Viel Lärm ums Koch-Areal

Die Akzeptanz im Quartier ist gesunken, die Besetzerinnen und Besetzer haben an Sympathien verloren. Ein Besetzer weiss auch warum. Es gibt immer mehr ‹Freaks› unter den BesetzerInnen: «Leute, die Scheiben einschlugen, weil sie besoffen waren oder sonst durchdrehten.» Das war 1974, bei einer der ersten grossen Häuserbesetzungen in Zürich, an der Forchstrasse beim Hegibachplatz. Vor rund 20 Jahren beklagten Wohlgroth-BesetzerInnen das Verhalten von Party-BesucherInnen in der ‹Zürcher Studentin›: «Samstagkonzerte mit bekannten Namen geraten oft zu Bierschwemmen und Konsumorgien. Stress und Frust unter den AktivistInnen sind die Folge. Aggressivität beherrscht das Klima auf dem Areal: Es wird geklaut, geprügelt, primitiv angemacht und jede Menge Dreck angehäuft.» Diese beiden Beispiele aus «Wo-Wo-Wonige!», der Dissertation von Thomas Stahel über die wohnpolitischen Bewegungen der Stadt Zürich zeigen: Auch früher verliefen Besetzungen nicht immer unproblematisch.

 

Häuserbesetzungen waren mal mehr oder weniger politisch, mal mehr oder weniger kontrovers. Viele dauerten auch nur kurz. Bis Ende der 1980er Jahre verfolgte die Stadt eine strikte und repressive Politik. Noch unter bürgerlicher Mehrheit begann sich die Politik 1989 zu ändern. Die Ursachen: Die Zahl der Häuserbesetzungen war massiv gestiegen, es wurde wöchentlich gegen Immobilienspekulation demonstriert, die Wohnungsnot war gross. Die Repressionspolitik funktionierte nicht mehr.

 

Nach den Wahlen 1990 und dem Wechsel zur rotgrünen Mehrheit wurde die Praxis weiter liberalisiert: Polizeivorstand Robert Neukomm liess erst dann eine Liegenschaft räumen, wenn eine Bau- und Abbruchbewilligung vorlag, ein Mietvertrag abgeschlossen wurde oder die betreffende Liegenschaft aus Sicherheitsgründen nicht mehr bewohnbar war. Die Freude der HausbesetzerInnen am Politikwechsel kühlte nach den Räumungen der besetzen Bäcki und des Wohlgroth-Areals ab. Ab Mitte 1990er Jahre setzte sich das Instrument des Gebrauchleihvertrags durch, seit 2002 kennt die Stadtpolizei das berühmte Merkblatt mit rechtlichen Informationen zu Hausbesetzungen. Zwischenzeitlich beruhigte sich die Lage und verschiedene Besetzungen wie der ‹Glacegarten› im Steinfels-Areal, das ‹Ego-City› oder die Sihlpapier-Fabrik sorgten mit kulturellen Veranstaltungen für immer mehr Wohlwollen und breitere Akzeptanz auch in den Medien.

 

Die illegalen Bars, Parties und Kulturveranstaltungen gelten als Nährboden für eine sich verändernde Stadt, die liberaler, interessanter und lebenswerter wurde. Die den spiessigen Mief der 1980er Jahre und das Drogenelend der 1990er Jahre abstreifte und zu der Stadt wurde, als die sich Zürich heute feiert: Als Kultur- und Kreativstadt, die Weltstadt im Kleinformat. 2007 schrieb der verstorbene Sozialgeograph Heiri Leuthold in der NZZ als Rezension von Thomas Stahels Dissertation: «Es ist unbestritten, dass von der Jugendbewegung oder den experimentellen Aktivitäten in besetzten Liegenschaften wie Wohlgroth oder Egocity wichtige Impulse für den Kultur- und Kreativ-Standort Zürich ausgingen.»

