Viel Respekt für die Smoodeurs, wenig Verbesserung bei Smood

Im November 2021 streikten die KurierInnen des Essenslieferdiensts Smood in verschiedenen Städten der Romandie während fünf Wochen. Zusammen mit den Gewerkschaften formulierten sie Forderungen und sammelten Unterschriften. Schliesslich schalteten sich auch die Behörden ein. Seit Februar ist nicht mehr viel passiert. Was war da genau los? Ein Rückblick auf die Streiks und ihre Konsequenzen.

 

Sergio Scagliola

 

Im vergangenen November legten in Yverdon-les-Bains mehrere Kuriere des Essenslieferdiensts Smood ihre Arbeit nieder. In den zwei Jahren zuvor hatten Angestellte in verschiedenen Kantonen vermehrt Missstände in Bezug auf die Arbeitsbedingungen bei Smood den Gewerkschaften gemeldet. Der darauffolgende Streik war ein repräsentatives Beispiel: Sowohl für die mit der Plattformökonomie verbundenen Problematiken, als auch, wie gewerkschaftliche Organisation, Widerstand und Vernetzung der Betroffenen Verbesserung in den Arbeitsbedingungen zur Folge haben kann. Doch um das zu verstehen, muss aufgerollt werden, was innerhalb des letzten Halbjahrs geschehen ist. 

 

Die Unia stellte bereits 2019 fehlerhafte Stundenabrechnungen und Probleme bei der Spesenentschädigung fest. Diese und weitere Vorwürfe über schlechte Löhne, Intransparenz und die mühsame Schichtverteilung häuften sich ab Frühjahr 2021. Im November traten die KurierInnen schliesslich in den Streik – zunächst in Yverdon, zwei Tage später in Neuenburg und La Chaux-de-Fonds und innerhalb der nächsten zwei Wochen in Genf, Lausanne, Montreux, Martigny, Sion, Vevey, Nyon und auch Fribourg. Ende November übergab eine Delegation der streikenden KurierInnen schliesslich eine Petition mit 12 247 Unterschriften an Smood. Die Hauptforderung: Mehr Respekt für die Angestellten. Mitte Dezember schritt auch eine erste Behörde ein – der Kanton Genf hatte die Schlichtungsstelle ‹Chambre des relation collectives de travail› (CRCT) eingeschalten, um den Konflikt zu lösen. Das beendete den Streik nach fünf Wochen.

 

Sabotage?

Für Smood waren die Streiks zu Beginn aber gar keine Streiks. In einem Interview mit ‹Le Temps› erklärte eine Sprecherin im November: «Bisher gab es keine Streiks. Es gab durch die Unia organisierte Veranstaltungen, die ZustellerInnen finanziell zur Teilnahme animierte». Dies sei zeitlich nicht zufällig zu einem Zeitpunkt geschehen, als ein GAV mit der Gewerkschaft Syndicom fast ausgearbeitet gewesen sei, den die Unia durch ihre Intervention zu destabilisieren und sabotieren versucht hätte. Syndicom bestätigt, dass Gespräche über mehrere inhaltliche Punkte stattgefunden haben: «Doch der Abschluss eines GAVs stand im November noch nicht unmittelbar bevor».

 

Ohnehin ist fraglich, ob die Unia und Syndicom derart verschiedene Interessen vertreten. Schliesslich sind die Forderungen weitgehend deckungsgleich: Die Bezahlung der Gesamtarbeitszeit – also auch der Wartezeit zwischen einzelnen Bestellungen – sowie eine Mindesteinsatzdauer, ein höherer Lohn, transparente Arbeitsplanung und die Empfehlung, weitere Verhandlungen über Spesen und Trinkgeld wieder aufzunehmen. Die zehn Punkte, die die Schlichtungsstelle CRCT Smood vorgelegt hat, dürfte also mit den zwei gewerkschaftlichen Forderungskatalogen mindestens überschneidend sein.

