Warum auch die Linke gegen die Lenkungsabgabe stimmte

Lieber den Förder-Spatz in der Hand als die Lenkungs-Taube auf dem Dach. Dieses Motto prägt jetzt auch die linke Energiepolitik. Damit konnte der Nationalrat die Verfassungsvorlage für eine Lenkungsabgabe am Mittwoch oppositionslos versenken.

 

Hanspeter Guggenbühl

 

Im Grundsatz «Ja», im konkreten Fall «Nein». Dieses Schicksal verfolgt Vorlagen für Lenkungsabgaben seit Jahrzehnten: Gelobt werden Lenkungs- oder Ökosteuern, weil sie nicht erneuerbarer Energie und anderen Naturgütern einen Preis geben und damit deren Plünderung mit marktwirtschaftlichem Anreiz drosseln. So kommt die jüngste Nationalfondsstudie unter dem Titel «Steuerung des Energieverbrauchs» (NFP 71) zum Schluss: «Lenkung ist erheblich effizienter und bis zu fünfmal kostengünstiger als Förderung.»

 

Trotzdem setzt die Energiepolitik bislang auf Förderabgaben, um energetische Sanierungen und erneuerbare Stromproduktion zu subventionieren. Anträge auf Lenkungsabgaben hingegen scheiterten trotz grundsätzlicher Sympathie stets am bürgerlichen Widerstand, weil sie angeblich zu hoch oder zu tief waren, zum falschen Zeitpunkt kamen, oder weil man sich über die Kompensation oder Rückverteilung des Ertrags uneinig war. Das gleiche Schicksal erleidet jetzt auch die  neuste Vorlage mit dem Kürzel «KELS» (Klima- und Energielenkungssystem). Das Neue daran: Diesmal sind nicht nur die bürgerlichen Parteien dagegen, sondern auch die SP und die Grünen.

 

Verfassungsartikel als Grundlage

 

Bei der KELS handelt es sich um einen allgemein formulierten Verfassungsartikel. Er soll die Grundlage für die zweite Umsetzungsetappe der Energiestrategie bilden und die heutigen Förder- sukzessive durch Lenkungsabgaben auf allen Energieträgern ablösen. Demnach «kann der Bund eine Abgabe auf Brenn- und Treibstoffen (Klimaabgabe) und eine Stromabgabe erheben». Einen Teil des Ertrags muss der Bund vorübergehend noch zur Finanzierung der heutigen Fördermassnahmen (Gebäudesanierungen, Quersubventionen für Ökostrom, etc.) verwenden.

 

Langfristig soll der gesamte Ertrag an Wirtschaft und Bevölkerung zurückverteilt werden nach dem Prinzip: Wer weniger Energie als der Durchschnitt verbraucht, wird unter dem Strich finanziell belohnt. Der Verfassungsartikel lässt aber offen, wie hoch die Abgaben ausfallen und welche Energieträger sie wie stark belasten; das sollen später die Ausführungsgesetze regeln.

 

Widerstand von allen Fraktionen

 

Der Sukkurs für diese KELS-Vorlage blieb schon im Bundesrat flau. Doris Leuthard sagte mehrmals, sie sei gegenüber Lenkungsabgaben «skeptisch». Und der neu zuständige Finanzminister Ueli Maurer steht seiner Vorgängerin Widmer-Schlumpf, welche die KELS-Vorlage aufgleiste, weniger nah als seiner SVP, die alle Ökoabgaben schroff ablehnt. Maurer verzichtete darum darauf, den Antrag des Bundesrates im Parlament zu verteidigen.

 

Darauf beschloss der Nationalrat am Mittwoch, ohne Gegenantrag und somit ohne Abstimmung, auf die KELS-Vorlage gar nicht erst einzutreten (der wohl gleiche Entscheid im Ständerat folgt voraussichtlich im Sommer). Doch so einhellig diese Abfuhr ausfiel, so vielfältig waren die Motive, die in der Debatte zum Ausdruck kamen:

 

Die SVP lehnt schon die bestehenden Förder- und Lenkungsabgaben strikte ab. Die FDP will keine neuen Abgaben und verlangt, dass die teilweise Zweckbindung der bestehenden Abgaben zur Förderung von Gebäudesanierungen und erneuerbarer Energienutzung möglichst schnell abgeschafft wird. Die Mitte-Parteien CVP und BDP sind im Grundsatz weiterhin für Lenkungsabgaben, meinen aber, diese liessen sich in der Praxis nicht umsetzen und seien darum politisch chancenlos.

 

«Es braucht keine Verfassungsänderung»

 

Bemerkenswert war, dass auch SP, Grüne und Grünliberale die Vorlage geschlossen ablehnten. Warum diese linke Kehrtwende? «Wir lehnen die Vorlage ab, weil sie wirksame (Förder-) Massnahmen abbaut, ohne an deren Stelle griffige Lenkungsmassnahmen vorzusehen», begründet die Grüne Partei und folgert: «Das Nein zur KELS ist ein Ja zu den bewährten Massnahmen zum Schutz des Klimas und für die Energiewende.»

 

Der Energiespezialist der SP, Nationalrat Beat Jans, verweist auf die bestehende CO2-Abgabe auf fossilen Brennstoffen, bei der es sich um eine Mischung aus Förderabgabe für Gebäudesanierung und Lenkungsabgabe mit Rückverteilung handelt, und sagte: «Zur Einführung ergänzender Lenkungsabgaben auf Treibstoffen oder Strom braucht es keine Verfassungsänderung und schon gar keine Kann-Formulierung.»

 

Dem Bundesrat wirft Jans vor, er spiele in diesem Verfassungsartikel Lenkungs- gegen Förderabgaben aus. Der bestehende (Umwelt-) Artikel 74 in der Bundesverfassung genüge, um die heutige CO2-Abgabe auf Brennstoffen auf Gesetzesebene auf fossile Treibstoffe und Elektrizität auszuweiten, bekräftigte in der Debatte im Nationalrat auch SP-Mann Eric Nussbaumer.

 

Die gleiche Meinung vertritt die Grünliberale Partei und fordert vom Bundesrat per Postulat einen Bericht, der zeigt, wie sich Abgaben für Elektrizität und im Verkehr per Gesetz verwirklichen lassen. Im Unterschied zur GLP sind die Fraktionen von SP und Grünen aber dagegen, «bewährte Mittel» wie Verbrauchsvorschriften, Förderabgaben und Subventionen zu Gunsten von Lenkungsabgaben preiszugeben, denn, sagte etwa Eric Nussbaumer: «Es braucht einen Mix von Instrumenten.»

 

Auch der Spatz steht auf dem Spiel

 

Die Stellungnahmen zeigen: Im Konfliktfall ziehen auch linke und grüne Parteien die – ordnungspolitisch verpönten – Förderabgaben und Subventionen in der Energiepolitik den grundsätzlich gelobten Lenkungsabgaben vor, getreu dem Motto, «lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach».

 

Allerdings: Die Tage der Förderabgaben sind ohnehin gezählt, wenn das Volk am 21. Mai der ersten Etappe zur Energiestrategie zustimmt. Denn diese Vorlage, die alle Parteien ausser der SVP unterstützen, befristet die Förderabgabe auf der Elektrizität (Netzzuschlag), mit der der Bund die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für Ökostrom finanziert.

 

Mit ihrem Ja zur ersten Energiestrategieetappe und dem Nein zur KELS-Vorlage gibt die Mehrheit des Parlaments also den energiepolitischen Spatz aus der Hand, während die Lenkungs-Taube auf dem Dach bleibt.

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