Von Fakten und Fake-News

Am Montag präsentierte das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) das neuste Jahrbuch «Qualität der Medien». Darin wurde unter anderem das Verhältnis zwischen der SRG und den privaten Medien untersucht. Seit Jahren behaupten die Verleger, dass die SRG die privaten Medien mit ihrem Angebot insbesondere im Onlinebereich bedrängt und konkurrenziert. Dies aus der Überlegung heraus, dass mit einem beschränkten Zeitbudget der Konsum von SRG-Inhalten auf Kosten der anderen Medien gehen müsse. Zumal die Inhalte der SRG im Internet frei verfügbar sind, während die Privaten eine Paywall hätten. Das fög hat jetzt in seiner Studie festgestellt, dass dieser Verdrängungseffekt empirisch nicht nachzuweisen ist. Im Gegenteil: So konsumieren SRG-Nutzer:innen offline und online häufiger Abonnementszeitungen (61 Prozent) als jene, die keine SRG-Informationen konsumieren (38 Prozent). Bei Pendler- und Boulevardzeitungen sind es 75 Prozent im Vergleich zu 58 Prozent der Nichtnutzer:innen. Das Fazit von fög-Direktor Mark Eisenegger: «Die Schweizer Bevölkerung nutzt also die Informationsangebote von SRF und RTS mehrheitlich nicht exklusiv, sondern ergänzend zu jenen der privaten Informationsanbieter.» Zudem wurde festgestellt, dass es keinen Zusammenhang zur Zahlungsbereitschaft gibt. Die Zahlungsbereitschaft hänge vielmehr an den Einstellungen und soziodemographischen Faktoren: «Männer und jüngere Menschen zahlen eher. Und wer sich stark für Nachrichten und Politik interessiert, ist eher bereit, Geld für digitale Nachrichtenangebote auszugeben», erklärt Eisenegger. Das fög kommt daher zum Schluss, dass die SRG und private Medien sich nicht bekämpfen, sondern gemeinsam kooperieren sollen. Nutzniesser einer Schwächung der Medien seien nämlich vor allem ausländische Tech-Plattformen.

Anlässlich dieser Präsentation war ich an einem Panel unter anderem mit Michael Wanner, dem CEO von CH-Media. Michael Wanner stellte den Befund der Studie infrage: Zentrale Fragen seien nicht beantwortet worden. «Hochgradig irritiert» zeigte sich gar Stefan Wabel, Geschäftsführer des Verlegerverbands (und künftiges Mitglied der Unternehmensleitung von CH-Media) bei der Präsentation. Unzufrieden sind sie, weil die Studie die Frage nicht beantwortet, wie sich denn das Konsumverhalten verändern würde, wenn es gar keine SRG-Angebote gäbe. Diese Frage hat die Studie tatsächlich nicht beantwortet. Es gibt aber eine entsprechende Simulation in Österreich, die zum Schluss kommt, dass der Zugewinn der Privaten bei einem Wegfall der öffentlich-rechtlichen Angebote marginal sei. Gewinnen würden eher andere Online-Angebote wie gmx.at oder soziale Medien. Mitstudienautor Linards Udris zeigt sich erstaunt, dass die Ergebnisse für den Verlegerverband so unverhofft kämen. Denn der Befund des fög reiht sich ein in andere internationale Studien, die zu einem ähnlichen Schluss kommen.

Nun kann man durchaus auf fehlende Fragestellungen hinweisen, oder auf andere Studien, die zu einem anderen Schluss kommen. Oder aber, dass das fög Position im Abstimmungskampf bezieht:  «Das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft entlarvt sich als Lobby-Organisation der SRG. Der Institutsleiter, Professor Mark Eisenegger, nutzt seine Stellung, um sich als Apologet des gebührenfinanzierten Rundfunks zu gebärden», schreibt Francesco Benini in der ‹Aargauer Zeitung› (CH-Media). Diese Kritik kann man durchaus anbringen, muss sich dann aber auch die Frage gefallen lassen, wieviel Konzerninteresse hinter dieser Kritik steckt. 

