Verwerfungen im Fokus

Nach dem Standortentscheid ist vor der Debatte – das gilt auch für das geplante geologische Tiefenlager im Zürcher Unterland.

 

Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) schlug im September 2022 das Gebiet Nördlich Lägern im Zürcher Unterland als Standort für den Bau des geologischen Tiefenlagers vor (siehe P.S. vom 16. September 2022). Bereits zwei Wochen zuvor hatte der Zürcher Kantonsrat ein dringliches Postulat von Wilma Willi (Grüne, Stadel), Sibylle Jüttner (SP, Andelfingen) und Thomas Forrer (Grüne, Erlenbach) ausführlich debattiert und schliesslich mit 96:71 Stimmen bei 0 Enthaltungen überwiesen.

 

Die drei KantonsrätInnen hatten den Regierungsrat mit ihrem Vorstoss gebeten, «in einem Bericht darzulegen, wie die wissenschaftliche Begleitung des Sachplans geologisches Tiefenlager gestärkt werden kann. Diese soll unabhängiger und internationaler zusammengesetzt sein. Zudem ist zu prüfen, wie die Gemeinden unterstützt werden können» (siehe auch P.S. vom 2. September 2022). Nach der Überweisung des dringlichen Postulats galt es im Dezember in der Budgetdebatte, das zu dessen Umsetzung nötige Geld zu bewilligen, was ebenfalls gelang.

 

Haberstal infrage gestellt

Letzte Woche nun verschickten die Grünen Bezirk Dielsdorf eine Medienmitteilung «zur Kritik am Oberflächenstandort Haberstal für ein atomares Tiefenlager durch das Unabhängige Schweizer Begleitgremium Tiefenlager (USBT)». Darin nehmen sie Bezug auf eine Medienmitteilung des USBT vom 1. Fe­bruar – und auf das oben erwähnte dringliche Postulat: «Die Grünen des Bezirks Dielsdorf sehen sich bestätigt in ihrer Ansicht, dass das geplante Tiefenlager in der Region Nördlich Lägern unabhängig begleitet werden muss.»

 

Die Medienmitteilung des USBT wiederum trägt den Titel, «Unabhängiges Begleitgremium stellt Haberstal als sichersten Oberflächenstandort für atomares Tiefenlager in Frage». Eine Analyse der bisher publizierten geologischen Daten des Opalinustons in der Region Nördlich Lägern habe gezeigt, dass sich der vorgeschlagene Oberflächenstandort Haberstal «in unmittelbarer Nähe von zwei tektonischen Verwerfungen des Wirtsgesteins befindet». In diesen Bruchstellen könne der Opalinuston vertikale Versetzungen von bis zu 30 Metern aufweisen und brüchig sein. Solche Verwerfungen stellten für die Erschliessung und den Betrieb des Tiefenlagers ein Sicherheitsrisiko dar. Deshalb seien innerhalb des Lagerperimeters Nördlich Lägern alternative Oberflächenstandorte zu evaluieren, die «diesem Sicherheitsrisiko weniger ausgesetzt sind».

 

Die Grünen Bezirk Dielsdorf halten in ihrer Medienmitteilung dazu fest, der Standort Haberstal sei von der Regionalkonferenz vorgeschlagen worden: «Diese Entscheidung wurde ohne genaue Kenntnis der Geologie unterhalb des vorgeschlagenen Standorts gefällt. Zudem ist noch nicht im Detail bekannt, wo das Grundwasser auf dem Standort Haberstal genau durchfliesst.» Die Grünen unterstützten deshalb die Forderung des USBT, «dass die Nagra (und nicht die Laien der Regionalkonferenz) jetzt alternative Oberflächenstandorte evaluieren soll», schreiben sie.

 

Tektonische Beanspruchung unterschätzt?

