Was die Biene wärmt, murkst die Milbe ab

Für die Bestäubung von Früchten und Gemüsen sind Bienen unerlässlich. Doch jährlich stirbt jedes fünfte Honigbienenvolk an den Folgen eines Befalls mit Parasiten, den Varroa-Milben. Über die Erfindung seines Startups Vatorex AG, mit der die Milbe ganz ohne Chemie bekämpft werden kann, gibt Imker Willi Brunner im Gespräch mit Nicole Soland Auskunft.

 

Sie haben eine Erfindung patentieren lassen, die dazu dient, die Varroa-Milbe ohne den Einsatz von Chemie zu bekämpfen. Wie sind Sie darauf gekommen?

Willi Brunner: Im Jahr 2012 las ich auf einem langen Flug die ‹Bienen-Zeitung›. Darin fand sich ein Bericht über den sogenannten Varroa-Controller, ein damals neues Gerät eines österreichischen Erfinders, das auf Wärmebehandlung basiert, der Hyperthermie. Der Grundgedanke dahinter ist der, dass die Bienen höhere Temperarturen vertragen als die Varroa-Milbe. Um den Varroa-Controller einsetzen zu können, werden erst die Bienen entfernt, dann behandelt man die Brutwaben mit Wärme, und schliesslich werden die Bienen wieder eingesetzt. Das dauert natürlich seine Zeit. In der ‹Bienen-Zeitung› hiess es aber auch, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass diese Methode funktioniert.

 

Sie aber waren offensichtlich nicht überzeugt von diesem System?

Ich begann sogleich zu rechnen: Ich habe rund hundert Bienenvölker und drei bis sechs Brutwaben pro Volk. Diese Behandlung durchzuführen, wäre für mich demnach ein Vollzeitjob. Ich bin aber Biologe und lediglich Hobby-Imker, wenn auch seit 50 Jahren – ich habe mit zehn Jahren mit dem Bienenzüchten angefangen. Zum Glück kam ich nach der Lektüre des Artikels mit meinem Sitznachbar im Flugzeug, einem Elektroingenieur, ins Gespräch. Er meinte, man könnte die Wabe doch auch mit einer Art Bodenheizung ausstatten, womit sich die Wärmebehandlung ohne Entfernen und wieder Einsetzen der Bienen erreichen liesse.

 

Das tönt im ersten Moment derart einfach und logisch, dass sich als nächste Frage aufdrängt, warum nicht längst jemand darauf gekommen ist?

Genau das fragte ich mich auch – und machte mich sofort daran, ein solches System zu entwickeln. Zuerst probierte ich es mit Heizmatten, doch so liess sich die Temperatur nicht gut regeln. So kam ich auf die Idee, einen isolierten Draht zu nehmen, einen sogenannten Kaltleiter, dessen Widerstand in vordefinierter Weise grösser wird, je höher die Temperatur steigt. Dieser Heizdraht wird in die Brutwabe eingelegt und mit einem Verteiler verbunden, und dieser wird an die Steuerung angeschlossen. Nun wird jede Wabe einzeln erst während rund einer Stunde aufgeheizt, und danach wird die Temperatur während zwei Stunden konstant auf 41 Grad Celsius gehalten.

 

Sie haben doch gesagt, Sie seien Biologe, nicht Elektroingenieur?

Ja, und an diesem Punkt meiner Pröbeleien angelangt, wollte ich denn auch jemanden vom Fach beiziehen: Der Elektroingenieur und ETH-Absolvent Renato Cortesi ist ebenso Mitgründer unseres Startups wie mein Sohn Pascal Brunner, der damals, ebenfalls an der ETH, sein Studium in Bewegungswissenschaften und Sport abschloss. Er fand, unser Vorhaben sei «ein interessanter Fall» und wollte mitmachen. Also starteten wir 2015 das Projekt Vatorex und gründeten 2016 die Vatorex AG mit dem heute 28-jährigen Pascal als Geschäftsführer. In meinem Alter wollte ich nicht noch Chef werden, da hätte ich ja gleich die Geschäftsübergabe mitplanen müssen.

 

Diesen Frühling, also doch einige Zeit nach der Gründung, haben Sie ein Crowdfunding gestartet: Für was genau, und weshalb gerade jetzt?