Mir scheint es einleuchtend, dass jene Leute, die Nachrichten konsumieren, dies auch auf verschiedenen Kanälen tun. Wer beispielsweise ‹Echo der Zeit› regelmässig hört, hat vermutlich auch eine – oder mehrere – Zeitungen abonniert. Wer die NZZ liest, schaut vermutlich auch ab und an die ‹Arena›. Tatsächlich gibt es einen Konkurrenzkampf um das Zeitbudget von Konsument:innen und Konsumenten. Die harte Konkurrenz sind hier aber nicht andere Medientitel, sondern ganz andere Aktivitäten: Arbeit, Hobbies, Familie, sowie andere Medienangebote, die nichts mit News zu tun haben. Sprich: Wer täglich mehrere Stunden auf ‹Tiktok› ist, wird vermutlich nicht noch die ‹Aargauer Zeitung› lesen. Aber auch nicht SRF-Online. 

Das grösste Problem der Medien sind also nicht die anderen Medien, sondern die immer grösser werdende Zahl an Menschen, die keine (traditionellen) Medien  und News mehr konsumieren. Das fög nennt diese Gruppe die «Newsdeprivierten», sie beträgt mittlerweile 46 Prozent. 2009 waren das noch nur rund 20 Prozent. Gleichzeitig wird die Medienkrise immer existenzieller. In dieser Zeit die SRG zu schwächen, schwächt den Journalismus insgesamt. Warum wird gerade jetzt die SRG so massiv angegriffen? Publizist Roger de Weck, unter anderem früherer Chefredaktor des ‹Tages-Anzeigers› und ehemaliger SRG-Direktor meint dazu in einem Interview mit der ‹Republik›: «Feinde der offenen Gesellschaft haben in halb Europa einen Generalangriff gestartet: Sie wollen jedes öffentliche Medienhaus zerrütten oder zerstören, das sich ihrem Zugriff entzieht – sie wollen mithilfe befreundeter Oligarchen die ganze Medienmacht für sich pachten. (…) Die liberale Demokratie und der Journalismus sind Kinder der Aufklärung – diese Autoritären aber bekämpfen die Aufklärung. Sie wollen nicht Gewaltenteilung und Machtverteilung, sondern möglichst uneingeschränkte Macht und Medienmacht.»

Nun wäre es wohl verstiegen, gleich in jeder SRG-Kritik eine Sehnsucht nach einer Autokratie zu vermuten. Aber: Gerade die Medien sollten kein Interesse haben an einer Gesellschaft, in der der Journalismus an und für sich geschwächt ist. Der Journalismus ist keine Dampfmaschine, die sich einfach technisch überholt und durch neue Technologie überwunden wird, er ist wesentlich für die Demokratie. Aber es ist nicht so, dass es nicht Gesellschaften gibt, die ohne Journalismus funktionieren. Es sind jene halbautoritären Systeme, die von den Newsdeprivierten und den Desinformierten profitieren.  

Trumps ehemalige Kommunikationsberaterin Kellyanne Conway hat den Begriff der «alternativen Fakten» geprägt. Wenn man also die unangenehmen Fakten durch eine eigene Version der Realität verdrängt. Nur jenes zu glauben, das die eigene Meinung unterstützt, ist ein allzumenschliches Verhalten. Auch deshalb überzeugen Faktenchecks die Leute nur selten. Aber das heisst nicht, dass Fakten nicht relevant sind: Die Medien sind der Wahrheit oder mindestens der Wahrheitssuche verpflichtet. Nicht umsonst heisst es im Journalist:innenkodex des Schweizer Presserats an erster Stelle: «Sie halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.» Das gilt auch für Studienergebnisse, die einem nicht passen. Gerade, weil die Situation so existenziell ist.