Was für ein Gefühl

Ich möchte gerne wissen, was es für ein Gefühl ist. Das würde mich sehr interessieren. Fühlt es sich an wie ein Erfolg? Ein Sieg? Oder ist es mehr einfach eine Genugtuung? Macht man eine gute Flasche Wein auf? Champagner sogar? Ich muss das Alexander Brunner von der FDP persönlich einmal fragen, er wird es ja wohl am besten beschreiben können, denn er hat es kürzlich gerade erlebt! 

 

Gemeinderat Alexander Brunner hat die Beschwerde zur Basishilfe an den Zürcher Bezirksrat formuliert, weil er und mit ihm seine Partei in diesem unbürokratischen, schnellen und effizienten Hilfsangebot für Menschen in Not eine Umgehung kantonaler und nationaler Gesetze sehen. Der Bezirksrat hat ihm erstinstanzlich Recht gegeben. Konkret geht es um 160 000 Franken, die bis zu diesem Zeitpunkt an Hilfswerke ausbezahlt worden sind, die das Geld wiederum Sans-Papiers und AusländerInnen zukommen liessen, die die Sozialhilfe, die ihnen zustehen würde, nicht beziehen wollen, aus Angst vor negativen Folgen für ihren Aufenthaltsstatus. Das sind die Menschen, die in der Pandemie als Schlangen sichtbar wurden, als Schlangen vor Essensausgabestellen. Es bleibt nun beim Beschluss des Bezirksrats, weil die Stadtkanzlei die Frist für den Rekurs an den Regierungsrat verpasst hat. Das ist eine Tragödie für sich und eine Geschichte für einen anderen Tag. Was heute zählt: Die Basishilfe ist vorerst tot.

 

Was mich umtreibt ist die Frage nach dem Gefühl, das sich einstellt, wenn man also gewonnen hat und deshalb diese Menschen, die das Geld bekommen haben und viele andere, die es noch nicht erhalten haben, wieder in der Schlange stehen werden, um zu Essen zu kommen. Dominiert jetzt, das möchte ich von Herrn Brunner wissen, dominiert jetzt das Erfolgsgefühl oder mehr so die Scham?

 

Wobei die Scham mir ein politisch exklusiv linkes Gefühl zu sein scheint, denn anders ist nicht zu erklären, dass der Kantonsrat Claudio Schmid von der SVP diese Woche vom Regierungsrat wissen wollte, ob es sich bei dieser Basishilfe nun um eine strafrechtlich relevante Form der Begünstigung handle. «Jemand ist widerrechtlich bereichert, jemand entreichert worden», steht in seiner Anfrage. Ob die Begünstigten das Geld jetzt zurückzahlen müssen, will er wissen. Und ich rede von Scham, nicht von Dummheit, weil für Dummheit kann man nichts, aber sich schämen, nun, das geht mit jedem Kopf, ganz gleich wie hohl er ist. Als radikale Rechtsstaatlerin bin ich der Überzeugung, dass Gesetze für alle und überall gelten. Kann es Ausnahmen geben? Nein. Muss man dabei alles, was mutmasslich nicht ganz Rechtens ist, anzeigen? Nein. Es ist ein Dilemma. 

 

Denn abgesehen davon, dass die Bundesverfassung das Recht auf Hilfe in Notlagen garantiert und der Stadtrat somit genauso gehandelt hat, wie er handeln durfte und musste, stellt sich die Frage, wem der Stadtrat mit der Basishilfe schaden würde, hätte er etwas Unrechtes getan. Wem tun die 160 000 Franken weh, wem die zwei Millionen, die er maximal ausgeben wollte? Gibt es Bereicherte und Entreicherte? Es ist wenig Geld für die Stadt und den sogenannten Steuerzahler, es ist viel Geld für die, die es erhalten hätten. Für die einen ein Klacks, für andere die Rettung. In diesem Dilemma hat die FDP nun den Wahlkampf höher gewichtet als alles andere, und alles andere meint hier Menschen in Not, die in der grössten Krise der jüngeren Vergangenheit der Schweiz Hunger litten.  

 

Ich möchte gerne wissen, was es für ein Gefühl ist, wenn man sich dermassen schämen muss.

 

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