Ganz am Anfang des Projekts haben wir die Waben von Hand mit dem Draht bestückt. Nach einem Tag Arbeit in der Werkstatt beim Hantieren mit den vier Millimeter starken Drähten hatte ich am Abend 30 Waben fertig, was für fünf bis zehn Völker reichte. Dann hatte ich aber aufgerissene, schmerzende Hände. Der nächste Schritt war eine halbautomatische Wabenmaschine, mit der wir heute bis zu 120 Waben pro Tag produzieren können. Allerdings fällt auch hierbei immer noch manuelle Arbeit an. Da lag es nahe, einen Vollautomaten zu konstruieren. Das hat allerdings unser Budget gesprengt, weshalb die automatische Wabenmaschine halbfertig herumsteht. Deshalb haben wir das Crowdfunding gestartet und wollen das Geld dafür einsetzen, sie fertig auszurüsten, sodass wir künftig bis zu 1200 Waben pro Tag produzieren können.

 

Die Wabenmaschine haben Sie ebenfalls erst erfinden müssen, nehme ich an.

Der Prototyp stammt von einem jungen Mann, der bei uns ein Praktikum machte. Er hat ihn im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit an der ETH konstruiert, und die Software hat Renato Cortesi programmiert. Die neue Wabenmaschine soll dann effektiv so viel wie möglich automatisch machen, so dass sie auch jemand ohne technisches Vorwissen bedienen kann, beispielsweise ein Teilzeitangestellter.

 

Sie hatten das Crowdfunding kaum aufgeschaltet, schon waren die 50 000 Franken da: Wie erklären Sie sich die grosse Resonanz?

Wir haben im Vorfeld unsere privaten Kontakte angeschrieben und mobilisiert, und so kamen 10 000 Franken am ersten Wochenende zusammen. Dann kam in ‹20 Minuten› ein Artikel über uns und das Crowdfunding – einen Tag später hatten wir unser Sammelziel erreicht. Das hat mich völlig überrascht; dass die Reichweite dieser Zeitung derart gross ist, hätte ich nicht gedacht. Ich bekam sogar Anrufe aus Australien und Argentinien.

 

Das Ziel ist erreicht, doch das Crowdfunding läuft weiter: Was machen Sie mit dem Geld, das jetzt noch hereinkommt?

Jeder zusätzliche Franken kommt den Imkerinnen und Imkern zugute: Sie können sich für ein gratis Vatorex-System bewerben. Je motivierter jemand ist, das System zu testen, desto grösser sind die Chancen…

 

Ist das Vatorex-System denn so teuer, dass es sich interessierte ImkerInnen nicht leisten können?

Die Anfangsinvestition beträgt 250 Franken pro Bienenvolk, in den nachfolgenden Jahren sind es dann noch acht bis zwölf Franken pro Volk. Wer zehn Völker hat, muss folglich zum Start 2500 Franken in die Hand nehmen.

 

Wie setzen sich diese 250 Franken Kosten zusammen?

Teuer sind vor allem die drei eingebauten Elektronik-Controller, denn diese produzieren wir in Serien von ein paar hundert bis ein paar tausend Stück. Will man elektronische Bauteile günstig produzieren, muss man in Fernost Serien ab 50- bis 100 000 Stück herstellen lassen; dann zählt nur noch der Strom. Wir wollen aber in der Schweiz bleiben.

 

Viel günstiger wird Ihr System demnach auch mit der neuen Maschine nicht.

Das stimmt, doch wir wollen ja hauptsächlich jenen BienenzüchterInnen eine Alternative anbieten, die weder Chemie einsetzen noch ihre Bienen an die Varroa-Milbe verlieren möchten. Gesunde Bienen und ein anwenderfreundliches System stehen für uns im Vordergrund.

 

Umgekehrt dürften auch die üblichen chemischen Mittel zur Bekämpfung der Varroa-Milbe ihren Preis haben.

Das Vatorex-System ist in weniger als zwei Jahren amortisiert, und wenn man die für die Anwendung benötigte Zeit und die Verluste an Bienenvölkern mitrechnet, ist es nicht teurer als die gebräuchliche chemische Varroa-Bekämpfung. Zudem steigt die Skepsis gegenüber chemischen Mitteln generell an, und bei der chemischen Varroa-Behandlung bilden sich mit der Zeit Resistenzen. Wenn man die Chemie nicht korrekt anwendet, können sogar Reste davon im Honig nachgewiesen werden. Der grösste Vorteil des Vatorex-Systems ist aber, dass man es im März einschaltet und im November abstellt – und ansonsten nichts damit zu tun hat.

