Wahlgespräch mit Markus Bischoff: Mit Emotionen hinsehen

 

Jede Woche befragen wir eine(n) der Neukandidierenden für den Regierungsrat zu aktuellen Fragen. Diese Woche AL-Kandidat Markus Bischoff zum Bericht des Bundesrats zur Sozialhilfe.

 

Der Bundesrat möchte mehr Verbindlichkeit bei der Sozialhilfe. Sehen Sie das auch so?

Markus Bischoff: Ich bin keineswegs ein Antiföderalist, aber es entspricht einer gewissen Logik, wenn sich im Streit zwischen Zentralismus und Föderalismus, der seit dem 19. Jahrhundert existiert, die Ebene von der Armengenössigkeit der Gemeinden zu einem Rahmengesetz durch den Bund entwickelt. Insofern strebt der Bundesrat etwas Geschicktes an. Zumal die Diskussion in vielen Kantonen so verläuft, dass die SKOS und ihre Richtlinien auseinanderbrechen könnten. Ich sehe auch die Gefahr, dass eine Bundesregelung mit Minimalbedingungen zu einer Nivellierung nach unten führen könnte. Aber es ist eine gute Diskussionsgrundlage, dass die Sozialhilfe auf eine ähnliche Stufe wie die anderen Sozialversicherungen gestellt werden soll. Ob für die Realisierung politisch eine Chance existiert, weiss ich nicht. Aktuell betrachte ich es als zentral, dass der Kanton Zürich nicht aus der SKOS austritt.

 

Wieso fänden Sie einen Austritt des Kantons Zürich so gravierend?

Fallen die SKOS-Richtlinien in dieser Situation, wird die Sozialhilfe politisch noch mehr bewirtschaftet, fällt jede Verlässlichkeit dahin. Wenige PolitikerInnen der Mitte standen bisher für die SKOS oder die jetzige Form der Sozialhilfe ein. Sie liessen sich von der SVP in die Ecke drängen.

 

Sehen Sie Gründe für das halbherzige Hinstehen?

Eine Erklärung sehe ich darin, dass sie selber nicht ganz hinter den Richtlinien stehen. Die zweite Erklärung, die mit der ersten zusammenhängt: Mit dem Thema der Sozialhilfe zu politisieren, gehört zum Einfachen. Man kann alle Arbeitenden mit dem Hinweis reizen, dass andere nicht oder nur Teilzeit arbeiten und dafür Geld vom Staat bekommen. Kommt Missbrauch hinzu, lässt sich dies gut nutzen. Es wäre Aufgabe der anderen PolitikerInnen, aufzuzeigen, wie die Sozialhilfe funktioniert, wie sie den Zusammenhalt in der Gesellschaft sichert, Ghettobildungen verhindert.

 

Warum ist die Verteidigung der recht günstigen Sozialhilfe so schwer? Die Linke ist dabei in der Defensive.

Es begann mit der Missbrauchsgeschichte, wo die Linke aus einem humanistischen Ansatz zu sehr wegschaute. Überall, wo Geld zu holen ist, wird auch beschissen. Auch in Subventionsbereichen, die der SVP nahe stehen. Auch wenn die Schummeleien bei der Sozialhilfe im Vergleich zu andern Bereichen nicht allzu gross sein dürften, verschloss die Linke sich diesem Aspekt der menschlichen Geschichte zu sehr. Mit dem Resultat, dass jene recht erhielten, die den Missbrauch behaupteten, und die Linke in die Defensive geriet.

Die defensive Grundhaltung könnte auch darin begründet sein, dass relativ viele einfache Leute – ich bewege mich nicht nur im linken Milieu und komme aus einem Milieu, in dem man es nicht gerne sah, wenn Leute Geld von Staat erhielten – sich von jenen abgrenzen möchten, denen es noch etwas schlechter geht. Personen aus dem Grossbürgertum liegt Grosszügigkeit eher als jenen, die sich ihren Mittelstand hart erarbeiten und erschaffen mussten. Dies ist zumindest  meine subjektive Erfahrung.

 

Befindet sich die Linke also hier fast naturgemäss in der Defensive? Weil sie etwas verlangt, das die meisten nicht geben wollen?

