- Gedanken zur Woche
Viel zu knapp
Es sind kaum noch drei Wochen bis zu den US-Wahlen und die Umfragen sagen ein sehr knappes Rennen voraus. Die Nervosität steigt, die Umfrageergebnisse sind unklar. Sowohl 2020 wie auch 2016 waren die Umfragen schlechter für Trump als die Resultate: Die Zahl der Trump-Wähler:innen wurde also unterschätzt. Sowohl Clinton wie auch Biden hatten einen grösseren Vorsprung auf Trump als Harris. Nun könnte es sein, dass die Umfragen genauer geworden sind und aus den Fehlern der vergangenen Wahlen gelernt worden ist. Oder Harris liegt in Wirklichkeit hinter Trump. Es sieht zudem so aus, als könnte Trump mehr Hispanics und Schwarze Wähler:innen ansprechen als je ein republikanischer Präsident zuvor, was einigermassen erstaunt, zumal er mit seinen rassistischen Reflexen nicht hinter dem Berg hält.
Warum ist es überhaupt knapp? Das ist eine Frage, die sich viele stellen. Denn letztlich ist es die Auswahl zwischen einer kompetenten Frau und einem Mann, der behauptet, dass Migranten Katzen und Hunde verspeisen würden. Der auf einer Wahlkampfveranstaltung statt Fragen zu beantworten Musik abspielen lässt und dazu dirigiert. Der das Militär und die Justiz gegen seine politischen Gegner einsetzen will. Der bereits klar gesagt hat, dass er das Resultat der Wahlen nicht akzeptieren wird, sofern er nicht gewinnt. Was man ihm glauben kann, schliesslich hat er es bereits einmal vorgemacht. Ein Mann, von dem ziemlich viele seiner ehemaligen Kabinettsmitglieder sagen, dass er untragbar sei. Sein oberster militärischer Berater, General Mark Milley, meinte gar zum Journalisten Bob Woodward, Trump sei ein ein Faschist bis ins Mark. Es gäbe noch viel aufzuzählen, nur scheint das nichts zu nützen.
Trumps Wiederwahl ist also nicht unwahrscheinlich. Das hätte ziemlich weitreichende Folgen, sowohl für die Welt wie auch für die USA. Zumal er sein Programm nicht versteckt und offen über Massendeportationen oder Internierungslager redet. Wie kann das sein? Liegt es an der Figur Trump oder an seinem Programm? Nationalistische, migrationskritische und autoritäre Bewegungen und Personen sind weltweit im Aufwind. Wie wir beispielsweise in Österreich sehen, hängen die Bewegungen auch nicht zwingend an einzelnen Personen. Der Aufstieg der FPÖ hat mit der charismatischen Figur von Jörg Haider begonnen. Doch hat die Partei auch ohne Haider Erfolg, sowohl unter Karlheinz Strache wie auch jetzt unter Herbert Kickl, dem das Charisma komplett fehlt. Antimigrationspolitik scheint im Moment also anzukommen – weltweit. Trump profitiert aber zusätzlich davon, dass er nicht als konventioneller Politiker wahrgenommen wird, sondern als Entertainer und als erfolgreicher Geschäftsmann, was letztlich auch bloss eine Rolle ist, die er dafür gekonnt spielt. Und er profitiert davon, dass man letztlich immer noch nicht richtig glaubt, dass er ernst meinen könnte, was er sagt.
Die Inflation und die damit verbundene sinkende Kaufkraft hat zu grosser Unzufriedenheit mit der Biden-Administration geführt. Obwohl die ökonomischen Kennzahlen eigentlich nicht schlecht sind – tiefe Arbeitslosigkeit und steigende Löhne – ist eine Mehrheit der Meinung, der Geschäftsmann Trump wäre besser für die Wirtschaft. Das liegt auch an einer etwas selektiven Erinnerung. Tatsächlich brummte die Wirtschaft vor der Pandemie, die danach erfolgten inflationären Trends gab es weltweit. Die USA sind dabei vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Viele Leute scheinen sich zudem mit Freude an die Covid-Beihilfen zurückzuerinnern. Die gab es zwar unter Biden genauso, nur eben nicht in Form eines von ihm unterschriebenen Checks. Politmarketing, das sich auszahlt.
