halle 256 einzurichten und dort einzuziehen. Das erklärt der Co-Leiter des Zirkus Chnopf, Konrad Utzinger, auf Anfrage. Man sei schon seit Längerem im Gespräch mit der Stadt, habe jedoch erst einen vorläufigen Vertrag. Die Eröffnung werde voraussichtlich Ende Februar, Anfang März stattfinden, und der Zirkus könne bis 2026 bleiben. Bei der Stadt bestätigt Patrick Pons, Leiter Kommunikation des Finanzdepartements, dass ein befristeter Vertrag zwischen der Stadt und den Zirkusvereinen Chnopf und Zirkusquartier bis Ende 2022 bestehe. Ab 2023 sei eine Nutzung durch die beiden Zirkusvereine vorgesehen bis Ende August 2026, der Vertrag sei aber noch nicht unterzeichnet. Die Halle 256 könne «in Form der bewilligten Nutzung» genutzt werden. Ralph Baenziger wiederum betont, er glaube nicht, dass es möglich sei, für die vom Zirkus genutzte Halle eine Umbaubewilligung zu bekommen. Denn dafür bräuchte es seiner Ansicht nach zuerst eine Nutzungsbewilligung, die nebst Ausstellungen und Infocenter auch Zirkusvorstellungen umfasst, und es bräuchte die Erlaubnis, die Halle zu beheizen, was bei einer nicht isolierten Halle wegen «krasser Energieverschwendung» unwahrscheinlich sei: «Es sieht so aus, als würden mit dem Einzug Tatsachen geschaffen, um später Grundlagen fürs Erteilen von Bewilligungen zu haben», fasst Ralph Baenziger seine Befürchtung zusammen. Zum Vorwurf des «im Ungewissen lassen» erklärt Patrick Pons schliesslich noch, Ralph Baenziger sei zumindest mündlich informiert worden.

 

AL-Gemeinderat Walter Angst, der sich im März 2020 im Stadtparlament für den Erhalt der damals abbruchgefährdeten beiden letzten Hallen des ehemaligen Güterbahnhofs eingesetzt hatte, bedauert «die verwirrende Kommunikation der Behörden». Die involvierten städtischen Stellen seien nie mit Art Dock und Zirkus an einen Tisch gesessen. Statt offene Fragen zu klären, seien immer wieder neue «Faits accomplis» geschaffen worden. «Das hat zu unnötigen Spannungen geführt.» Walter Angst sieht noch ein weiteres Problem: Damit das Art Dock mit der verbliebenen Halle bis zum voraussichtlichen Ende der Zwischennutzung im Jahr 2026 etwas Sinnvolles anfangen könne, brauche es auch Geld. Deshalb hat er einen Antrag auf einen einmaligen Betriebsbeitrag von 100 000 Franken für die «Umsetzung der Zwischennutzung im Güterbahnhof» gestellt. Gegenüber P.S. begründete er den Antrag unter anderem damit, da Zirkusse in Zürich unter «Kultur» liefen, könne es kaum verkehrt sein, auch das Ausstellen von Zürcher Kunst aus dem Kulturbudget zu unterstützen. Der Gemeinderat hat seinem Antrag am Mittwoch anlässlich der Beratung des städtischen Budgets 2023 zugestimmt.

 

Noch offen ist, wie es mit der Idee weitergeht, die Kellergewölbe unter den beiden Güterbahnhofhallen für Untergrund-Expos zu nutzen (siehe P.S. vom 11. November). Die geplante Weihnachtsausstellung in der Halle 258 jedoch öffnet am Sonntag, 18. Dezember um 15 Uhr ihre Tore. Sie bietet allen Interessierten einen Einblick in das Schaffen von Zürcher Künstlerinnen und Künstlern.

 

Weitere Informationen unter www.art-dock-zh.ch

 

 

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