 

Die Besetzung auf dem Koch-Areal ist also nicht die erste Besetzung, die kontrovers verläuft. Und in der die BesetzerInnen einen Teil der Sympathien der Öffentlichkeit und der AnwohnerInnen verlieren. Ich habe durchaus Verständnis für lärmgeplagte AnwohnerInnen. Und natürlich kann es bei Besetzungen zu Situationen kommen, wo es Handlungsbedarf gibt, wo es nicht mehr geht.
Die grosse Aufregung rund ums Koch-Areal in Medien und Politik irritiert mich dennoch. Der ‹Tages-Anzeiger›, einst Flaggschiff der links-liberalen Stadtmenschen, titelt: «Es reicht». Die ‹NZZ› findet das sowieso. Im Gemeinderat folgen die Fraktionserklärungen, allen voran die FDP, die sich zum Sprachrohr der AnwohnerInnen gemacht hat.

 

Der Stadtrat reagiert derweil besonnen und vernünftig. Das Koch-Areal wird nicht geräumt, es werden verbindliche Regelungen aufgestellt, um die Lärmbelastung zu mini­mieren. Man könnte durchaus einwenden, der Stadtrat hätte auch ein wenig früher auf diese Idee kommen können. Aber: Die Regeln wurden aufgestellt und sind klar. Jetzt liegt der Ball bei den BesetzerInnen. Daher könnten  sich jetzt alle wieder beruhigen, zumal – wie die ‹Schweiz am Sonntag› in einem Artikel am vergangenen Sonntag schrieb, die Mehrzahl der Lärmklagen von einem kleinen Kreis von fünf Personen aus eingereicht wurde.
Die treibende Kraft hinter der ganzen Aufregung rund ums Koch-Areal war der Freisinn. Besonders empörend finden die Freisinnigen, dass im Koch-Areal Auflagen verletzt würden, dass also feuerpolizeiliche oder hygienische Vorschriften nicht eingehalten würden. Und der Freisinn wie auch die ‹NZZ› scheinen fest entschlossen zu sein, die Geschichte bis zu den Wahlen weiterköcheln zu lassen. Sie haben es auf AL-Stadtrat Richard Wolff abgesehen, dessen Wahl sie bis heute noch nicht richtig verdaut haben.

 

Nun ist es nicht meine Aufgabe, dem Freisinn oder der ‹NZZ› Tipps zu erteilen, zumal sie sowieso nicht auf mich hören werden. Es mahnt aber ein wenig seltsam und widersprüchlich an, wenn jene, die sonst mit grösster Freude Leitartikel verfassen beziehungsweise in den sozialen Medien teilen, die Zürichs Hang zum Perfektionismus und zur gepützelten Sauberkeit  inklusive Marroni-Haus-Normierung anprangern, gleichzeitig aber nicht mit dem Wunsch nach einem nicht-normierten Leben umgehen können. Genauso wie die Freisinnigen jedem Wirt, der in einem Akt von zivilem Ungehorsam irgendeine staatliche Vorschrift bricht, gleich einen Preis verleihen, jetzt im Koch-Areal aber penibel Vorschriften überprüfen wollen.  Von der unterschiedlichen Behandlung von Lärmgeplagten ganz zu schweigen (siehe auch Kommentar auf S. 5). Ich halte diesen Feldzug auch politisch nicht für sonderlich klug: Es war zwar die FDP, die die Medienberichterstattung in Gang gebracht hat. Geerntet hat aber in erster Linie die SVP.

 

Ich war seit Jahren nicht mehr in einem besetzen Haus und bin auch sonst eher der gesetzesfürchtige Typ. Aber ich bin nun mal wirklich der Meinung, dass Urbanität und Lebensqualität nicht nur durch gut gestaltete Plätze und hochstehende Architektur, trendige Bars, Bürohochhäuser oder subventionierte Kultur entsteht. Sondern eben auch durch Hässliches, Unfertiges oder Improvisiertes. Durch Zwischennutzungen, Freiräume, nicht Aufgewertetes und nicht Normiertes. Durch Veränderung, Experimente und Brüche. Dass die nicht nur von netten, sympathischen und vernünftigen Menschen getrieben wird, liegt in der Natur der Sache. Das aushalten zu können, ist eine Herausforderung. Die man aber annehmen muss, wenn es einem ein wenig ernst ist mit der Freiheit und der Liberalität.

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