Wahlgespräch mit Jacqueline Fehr: Interessen liegen näher als Ideologien

 

Jede Woche befragen wir eine(n) der Neukandidierenden für den Regierungsrat. Zum Abschluss SP-Kandidatin Jacqueline Fehr zum Thema Finanzen. 

 

Im NZZ-Samstagskommentar, der sich mit der Ausgabefreudigkeit der Linken befasst, kommt Thomas Ribi zum Schluss: «Wenn das Wasser ins Haus tropft, braucht es ein neues Dach, nicht neue Tapeten.» Hat der Kanton ein morsches Dach?

Dieses Panikbild für den reichsten Platz dieses Planeten mit dem meisten Potenzial steht schräg in der Landschaft. Man muss die Finanzsituation des Kantons ernst nehmen, aber gleichzeitig sein Potenzial erkennen und damit die richtige Politik machen. Werden die Finanzen knapp, wird es um so wichtiger, sich zu überlegen, wie investiert man, damit Kosten eingespart und nicht neue kreiert werden. Zwei Beispiele: Investitionen in die Frühförderung sparen hohe Kosten im Schulbereich. Investitionen in gute Gestaltungspläne und gemeinnützigen Wohnungsbau senken Kosten im Verkehr, im Sozialen und in der Alterspflege. Gerade bei knappen Mitteln wird es wichtig, ein paar Themen miteinander in den Blick zu nehmen.

 

Die NZZ würde dazu wohl sagen, dass Sie Geld ausgeben, das Sie nicht haben. Woher kommt Ihre Zuversicht, dass Investitionen sich auszahlen?

Aus Erfahrung und weils plausibel ist: Bei der Frühförderung weiss man beispielsweise sehr genau – aus einer Studie der FDP-Frauen, auf die sie sehr stolz sind – dass pro investierten Franken drei bis vier zurückkommen. Zweites Beispiel: Es ist offensichtlich, dass in der Stadt Zürich ohne den um 20 bis 30 Prozent günstigeren Wohnraum der gemeinnützigen Genossenschaften deutlich mehr Personen Sozialhilfe benötigten. Zur Plausibilität: Wenn in Winterthur beim Werk 1 ein Gestaltungsplan beschlossen wird, der die städtischen Interessen (kurze Wege, wenig Infrastrukturkosten, gute Dienstleistungen vor Ort) berücksichtigt, kommt dies die öffentliche Hand und damit die Stadtfinanzen Winterhurs günstiger zu stehen, als wenn Implenia rein nach Renditekriterien baut.

 

Auch wenn 123 Millionen Franken Defizit kein Hit sind, könnte der grundsolide Kanton problemlos günstiges Geld erhalten. Jedes Unternehmen würde in seiner Situation investieren.

Politischer Erfolg macht die Bürgerlichen misstrauisch. Dass staatliches Handeln Rahmenbedingungen setzen kann, in dem sich alle Akteure intelligenter verhalten, ist ihnen suspekt, weil sie dem Staat diese Rolle nicht mehr zutrauen. Ausgerechnet sie, die die Baumeister dieses Staates waren. Es ist ein Problem, dass insbesondere die FDP sich von den Zukunftsgedanken verabschiedete, dass sie Kosten und Investitionen nicht mehr auseinander hält. Sähe Alfred Escher die FDP-Politik von heute, würde er sich im Grab umdrehen. Hätte er die Finanzpolitik und vor allem den Steuerfuss als einzig gültige Messgrösse betrachtet, wäre der Kanton Zürich nie geworden, was er heute ist.

 

Was unternehmen Sie in einem Regierungsrat und vor allem mit einem Kantonsrat, der nicht sehr innovationsfreudig ist und den Steuerfuss zum Heiligtum erklärte?

Den Kantonsrat erlebte ich gerade am Montag beim Kredit für die ZHW als durchaus innovationsfreudig, wenn auch eher konzeptlos. Für die Investition fand sich eine einstimmige Mehrheit, die Kritik richtete sich auf die Tatsache, dass man einem Privaten als Grundeigentümer ausgeliefert war. Dieses über alle Fraktionen verbreitete Unbehagen kann dazu führen, dass der Kanton sich wieder besser überlegt, selber als Eigentümer aufzutreten, was logischerweise nur mit einem langfristigen Konzept möglich wird.

 

Sie sind also zuversichtlich, dass es im Kantonsrat gelingt, schrittweise Änderungen zu mehr Investitionen zu erreichen?

