- Gedanken zur Woche
Wann ist ein Mann ein Mann?
Am Dienstag fand der Rethink Masculinity Day statt. Dieser will ein Zeichen für die Vielfalt von Männlichkeit geben. Aus diesem Anlass sollen an diesem Tag Männer einen Rock tragen. Zum Abschluss des Anlasses fand in Zürich ein Podium statt, das ich moderiert habe. Die Leitfrage des Podiums: «Wann ist ein Mann ein Mann?» Eine durchaus schwierige Frage, wie es sich herausstellen sollte. Schliesslich wusste es auch Herbert Grönemeyer nicht, als er 1984 den Song «Männer» schrieb.
Man kann gut darüber diskutieren, ob das Rocktragen jetzt einen grossen Beitrag dazu leisten kann, überholte Rollenbilder zu überwinden. Aber tatsächlich war es für die Beteiligten ein durchaus irritierendes und lehrreiches Erlebnis. Nicht wegen dem Rocktragen an und für sich, sondern weil es tatsächlich nicht einfach ist, nicht einem erwarteten Bild zu entsprechen.
Vor ein paar Monaten erschien in der ‹Republik› ein Artikel von Elia Blüle, der über seine Erfahrungen in der Jugend im Aargau schrieb (es könnte auch ein anderer Kanton sein) und über die rechtsextremen Jugendlichen, die dort den Ton angaben. Der Artikel hinterliess ein beklemmendes Gefühl, aber auch einen Einblick in die Psyche junger Männer, die mir so nie bewusst war. Dass nämlich Angst ein sehr vorherrschendes Gefühl war. In den letzten Jahren wurde die Gewalt gegen Frauen immer wieder politisch und medial thematisiert. Das ist durchaus berechtigt: Immerhin gab es in diesem Jahr schon 12 Femizide. Also 12 Frauen, die umgebracht wurden, weil sie Frauen sind. Dass aber auch Männer Opfer von Männergewalt sind, wird weit weniger diskutiert. Einer der Podiumsteilnehmenden, Eticus Rozas, Co-Präsident der städtischen Grünen, bestätigte das Problem insofern, als dass er meinte, wenn es ihm mulmig gewesen sei, als er ungewohnterweise einen Rock trug, sei es weil er die Reaktion von Männern fürchtete, und nicht jene von Frauen.
Tatsächlich haben Männer in der patriarchalen Gesellschaft viele Vorteile, sie verdienen mehr, haben mehr Macht. Aber sie leiden auch darunter. Männer haben die höhere Suizidrate als Frauen, sie sind öfter einsam, sind häufiger von Suchtkrankheiten betroffen und eben auch häufiger Opfer von Gewalt. Es ist die Kehrseite einer Kultur, die von Männern erwartet, immer stark zu sein. Die Frage der Buben und Männer ist aber auch politisch. Seit Jahren sehen wir, dass sich das Wahlverhalten von Männern und Frauen unterscheiden. Frauen wählen linker als Männer, sind auch in Sachfragen sozialer und ökologischer. Diese Geschlechtsunterschiede nehmen aber nicht ab, sondern akzentuieren sich noch. Gerade junge Männer – das zeigte beispielsweise auch die Wahl von Donald Trump, aber auch die Nationalratswahlen oder die Bundestagswahlen – wählen rechts. Die jungen Frauen hingegen werden immer linker. Man könnte die stetig sinkende Geburtenrate auch darauf zurückführen.