Bereits am 25. Januar war auf www.nuclearwaste.info, dem Blog von Marcos Buser, André Lambert und Walter Wildi, folgender Beitrag erschienen: «Zum Vorschlag Haberstal (Stadel, ZH) als Standort für das Tiefenlager: Die Nagra unterschätzt die tektonische Beanspruchung.» Von diesen drei Geologen wohl am bekanntesten ist Marcos Buser, der mehrere Bücher zum Thema radioaktive Abfälle schrieb; in entsprechenden Expertenkommissionen sassen alle drei. Im erwähnten Beitrag kommen sie zu folgendem Schluss: «Aufgrund unseres Wissensstands und der in der Tiefe absehbar gestörten Gesteinsformationen erscheint die Eignung des Standorts Haberstal aus heutiger Sicht für ein geologisches Tiefenlager, sowohl für hochaktive als auch für schwach- und mittelaktive Abfälle, zumindest fragwürdig.»

 

Sie halten weiter fest: «Die wissenschaftliche Argumentation, welche die Nagra zu diesem Standort führte, liegt noch nicht vor. Die einzelnen Grundlagen- und Referenzberichte sollen nun bis zur Einreichung des Rahmenbewilligungsgesuchs laufend abgeschlossen und veröffentlicht werden. Daher kann die Qualität dieses Standortvorschlags heute auch noch nicht abschliessend beurteilt werden. Doch die bisher vorliegende, bzw. öffentlich zugängliche Dokumentation gibt zumindest Anlass zu begründetem Zweifel, ob der vorgeschlagene Standort die in ihn gesetzten Erwartungen wirklich erfüllen kann.»

 

Diesen Beitrag wie auch die Medienmitteilung der Grünen Bezirk Dielsdorf griff der ‹Zürcher Unterländer› am 4. Februar auf und titelte, «Geologen stellen Standort für Oberflächenanlagen infrage». Dort ist auch zu lesen, bei der Nagra sehe man die Sache anders: «Bei der Oberflächenanlage ist die bauliche Auslegung, das heisst die Bautechnik, entscheidend für die Betriebssicherheit und nicht die Geologie», wird Nagra-Sprecher Patrick Studer zitiert. Zudem seien «im Opalinuston unter der Oberflächenanlage (…) keine Störungen erkennbar», und selbst wenn, «wäre das nicht problematisch und technisch gut beherrschbar». Das eigentliche Tiefenlager liege «weiter südlich in einem sehr ruhig gelagerten Bereich ohne relevante Deformationen oder Störungen».

 

Dem wiederum widersprechen die drei Geologen gleichentags auf www.nuclearwaste.info. Sie schreiben dort, ein Teil des geplanten Tiefenlagers und seiner Oberflächenanlagen lägen «in der deformierten Zone im Vorfeld der Weiach–Glattfelden–Eglisau-Störung», und die unter dem Opalinuston liegenden Sedimentgesteine seien «ebenfalls tektonisch gestört». Von «sehr ruhig gelagert» könne hier deshalb «kaum die Rede sein».

 

Zudem werde der gemäss Kernenergiegesetz und -verordnung zu definierende Schutzbereich um das Tiefenlager «voraussichtlich seitlich mehrere hundert Meter breit sein müssen», um das Lager durch eine genügende Distanz von der erwähnten Störung zu separieren: «Daher ist absehbar, dass in diesem Bereich der Bau eines Tiefenlagers und seiner Zugänge – allein schon aus geometrischen Gründen – kaum mehr zu realisieren sein dürfte.»

 

Klar ist damit eines: Standortentscheid hin oder her, die Diskussionen gehen weiter. Zum Beispiel am kommenden Montag, den 13. Februar um 19.45 Uhr im Neuwis Huus in Stadel: Dorthin lädt der Verein LoTi (Nördlich Lägern ohne Tiefenlager) ein, und zwar «zum Vortrag und anschliessender Diskussion mit dem Geologen und Sozialwissenschaftler Marcos Buser». Der Titel lautet, «Alternative Strategien zum geplanten Tiefenlager» und der Untertitel, «Eine Lösung für die Ewigkeit gibt es nicht!»

 

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