Es mag naiv tönen, aber in 25 Jahren Politik erlebte ich immer wieder, dass sehr viel mehr möglich wird, als man zuerst denkt: Vorausgesetzt, man diskutiert von der Sache her. Bei diesen Diskussionen schrumpfen die Differenzen. Die Interessen liegen näher beieinander als die Parteiprogramme. Gerade in Kommissionen sehe ich gute Chancen für Vorlagen, wenn Verwaltung und Regierung eine gute Grundlage liefern.

 

Die Ideologie spielt im derzeitigen Kantonsrat eine grosse Rolle. Ich nehme ihn jedenfalls so wahr.

Im Vergleich zu den 90er-Jahren sind die Ideologie und damit die Gräben gegenüber dem Bemühen um Lösungen dominanter. Auch im Vergleich zur nationalen Ebene, wo der Dialog auf Sachgebieten besser spielt als im Kantonsrat. Aber auch hier: In der Zukunft kann sich der Dialog auch im Kantonsrat wieder entwickeln.

 

In Ihrer Heimatstadt Winterthur dominiert die Finanzsituation in einer Art und Weise, dass ich finde, ihre PolitikerInnen vergessen beinahe, wie gut die Ausgangslage und das Potenzial der Stadt sind.

Wie ich bereits erwähnte, macht Erfolg in der Politik vor allem die Bürgerlichen misstrauisch. Das ist mir fremd, weil ich sicher bin, dass immer Lösungen existieren, die für alle besser sind und solche, bei denen am Schluss alle verlieren. Als Beispiel möchte ich den Mutterschaftsurlaub erwähnen. Den brachten wir nur durch, weil auch das Gewerbe ein handfestes Interesse an einer Lösung besass.

 

Bei Investitionen denken Sie nicht an den Staat alleine?

Im Werk 1 in Winterthur investiert vor allem die Implenia. Aber sie erhielt Rahmenbedingungen, die auch die Interessen der Stadt (gemeinnütziger Wohnanteil, Erdgeschossnutzung, oberstes Geschoss des Hochhauses für alle, minimale Verkehrsinfrastrukturen) berücksichtigen. Ohne dieses Miteinander droht die Gefahr, dass Quartiere seelenlos werden, dass das Gewerbe fehlt, die Versorgung schwierig wird. Die Privaten sollen und dürfen mit ihren Investitionen Gewinne erzielen, das ist schliesslich ihr Job. Aber es braucht eine Balance, maximaler Gewinn kann auch zu Problemquartieren führen. Und damit zu unnötigen Kosten für den Staat.

 

Damit käme ich zur Leserfrage: Sind für Sie Steuerfusserhöhungen eine Möglichkeit?

Den Steuerfuss als wichtigste politische Kerngrösse betrachte ich als falschen Ansatz. Es geht nicht darum, wieviel Geld man ausgibt, sondern wofür. Repariert man wie in den Banlieues Frankreichs mit Geld soziale Kosten, dann ist im Prinzip jeder Franken einer zuviel. Hier muss man in Integration, Frühförderung und Sozialarbeit investieren, das lohnt sich für den Staat. Wächst die Bevölkerung, steht der Steuerfuss zur Diskussion. Klar ist heute einzig: Ein allfälliger Antrag auf einen höheren Steuerfuss wird aus der bürgerlich geführten Finanzdirektion kommen und nicht von mir. Bei der Frage des Steuerfusses bewege ich mich auf der Linie von Jacqueline Badran, die findet, dass zuerst Korrekturen beim Kapital – nicht nicht zu verwechseln mit den Unternehmen – erfolgen sollen. Es darf nicht sein, dass der Mittelstand höhere Steuern zahlen muss, weil ein paar internationale Finanzhaie Steuergeschenke einstreichen konnten.

 

Damit käme ich zur Frage von Carmen Walker Späh: Sie hat festgestellt, dass Sie sich beide gerne bei ausgedehnten Spaziergängen entspannen. Welches Thema würden Sie mit ihr auf einem gemeinsamen Spazierganz von Frau zu Frau besprechen?

Zuerst: Es wäre schön, wenn ich mit Carmen Walker Späh den einen oder anderen ausgedehnten Spaziergang machen könnte. Besprechen würde ich mit ihr die Strategie, wie wir das Zürcher Tagesschulmodell auf den Kanton ausweiten könnten.

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