Was wäre die richtige Strategie, Trump zu besiegen? Ob Harris die richtige Strategie gewählt hat, sieht man erst nach den Wahlen. Im Moment wird – der mediale Honeymoon ist vorbei – daran einiges kritisiert. Sie sei zu vage und unspezifisch, gäbe zu wenig Interviews oder die falschen, grenze sich zu wenig von Biden ab. Ihre Voten seien zu geschliffen oder aber dann zu wenig. Sie ist zu links oder zu rechts, auf jeden Fall nicht richtig unterwegs. Das mag alles nicht unberechtigt sein, ist aber angesichts der wirren oder verstörenden Auftritte und Aussagen ihres Gegners irgendwie nicht ganz verhältnismässig. Gewisse Medien scheinen da ihre Fehler von 2016 zu wiederholen.
Eine alte These, wonach der Rechtspopulismus durch Austerität und durch schlechte Infrastruktur begünstigt wird, hat im Moment wieder Aufschwung. Nun ist die europäische Politik, die im Moment gefangen scheint zwischen Austerität und Anti-Migrationspolitik, tatsächlich kein gutes Beispiel dafür, wie man das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik stärken könnte. Politikwissenschaftler Adrian Vatter meint in einem Interview in der NZZ: «Wenn der Staat mit der Kürzung öffentlicher Dienstleistungen droht, geschieht das häufig bei den Renten und den Sozialtransfers, weil das die grössten Posten sind. In der Folge wenden sich enttäuschte Bürger von den Regierungsparteien ab und bleiben zu Hause. Oder sie wählen mehr radikale, extremistische Parteien. Die linkspopulistische ‹La France insoumise› und das rechtsextreme ‹Rassemblement national› feierten spektakuläre Erfolge.» Diese Analyse mag für Frankreich und vielleicht auch teilweise für Deutschland zutreffen. Nur stimmt sie nicht universell: Denn in der Schweiz funktioniert der Service public gut, die Rechte gewinnt aber trotzdem und gerade auch in reichen Kantonen.
Die Frage ist auch deshalb interessant, weil die Biden-Administration genau mit dieser These operierte. Mit der Überzeugung, dass mit der Investition in die Infrastruktur, einem Ausbau des Sozialstaats, mit einer aktiven Industriepolitik, sowie einer klar gewerkschaftsfreundlichen Politik der Aufstieg der Rechtsnationalisten gebremst werden könnte. Geglückt ist das ganz offensichtlich nicht. Bidens Popularitätswerte sind schlecht, die Amerikaner:innen sind unzufrieden mit der Wirtschaft und dem Kurs des Landes. Und die Führung der Teamster-Gewerkschaft weigert sich, mit Harris eine Vertreterin der Administration zu unterstützen, die ihre Renten gerettet hat. Dies obwohl Trump keinen Hehl daraus macht, was er von Gewerkschaften hält. Wenn er beispielsweise Elon Musk vorschlägt, streikende Arbeiter:innen zu entlassen. Das heisst nicht, dass hier eine falsche Politik verfolgt wurde. Sie braucht wohl einfach mehr Zeit, um sich erfolgreich zu entwickeln. Aber die Gefahr besteht, dass bei einer Niederlage die falschen Schlüsse gezogen werden. Dass sich die Demokraten nachher auch in einen Wettbewerb um Austerität und harte Migrationspolitik begeben, was weder gute Politik ist noch den Erfolg bringen wird, wie Keir Starmer in England gerade vorexerziert. Aber noch ist alles möglich. In drei Wochen wissen wir mehr.