Versteckte Rache

Wenige Wochen vor den Kantonratswahlen trat Chantal Galladé, aktuell Schulpräsidentin in Winterthur und langjährige Nationalrätin, aus der SP aus und in die GLP ein. Letzte Woche gingen Nationalrat Daniel Frei und Kantonsrätin Claudia Wyssen mitten in den Vorbereitungen zu den eidgenössischen Wahlen den gleichen Weg. Während Chantal Galladé nebst der zunehmenden Ideologisierung und Dogmatisierung der SP (im Gegensatz zur Offenheit der GLP) die aktuelle Stellungnahme zum Rahmenabkommen als Grund nannte, beschränken sich die beiden Neuaustretenden auf die aus ihrer Sicht zunehmende Ideologisierung und Intoleranz der Partei gegenüber Sozialliberalen.

 

Trotzdem gilt es auch hier zwischen dem Was und dem Wie zu trennen. Parteiwechsel gehören zur Politik, ich finde sie durchaus legitim. Ich finde es sogar nachvollziehbar, dass man eine Partei mit Rachegelüsten und wüsten Reden verlässt, aber dann sollte man dazu stehen, dass man der alten Partei schaden will. Und sich auch überlegen, wie sehr man sich selber wandelte, und nicht einfach der verlassenen Partei Sturheit vorwerfen.

 

Dabei existiert eine solche durchaus: Bei allen Parteien und keineswegs typisch bei der SP oder der andern «Polpartei» SVP. Man nennt es heute gerne «rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen» —, womit auch gemeint ist, dass darüber nicht laut nachgedacht werden darf. Bei der SP ist dies neben dem Lohnschutz derzeit etwa das AHV-Alter 67, obwohl eine teilweise Erhöhung das kleinste Übel sein könnte. Profil, Alleinstellungsmerkmal, Vertretung des Volkswillens sind derzeit deutlich gefragter als Konsens. Dazu eine Anmerkung: Ich erlebte die Zeit noch, als der Konsens eine Ideologie war, die jede Lebendigkeit und Diskussionslust erstickte.

 

Parteien sind zum Glück lebendig, sie verändern sich. Als ich in die SP eintrat, brauchte es eher Mut, sich gegen einen Stadtrat zu stellen, heute in Zürich mitunter mehr, sich hinter einen solchen zu stellen. Aber man behielt damals den Kopf auf dem Hals und auch heute dominiert – auch wenn es mitunter von Moral trieft – die Freude an der Diskussion und der Auseinandersetzung. Wer sich im jeweiligen Mainstream der Partei bewegt, lebt logischerweise etwas bequemer. Wobei es zu giftigen Machtkämpfen kommen kann, wie sie Daniel Frei als Prellbock zwischen Mario Fehr und einem Teil der Partei erleben musste.

 

Die Auseinandersetzungen können so heftig und grundsätzlich werden, dass es zu Spaltungen kommt. Die BDP trennte sich von der SVP, die GLP von den Grünen. Während die BDP bisher kaum eine eigenständige Rolle und eigene Wählerschaft fand, gelingt dies der GLP immer besser. Wer sich ernsthaft für die Umwelt einsetzen und dies mit den materiellen Interessen und dem Lebensstil eher jüngeren AkademikerInnen und FacharbeiterInnen verbinden will, findet hier Gleichdenkende und eine Partei, die zu einem Teil der Bevölkerung besser als jede andere passt.

 

Die SP, wie andere traditionelle Parteien, besteht – nebst den KarrieristInnen – aus einem Kern, der sich keine andere Partei vorstellen kann, und einem Teil, der die SP als kleinstes Übel wählte oder sich eine andere Partei fast genauso gut vorstellen konnte. Mittelschullehrer oder Ärzte gehörten bis in die 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts zum Freisinn; bis dieser sich so entwickelte, dass es immer mehr zur SP zog. Mit der GLP steht nun eine zusätzliche Möglichkeit zur Verfügung. Auch wenn davon vor allem bisher Unorganisierte Gebrauch machen, wird die GLP auch für ein Teil der SP- und der FDP-Mitglieder (und noch viel mehr von potenziellen Mitgliedern) eine Alternative. Vor allem für jene, die der SP beitraten, weil ihnen Gleichstellung, Kitas, Ehe für alle, Umwelt oder auch Europa zentral waren, während sie den ökonomischen Teil in Kauf nahmen. Das ist eine Realität, und wenn ‹Tagi›-Chefin Judith Wittwer in diesem Zusammenhang der GLP unredliche Abwerbung und Widersprüche vorwirft, grenzt dies an Lächerlichkeit.

 

Selbstverständlich frage ich mich auch, was ein Daniel Frei bei der GLP sucht. Ich erlebte ihn vor allem als einen sozialen und gouvernamentalen Politiker, der als Gemeinderat konkrete Probleme löste, und keineswegs als einen Fahnenträger des Liberalismus. Nur, das ist sein Entscheid, den ich nicht verstehen muss. Verstehen kann ich durchaus, dass er einfach genug hatte: Wie Andrea Nahles in Deutschland.

 

Zu denken gibt das Wie. Daniel Frei ist immerhin zu attestieren, dass er der SP nichts wegnahm. Er absolviert nun noch zwei Sessionen als GLP-Nationalrat und verschwindet anschliessend – zumindest für einige Zeit – aus der aktiven Politik. Auch hier gilt wie bei Chantal Galladé: Indem er diesen Schritt jetzt und nicht vor der Delegiertenversammlung oder im Herbst tat, wollte er sein Mütchen an der SP noch etwas kühlen. Die Delegiertenversammlung samt ihrem Vorspiel mag für ihn ein Grund gewesen sein, aber ein sehr unrealistischer. Er wurde – entgegen seinen Befürchtungen – nicht abgestraft. Er landete auf dem letzten Platz der Bisherigen, auf dem Platz, auf dem er nach dem alten System praktisch auch gelandet wäre. Das neue, sehr basisdemokratische Wahlsystem entstand in seiner Zeit als Parteipräsident und dass dieses System Gruppen ermöglicht, jemanden zu forcieren oder abzustrafen, war allen mit etwas taktischem Grips (dazu gehört Daniel Frei) von Anfang an klar. Ich weiss nicht, was er erwartet hatte: Er erhielt weder einen Malus, noch einen Bonus. Dass seine Wiederwahl im Herbst in Gefahr war, trifft zu. Die SP benötigt ein optimales Ergebnis, um ihre neun Sitze zu verteidigen, und dass er als jüngstgewählter Nationalrat akut gefährdet ist, liegt auf der Hand.

 

Für Claudia Wyssen trifft das Unschöne noch mehr zu. Ob sie noch in die SP gehört oder nicht, muss sie wissen. Aber warum sie ihren Übertritt nicht vor den Wahlen im März vollzog, bleibt ihr Geheimnis. Das Rosengartenargument ist zu blöd für eine Richtigstellung. Sie benahm sich wie Rita Maria Marty, die sich auf der EDU-Liste wählen liess und dann feststellte, sie wolle zu einer Grosspartei, der SVP. Claudia Wyssen, die ihrer Meinung nach vor allem als Person und nicht als SP-Vertreterin gewählt wurde, hätte den Wechsel bereits vor der Wahl vollziehen können. Viel mehr gibt es zu ihr nicht zu sagen. Ausser dass der Ärger über ihre Positionen nun die GLP tragen muss, zu der sie, zumindest nach ihren wenigen Voten im Kantonsrat, kaum besser als zur SP passt.

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