Mit Aufklärung kann man nicht alles richten. Aber man könnte die Sozialhilfe offensiver verteidigen. Wir müssten mehr hinstehen und zeigen, was sie alles brachte. Die 350 Millionen Franken, die sie im Kanton Zürich insgesamt kostet, sind ein relativ bescheidener Beitrag für den sozialen Frieden. Für mich wird es teilweise paradox, wenn ich den gegenwärtigen Schrecken über die Behandlung von Verdingkindern bis vor 30 Jahren sehe. Das war in den Dörfern eine Politik der billigsten Lösung, bei der man die Leute abschob, weil man niemanden unterhalten wollte, der armengenössig wurde. Heute bezahlen wir einerseits für die Fehler der Vergangenheit und sind anderseits auf dem Weg, bei der Sozialhilfe in etwas Ähnliches zu laufen.

Als wirklich neu erlebe ich, dass es bisher niemand wagte, derart offensiv gegen die Sozialhilfe und ihre BezügerInnen (das sind die Faulen) los zu gehen, wie dies die SVP bei diesen Kantonsratswahlen anstellt. Die Nationale Aktion und James Schwarzenbach bewirtschafteten das Ausländerthema längst nicht so offensiv wie heute die SVP die Sozialhilfe.

 

Hat die Linke zu viel Anstand oder keine Mittel gegen diesen Tabubruch?

Gegen solche Emotionen Gegensteuer zu geben, ist schwierig. Aber wir müssen das Thema nicht nur mit Argumenten, sondern auch mit Emotionen füllen; mit positiven Beispielen, die zeigen, wie die Sozialhilfe konkreten Menschen half. Wir müssen uns auch keinen Illusionen hergeben: Das grösste Risiko für Sozialhilfe tragen immer noch Frauen in der Scheidung, mit Kindern und mit einem Job (etwa in der boomenden Reinigung), bei dem sie nicht mehr als 3000 bis 3500 Franken erhalten. Wir sollten konkret aufzeigen, dass bei vielen AusländerInnen die Unterstützung durch die Familien eine sehr grosse Rolle spielt. Da bezahlen Kinder mit eigenen Kindern (ausgeprägt etwa bei TürkInnen) für ihre Eltern und Verwandten, damit diese keine Sozialhilfe beziehen müssen.

 

Die Taktik der Linken besteht eher darin, mit Konzessionen das Schlimmste abzuwenden.

Bei jedem Gesetz mit Bezugsgrenzen kommt es zu technischen Problemen bei der Abgrenzung, zu Schwelleneffekten. Darüber kann man diskutieren. Aber die Sozialhilfe ist nicht zu hoch, und man ignoriert einfach, dass etwa die nun umstrittene Integrationszulage an eine Kürzung des Grundbedarfs gekoppelt war.

 

Damit komme ich zur Frage von Nik Gugger. Was halten Sie vom Verursacherprinzip?

Man begibt sich in einen gefährlichen Diskurs, wenn man alles nach dem Verursacherprinzip regeln will. Ob jemand raucht, zu dick ist oder einen schlechten Lebenswandel führt, darf seinen Anspruch auf die Krankenversicherung nicht beeinflussen. Diese und ähnliche Grundsicherheiten vereinfachen das Leben. Beim Abfall hingegen bewirkte das Verursacherprinzip die erwünschte Leitungsfunktion. Wo die Gemeinschaft zahlt und wo der Einzelne zur Kasse gebeten wird, wuchs teilweise willkürlich und historisch und ist ein Resultat von politischen Entscheidungen.

 

Zur Leserfrage: Ist ihre Regierungsratskandidatur mit wenig Wahlaussichten vor allem eine Investition für die Nationalratswahlen?

Ich starte sicher nicht aus der Poleposition, aber ich erfuhr breite Unterstützung. Ich finde den Kanton Zürich mit seiner Mischung aus Stadt, Land und Agglomeration extrem spannend. Durch meine ländliche Herkunft, mein städtisches Wohnen weiss ich, wie viele Leute ticken, und ich bewies als Präsident der PUK zur Pensionskasse, dass ich mit unterschiedlichsten Leuten zusammenarbeiten kann. Ich kandidiere, weil ich Lust auf die Tätigkeit als Regierungsrat habe. Ob die AL in den Nationalratswahlen einen Sitz erobert, werden wir sehen. Ich kann mir einen Sitz im Nationalrat durchaus vorstellen. Aber nach neunzehn Jahren Parlamentszugehörigkeit reizt mich die Exekutive mehr.

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