Mit den rechten Parteien kommt auch eine Retraditionalisierung der Männerbilder daher. Figuren wie der umstrittene Psychologe Jordan Peterson oder verschiedene männliche Influencer predigen ein sehr traditionelles Rollenverständnis. Der wohl umstrittenste ist Andrew Tate, dem auch Vergewaltigungen und sogar Menschenhandel vorgeworfen werden. Er weilt derweil mit seinem Bruder in den USA, um den Anklagen in Rumänien zu entgehen. Für die Tates lobbyiert haben soll Barron Trump, der jüngeste Spross des Trump-Clans. Es gibt auch andere Formen der Online-Radikalisierung von jungen Männern (es gibt auch eine von älteren Herren, aber die leben diese vor allem in Form von Zeitungskolumnen und Feuilletonartikeln aus) beispielsweise durch religiöse Gruppen. Schlagzeilen machen auch sogenannte Incels (unfreiwillig Zölibatäre), die die vermeintliche oder reale Abfuhr durch das andere Geschlecht mit Frauenhass kompensieren, der im Extremfall gar zum Mord oder Amoklauf führen kann. Auf Netflix sorgt gerade die Serie «Adolescence» für Aufsehen, die die Geschichte eines Teenagers beschreibt, der danach einen Mord begeht.
Was fasziniert denn junge Männer an solchen Figuren, fragt man und frau sich zurecht. Und die Antworten sind nicht einfach. Es seien die verwirrenden Signale, die an Männer ausgesandt werden, meinte Thomas Neumeyer von der Organisation männer.ch. Man wolle heute, dass Männer auch fürsorglich sind, sich kümmern, Gefühle zeigen, und gleichzeitig sollen sie trotzdem stark sein und für eine Familie sorgen können. Diese zu grosse Erwartungshaltung und die Widersprüche führen zu Verunsicherungen. Nur ging das den Männern schon in Grönemeyers Hit so: «Männer habens schwer, nehmens leicht / Aussen hart und innen ganz weich / Werden als Kind schon auf Mann geeicht.» Das Rollenbild und die Erwartungen haben sich aber in den letzten Jahren schon noch zusätzlich gewandelt, so Neumeyer. Vor zehn, fünfzehn Jahren habe trotz allem noch eine andere Kultur geherrscht. #Metoo und feministische Streiks haben hier schon auch noch ihre Spuren hinterlassen. Und erschwerend komme aber noch Social Media dazu.
Die Journalistin Susanne Keiser, die sich mit diesen eher unappetlichen digitalen Männerwelten intensiv befasst hat, sagt in einem Interview mit dem ‹Standard›, dass die digitale Ökonomie diese extremen Männerwelten noch verstärkt. Es gäbe zwar einen gesellschaftlich verankerten Sexismus, im Netz würden aber die radikalsten Formen davon nach oben gespült. Das liege auch daran, «dass diverse Plattformen sich aus finanziellen Interessen einer gefährlichen Aufmerksamkeitsökonomie und Clickbaiting bedienen und dadurch Radikalisierung forcieren». Auch glaubt sie, dass die digitalen Welten eine Geschlechtersegregation eher befeuerten: «Wir wissen längst, dass soziale Netzwerke Bubbles produzieren. Weniger deutlich wurde bisher, dass sie starke Grenzen entlang des Geschlechts ziehen.» Sie bezieht sich dabei auf eine Studie von Alice Evans, die festgestellt hat, dass es grosse Unterschiede in der digitalen Sozialisierung der Kinder gibt: Jungs spielen Computerspiele, Mädchen sind eher in den sozialen Medien. Sie haben dadurch nur wenig Berührungspunkte. Das sei laut Keiser problematisch: «Für Buben, die immer noch mit weniger Sozialen Skills aufgezogen werden als Mädchen, macht das den sozialen Kontakt zum anderen Geschlecht schwierig. Sie sind es nicht gewohnt, auch Freundschaften zu Mädchen zu haben, sondern sehen sie nur in Zusammenhang mit sexuellen Kontakten.»
Ob linke Parteien mehr tun müssten, um junge Männer anzusprechen, wurde auf dem Podium eher verneint. Ob es überhaupt gelingen würde, ist sowieso fraglich. Eine Stimme aus dem Publikum liess das Podium dann doch etwas hoffnungsfroher enden. Es habe sich in den Geschlechterrollen vieles auch zum Positiven geändert. So beteiligen sich heute junge Väter klar mehr und selbstverständlicher an der Kinderbetreuung. Und diese Vorbilder spielen auch eine wichtige Rolle.