 

Aber zuerst muss man noch rasch eine elektrische Leitung zum Bienenhaus legen?

Nein, das ist nicht nötig, denn wir bieten unser System mit zwei 100-Watt-Solarpanels sowie mit einer Batterie an. Dies funktioniert bestens, da ja der Widerstand limitiert ist und die beheizbare Fläche ebenso. Die Waben werden eine nach der andern beheizt, und alle 16 Tage startet automatisch ein neuer Heiz-Zyklus.

 

Und die Bienen geraten bei 41 Grad garantiert nicht zu stark ins Schwitzen? Immerhin funktionieren alle andern Hyperthermie-Systeme so wie der Varroa-Controller – geheizt wird nur, wenn die Bienen ausser Haus sind.

In keinem System werden alle Milben getötet und alle Bienen verschont, sprich, auch bei der chemischen Behandlung und beim Varroa-Controller gibt es Verluste. Mit unserem System töten wir bei einer Behandlung über 90 Prozent der Varroa-Nachkommen, und die Gesamt-Milbenpopulation nimmt um 50 Prozent ab. Zusätzlich gibt es einen kleineren Wiederanstieg der Milbenzahl als beim Einsatz von Chemie. Die Drohnenbrut heizen wir gar nicht, denn die Drohnen brauchen kühlere Temperaturen und sind deshalb stets in der Randzone der Waben zuhause, wo es von Natur aus kühler ist.

 

Wie gross sind die Bienenverluste in Zahlen?

Jene Larven, die noch sehr klein sind, sterben zum Teil ab. Doch man muss wissen, dass regelmässig bis zu 20 Prozent der Larven auf «natürliche Weise» sterben, und zwar durch Kannibalismus: Sind beispielsweise das Wetter oder der Pollenfluss schlecht oder fehlt es an Futter, weil es einen plötzlichen Kälteeinbruch gab, dann fressen die Bienen jene Brut auf, die nicht durchgefüttert werden kann und sonst verfaulen würde. Damit beugen sie nicht zuletzt Krankheiten vor. Bei den Bienen gibt es, wie bei anderen Tieren auch, keine ethischen Überlegungen, sondern es zählt allein das Überleben des Volks.

 

Wie wirkt sich das Vatorex-System auf die Honigernte aus?

Dank der Wärmebehandlung schwitzen sich die Bienen gesund, und gesündere Bienen liefern mehr Honig. Der Mehrertrag dank Vatorex-System beträgt rund ein Kilo Honig pro Volk.

 

Dass der «Varroa Controller» funktioniert, ist wissenschaftlich erwiesen. Ist Ihr System ebenfalls wissenschaftlich untersucht worden?

Wir haben letztes Jahr einen Versuch mit 70 Bienenvölkern gestartet: 35 Völker lebten in Bienenstöcken mit Vatorex-System, 35 Völker bildeten die Kontrollgruppe und lebten in Stöcken ohne unser System. Von ersteren ernteten wir substantiell mehr Honig, und die Populationsentwicklung war um 31 Prozent signifikant verbessert, sprich, mit unserem System gibt es weniger Bienenverluste.

 

Sie schreiben auf Ihrer Website, die Honigbiene sei das drittwichtigste Nutztier der Schweiz. Das tönt gewaltig: Sind die Wildbienen und andere Insekten für die Bestäubung von Früchten und Gemüsen nicht ebenso wichtig?

Honigbienen sind für fast 80 Prozent der Bestäubung von Wild- und Nutzpflanzen zuständig. Dadurch halten sie die Biodiversität aufrecht und sind hinter Rind und Schwein das drittwichtigste Nutztier der Schweiz. Die Vielfalt an Nahrungsmitteln hierzulande wird durch die Bestäubungsarbeit der Bienen gesichert, und sie sind hauptverantwortlich für die ökologische Artenvielfalt und unsere bunt blühende Natur. Die Wildbienenpopulation ist zahlenmässig viel kleiner als die der Honigbienen. Dennoch liegt es uns fern, die Honigbiene gegen die Wildbiene auszuspielen: Es braucht beide gleichermassen. Die Wildbienen sind früher unterwegs, die Honigbienen dafür viel zahlreicher. Zudem blüht ja nie alles gleichzeitig: Ohne Honigbienen gäbe es beispielsweise weder Raps noch Mandeln noch Äpfel.

 

Weitere Infos über das Vatorex-System unter
www.vatorex.ch

 

Crowdfunding-Website: https://wemakeit.com/projects/save-the-bees

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