 

Im Rahmen der Forderungen durch die CRCT und die Gewerkschaften ordnete der Kanton Genf nach fünf Wochen Streik bis zum Abschluss der Schlichtung an, alle Kampfhandlungen zu unterlassen. Ob Smood sich zunächst an diese Anordnung hielt, ist Definitionssache. Renan Rodrigues hatte die Streikbewegung im November gestartet und den ersten Streik in Yverdon mitinitiiert. Er und einige weitere Mitarbeiter, die mit den Streiks in Verbindung standen, wurden gefeuert. Für Renan Rodrigues ist das wenig überraschend: «Smood ist insgesamt verhältnismässig gut aus dieser Sache rausgekommen.» Dies sei nicht grundlos geschehen. Früher sei es extrem schwierig gewesen, mit Smood in Bezug auf die genannten Missstände in Kontakt zu treten. Plötzlich – wohl auch in Reaktion auf die Streiks – habe es aber Verbesserungen gegeben. «Das ist sicher ein erster wichtiger Schritt, aber eben nur ein Schritt. Smood hat viele Streikende mit dieser guten Kommunikationsstrategie beschwichtigt.» Gleichzeitig habe das Unternehmen aber parallel auch einige Leute entlassen, die im Rahmen der Streikbewegung aktiv waren. Wenn das keine Kampfhandlung ist, dann zumindest ein aggressives Vorgehen. 

 

Verbesserung im nächsten Anlauf

Die Verhandlungen mit Smood scheiterten zumindest im ersten Anlauf Ende Januar. Darauf folgte eine Protestaktion in Genf am 5. Februar. Zwei Tage später intervenierte der Kanton Genf erneut und verlangte auf die Feststellung der CRCT hin, dass Smood Minimalstandards in Bezug auf Arbeitsbedingungen nicht erfülle, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. Und nun bewegte sich tatsächlich etwas. Für Renan Rodrigues ist klar, dass Smood realisiert hatte, wieviel auf dem Spiel steht: «Natürlich hat Smood auch einen Imageschaden davongetragen, insbesondere bei den Restaurants in den vom Streik betroffenen Städten. Dadurch und auch durch die laufende Intervention der Behörden scheint Smood realisiert zu haben, dass es für sie ein grosses Risiko ist, weiter dagegen zu halten.» Deshalb sei auch die Ruhigstellung der Belegschaft durch kleine Verbesserungen geschehen. Aber einen weiteren Streik in diesem Ausmass könne sich Smood nicht leisten: «Durch den Streik haben viele KurierInnen realisiert, dass mit Druck Verbesserungen geschehen können. Und sie wissen, wie und wo sie sich vernetzen müssen.» 

 

Von den rund zehn Forderungen, deren Umsetzung die Streikenden zusammen mit der Unia von Smood verlangten, setzte das Unternehmen laut Unia nur eine um – einen höheren Stundenlohn. Smood-CEO Marc Aeschlimann äusserte sich ebenfalls noch Mitte Februar im Interview mit ‹Le Temps›. Sieben von neun Empfehlungen der Schlichtungsstelle seien umgesetzt worden. Die für Renan Rodrigues und viele andere Kurier­Innen besonders wichtige Forderung allerdings nicht: Die Bezahlung nach Arbeitsstunden statt nach dem bisherigen Modell, wo die effektiv bezahlte Arbeitszeit erst bei Eingang einer Bestellung beginnt. Mehrere Streikende hätten angeblich so effektive Stundenlöhne von weit unter 15 Franken bei ihren jeweiligen Schichten feststellen können. Aber dennoch: Der Streik fachte in Reaktion auf die lediglich punktuelle Verbesserung nicht noch einmal auf. War das auf ernsthafte Bemühungen seitens Smood zurückzuführen? 

