Wandern. Eine Polemik

Eins ist klar: Bill Gates hat Corona nur erfunden, damit ich gezwungen war, vier Wochen zu wandern. Nicht grad am Stück, aber fast. Falls Ihnen diese Logik etwas zu sprunghaft erscheint, entwickle ich das gerne ganz ausführlich, zum Mitleiden.

Die Schweiz ist schön. Aber das ist kein Lob, das ist ein Fluch. Von Schönheit hat man ja noch nicht gegessen, daher muss man sie verkaufen. Dazu wurde das Tourismusmarketing erfunden. Und da die aktuelle Viruslage es nicht als ratsam erscheinen liess, vom Ausland zu uns in die Ferien zu kommen, musste sich das Marketing auf die Eingeborenen fokussieren. Das kam gar nicht gut: Die St. Galler warben im Waadtland (Alpstein!), die Walliser im Neuenburgischen (Olmenhorn!), die Welschen im Züribiet, und in den Aargau wollte wie immer niemand. Am schlimmsten trieben es die Stadtzürcher: In Lausanne hingen Plakate mit leicht bekleideten jungen Frauen auf Motorböötchen, die Rosé sürpfeln. Byline: «La vie en rosé.» Ich wollte mir schon Sorgen wegen der Zielgruppengerechtigkeit machen, als mir einfiel, dass das in einem Kanton, in dem die Einheimischen schon um 11 Uhr vor dem ersten «ballon» sitzen, während wir daneben noch Kaffee schlürfen, wohl doch nicht so daneben ist. Aber ich schweife ab.

Gut beworben ist immer noch langweilig. Berge dienen ja nicht zum Angucken, da muss man rauf. Und landschaftliche Schönheit ist zwar schnell behauptet, das grosse Gähnen aber ist vorprogrammiert und die schöne Kulisse schnell durchschaut. Solange man sie nicht mit Zweitwohnungen zukleistern darf, ist sie nichtsnutzig. Das Volk ist nicht blöd, und es will Action. Die Ferien sind zum Handeln da (Slogan dazu: «Wir brauchen bebadbare Flüsse»), und die Füsse zum Wandern. Das ist Volkssport Nummer 1. Das haben wir im Griff, und das lässt sich nicht zuletzt mit jeder erdenklichen Fussbekleidung ausführen.

Wandern ist komplett sinnlos. Und was sich nun anhört wie der Beginn einer wunderbaren Freundschaft – heisst es nicht «jeder Zwecklos ist Widerstand»? –, ist es nicht. Wer wandert, muss ekelhafte Funktionskleidung tragen, das steht wohl so im Epidemiengesetz, sonst würd’s ja niemand freiwillig tun, und wer noch einen Beweis braucht: Sogar NacktwanderInnen tragen rote Socken, und zwar nicht als Feigenblattersatz, sonst ging’s ja noch. Vor allem: Wandern diszipliniert. Wer wandert, muss früh aufstehen und am Abend ziitig auf dem letzten Postauto sein, wer wandert, muss auf den Weg achten, sonst erleidet sie subito einen doppelten Fussbruch. Und darum macht, wer wandert, keine Revolution, und darum hat Ueli Maurer vor den Ferien das Wandern in der Schweiz propagiert. Wandern ist das Opium des Volkes, und bei Gott, das packt jede Menge davon ein: Wanderschoggi, Wanderguetsli, Wanderzältli, und es hat uns überhaupt nicht gewundert, als wir sogar einen Wanderwein im Angebot entdeckten. Um doch noch etwas Nettes zu sagen: Wandern ist immerhin virussicher, da es an der frischen Alpenluft stattfindet. Wer von einer wild gewordenen Mutterkuh davonrennt, denkt nicht ans Husten.

So. Und nun müsste ich ja langsam wieder die Kurve zu Bill finden. Ich fasse zusammen: Irgendwie hat das Ganze damit zu tun, dass die Schweiz schön ist. Und langweilig. Weshalb das Tourismusmarketing ganz konform die langweiligste Lebensform überhaupt, das Wandern, als Volkssport Nummer 1 promotet. Und das alles entdeckt man nur, weil man nicht ins Ausland darf. Und daran ist Bill schuld. Oder so ähnlich. Ich brauch Ferien.

Markus Kunz

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