- Winterthur
Volkes Seele und Verkehrsberuhigung
Einstieg: Streicheleinheiten der Stadträtin
Christa Meier (SP), Vorsteherin des Winterthurer Departementes Bau Und Mobilität, begrüsst die rund 120 Anwesenden in einem nüchternen Saal des refomierten Kirchgemeindehauses. Die Stadträtin «freut sich sehr» über die zahlreichen Teilnehmer:innen der Veranstaltung, sie betont die Wichtigkeit des Dialogs. Mehrfach betont sie, dass die Anliegen für eine Einschränkung des Durchgangsverkehrs in den Quartieren zwischen dem Vitus-Areal im Süden, der Zürcherstrasse, der Auwiesen-Vogelsangstrasse und der Oberen Briggerstrasse Storchenbrücke aus der Bevölkerung an ihr Departement herangetragen wurden, und dass die Stadtverwaltung gemäss dem geltenden Richtplan verpflichtet sei, den Durchgangsverkehr einzuschränken. Fazit: «Die Stadtverwaltung handelt nicht einfach losgelöst, sondern es geht darum, die Bevölkerung zu schützen.»
1. Akt: Fakten der Projektleitung
Dann stellen zwei Projektverantwortliche die Fakten vor. Sie präsentieren die Resultate von Erhebungen, welche zeigen, dass der Durchgangsverkehr von Zürich Richtung Ostschweiz vor allem am Abend bis zu 50 Prozent des Verkehrs in den beiden Quartieren ausmacht. Betroffen ist vor allem eine Route im östlichen Bereich sowie eine Route über die «Dammbrücke», die den nördlichen Teil mit dem südlichen Teil des Quartiers verbindet. Nicht weniger als neun Varianten wurden geprüft. Die Wahl fiel schliesslich auf eine Variante, welche die westliche Schleichverkehrroute durch eine kurze Einbahn-Strecke, die östliche durch eine Sperrung der Dammbrücke für den Individualverkehr unterbinden will. Hauptargumente sind die grösstmögliche Wirkung sowie die Durchsetzbarkeit.
2. Akt: Die Empörung der Gegner:innen
Nach den Fakten lädt der Moderator die Besucherinnen ein, zuerst «Verständnisfragen» zu stellen und eine Diskussion danach zu führen. Die Gegner:innen gehen nicht auf dieses Ansinnen ein. Die Sperrung der Dammbrücke weckt riesige Emotionen bei denjenigen, die dadurch nicht mehr direkt vom südlichen in den nördlichen Teil fahren können, sondern einen kleinen Umweg in Kauf nehmen müssen. «Wir wurden nicht gefragt!», wird erregt betont. Genau an einem Anlass, an welchem die Stadt das Projekt vorstellt und Rückmeldungen dazu abholt. Die Einschränkung des Durchgangsverkehrs interessiert diese Kritikerinnen kaum, da sie davon nicht betroffen sind. Dafür wird mehrfach betont, dass die «Umwegfahrten der Quartierbevölkerung» schädlich für die Umwelt seien. Die Stimmung im Saal wird gereizt. Drei, vier Kritiker:innen beherrschen die Wortmeldungen. Typischerweise wird argumentiert dass andere Massnahmen zur Verkehrsberuhigung wichtiger wären als die Einschränkung des Durchgangverkehrs. Und immer wieder: keine Massnahmen, die Einzelne zwingen, ihre Gewohnheiten zu ändern.
3. Akt: Applaus für ein Dankeschön
Schliesslich gelingt es einem Anwohner der belasteten Strassen, das Wort zu ergreifen. Er dankt der Stadtverwaltung für die Massnahmen. Erstmals Applaus im Saal. Danach sind wieder die Kritiker:innen im Vordergrund. Die Sperrung der Dammbrücke bleibt das dominierende Thema. Die Entlastung durch den Durchgangsverkehr rückt in den Hintergrund. Eine Abstimmung wird gefordert.
4. Akt: Der Kompromissvorschlag
Dann schlägt ein Bewohner, der ebenfalls in dem von der Sperre am meisten betroffenen Bereich lebt, einen Kompromiss vor: statt einer Vollsperre nur eine zeitliche Sperre durch Poller oder eine Barriere während den effektiven Belastungsspitzen. Die zeitlich beschränkte Sperrung findet bei den Anwesenden offensichtlich Rückhalt. Die grundsätzlichen Kritiker:innen treten in den Hintergrund. Die Fachleute führen primär die Kosten an, die gegen eine solche Lösung sprächen.
Epilog: «Einzelanliegen versus generelle Verbesserung»
Die anfängliche aggressive Stimmung hat sich gelegt. Schliesslich erläutern die Projektverantwortlichen das weitere Vorgehen. Die Verwaltung nimmt während zwei Wochen schriftlich Anregungen entgegen. Mehr Mitsprache ist kaum möglich. Anschliessend wird das Projekt gegebenenfalls angepasst. «Aber es ist immer so, dass bei Lösungen für eine Mehrheit der Bevölkerung allenfalls Einzelanliegen nicht berücksichtigt werden können», hält die Projektleiterin fest. Schliesslich entscheide der Stadtrat über das Projekt, anschliessend werde dieses aufgelegt, und es können Einsprachen gemacht werden. Stadträtin Christa Meier dankt für die engagierte Diskussion. Und wünscht einen schönen Abend.
Apropos: Die Dammbrücke, wird in rund einem Jahr so oder so für längere Zeit gesperrt werden, da sie aufgrund des Mehrspurprojekts der SBB abgebrochen und neu gebaut wird.