 

Smood gab dem P.S. bis Redaktionsschluss keine Antwort auf Fragen nach dem weiteren Vorgehen und den neulich implementierten Forderungen. Aber: Die Situation als KurierIn bei Smood hat sich durchaus verbessert. Neu eingerichtete Hotlines sorgen für bessere Kommunikation mit dem Unternehmen seitens ArbeitnehmerInnen, auch der effektive Stundenlohn sei merkbar gestiegen, so Renan Rodrigues, der noch immer in engem Kontakt mit ehemaligen KollegInnen steht. Dass die Streiks aber eingestellt wurden, dürfte nicht ausschliesslich an den adaptierten gewerkschaftlichen und behördlichen Forderungen liegen. Der Streik war in seinem Ablauf eine Kettenreaktion, die die angestaute Unzufriedenheit der Belegschaft auf einen Schlag entladen hatte. Dass diese Kettenreaktion so geschehen war, lag nicht nur an fehlender Vernetzung, sondern auch an der Angst vor einer potenziellen Kündigung. Renan Rodrigues erinnert sich, dass ihm vor der Organisation des Streiks aufgefallen war, dass seine KollegInnen lediglich zweierlei Reaktionen auf seine Vernetzungsideen hatten: «Alle, die ich angesprochen habe, die mit dem Smood-Rucksack unterwegs waren, waren entweder begeistert oder besorgt, weil sie Konsequenzen befürchteten. Aber die meisten hatten auch nichts zu verlieren.»

 

Druck aufrechterhalten

Die Streiks verbreiteten sich in der Romandie innert wenigen Tagen wie ein Lauffeuer. Aber in der Deutschschweiz? Mediale Berichterstattung zu den Streiks, die in dieser Branche einen traurigen Rekordverdacht in ihrer Dauer darstellen, war ohnehin rar. Grössere Streiks etwa in Zürich gab es keine – obwohl die Unia auch Forderungen der Zürcher Smood-KurierInnen bearbeitet hatte. Einzig in Winterthur hatte sich eine kleine Gruppe formiert, die die Forderungen im Smood-Büro in Oerlikon abgab. In Zürich war die Vernetzung aufgrund der Grösse der Stadt und der vielen Angestellten wohl zu schwierig zu realisieren, heisst es auf Nachfrage des P.S. bei der Unia. War das auf die gute Kommunikation des Unternehmens zurückzuführen? Zu gewissen Teilen sicherlich, allerdings dürften auch die punktuellen Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen dazu beigetragen haben, dass Smood nicht einen nationalen Teilausfall der MitarbeiterInnen miterleben musste. 

 

Nun ist aber Ende April und seit zwei Monaten wieder Ruhe in dieses Thema eingekehrt. Aber die Geschichte ist noch nicht gegessen. Die Stille hat einen Grund: Die Verhandlungen mit den Gewerkschaften und der CRCT laufen noch immer, über deren Inhalt dem P.S. aus Gründen des Amtsgeheimnisses keine Auskunft gegeben werden konnte, heisst es bei der CRCT. Syndicom will zum laufenden Verfahren keine Stellung nehmen. Eine Form von Kompromiss wird Smood wohl aber eingehen müssen. Renan Rodrigues zieht daraus eine Lehre, die auch von seinen Ex-KollegInnen erkannt wurde: «Das Arbeitsmodell macht die Vernetzung unter ArbeiterInnen schwierig. Es ist ein Job mit wenig persönlichem Kontakt unter Kollegen – so geschieht natürlich auch wenig Austausch über Probleme in Bezug auf die Arbeitsbedingungen.» Aber die Vernetzung hat die Streikenden beflügelt und gezeigt, dass mit etwas Druck viel möglich ist: «Wir müssen weiterkämpfen. Denn: Was haben wir zu verlieren? Die Plattformunternehmen wälzen ihre Marktrisiken auf ihre Belegschaft ab – und solange niemand etwas sagt, ändert sich auch nichts. Wir müssen die Öffentlichkeit auf diese Missstände aufmerksam machen. Und das geht nur, solange der Widerstand der Belegschaft weitergeht».

 

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