Vielen Dank für Ihren Anruf

«Sprecher?», sagte ich fragend, freundlich, ja aufgeräumt ins Telefon. Es war Montagmorgen, das Telefon hatte geklingelt, eine mir unbekannte Handynummer auf dem Display. Ich war deshalb ein wenig zu froh für einen Montag, weil wir tags zuvor die Abstimmung gegen die Senkung der Unternehmenssteuer gewonnen hatten. Ich war gerade dabei, genüsslich die Berichterstattung in den Medien zu lesen, als eben das Telefon klingelte.

«Sprecher?», sagte ich. Eine Männerstimme, etwas älter schon, etwas hoch, legte gleich los, kaum hatte ich meinen Namen fertig ausgesprochen. Wann wir endlich aufhören würden, das Volk zu betrügen. Sie müssen weg, sagte er, sie müssen verschwinden. Sie, dieser Wermuth, die Meyer, verschwinden. Verschwinden müssen Sie. Und während er sprach, sagte ich für einmal nichts. Ich überlegte mir, das Telefon aufzuhängen, aber dann interessierte es mich, wie lange er weiterreden würde. Ich kenne solche Anrufe. Eine Diskussion ist da nicht möglich, ich hatte es oft versucht früher, aber die Menschen am anderen Ende wollen nicht diskutieren. Meistens wollen sie zusammendonnern, denen da mal sagen, was läuft, Schlämperlig durch die Leitung hauen. Dieser hier, der hatte ziemlich Ausdauer. Wenn auch keine Variation in der Aussage. Beschimpfung und eben, verschwinden sollen wir alle. Dann war er fertig. Ich blieb zurück, in einem Zustand von grösster Wut. Trotz der unzähligen Male, in denen mir so etwas schon passiert ist, kann ich mich nicht daran gewöhnen. Was fällt ihm ein? Was fällt allen ein?

Und dann schrieb ich ihm eine SMS: «Vielen Dank für Ihren Anruf. Das Gespräch wurde aufgenommen und an die Kantonspolizei weitergeleitet.»
Jetzt ist es so, dass ich das noch nie gemacht hatte. Einerseits kam ich bisher noch gar nicht auf die Idee, andererseits ist sehr oft die Nummer des Anrufers unterdrückt. Letzteres ist nicht nur ein schlechtes Zeichen, muss man dazu sagen. Denn die, die sich anonym austoben, haben immerhin noch das Bewusstsein, dass das, was sie tun, unrecht ist. Wer mit vollem Namen und Telefonnummer wütet, hat diese Hemmung längst verloren.

Bald darauf hinterliess er mir eine Sprachnachricht. Sie dauerte zwei Minuten und 17 Sekunden, weil die Aufnahme weiterlief, als er meinte aufgehängt zu haben.
Und ich wurde Zeugin. Zeugin weniger Minuten Leben eines rechten Wutbürgers, der schwankt zwischen «ich habe doch nichts getan» und der Angst vor den Konsequenzen, weil er weiss, dass er etwas getan hat. Er habe nicht gedroht, wiederholt er mehrere Male, nur dass wir verschwinden sollen, sagt er zu seiner Frau. Dann schreit er sie an. Dann schreit er generell. Seine etwas hohe Stimme nun schrill.
Ich glaube, der macht das jetzt nicht mehr. Aber er ist nur ein kleiner wütender Fisch im grossen Teich der Pöbler. Die denken, man könne einfach mal jemanden anrufen und zusammenscheissen. Die denken, man könne das, weil allein die Tatsache, dass man sich politisch äussert, einen zu einem Menschen macht, der keinen Anstand und Respekt mehr verdient. Weil man eine andere Meinung hat.

Der ältere Mann mit der hohen Stimme, und das ist das eigentliche Problem, ist halt eben einfach nicht allein und er muss sich auch gar nicht mehr so schämen. Wenn er dann einmal keine Angst mehr hat, dass eine Sondereinheit der Kantonspolizei vor seiner Tür auftaucht, wird er sehen, dass er ja grosse Vorbilder in der Weltpolitik findet. Politiker, die Anstand und Respekt der Überzeugung geopfert haben, dass es nur eine Meinung gibt, die richtig ist. Ihre.

Man kann jetzt öffentlich einen Eklat provozieren, so wie Trump das beispielsweise mit Wolodymyr Selenskyj machte oder gerade jetzt aktuell erneut mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa. Trump kann auch vor laufender Kamera anwesende Journalisten als Trottel bezeichnen, wie er das ebenfalls gerade kürzlich gemacht hat. Und natürlich findet man das dann etwas unschön, aber er tut es weiter und bestärkt all jene, die das auch tun möchten.

Ich fand es immer eine feine Übereinkunft der Gesellschaft und gerade der Politik, dass man anständig mit jemandem der Gegenseite ist, auch wenn man ihn inhaltlich für ein Arschloch hält.

Vielleicht sage ich das mal wieder beim nächsten Anruf. Vielen Dank.