Omar Abu Michel (Nawar Bulbul) ist in sein Fahrrad verliebt und träumt in aufgeregter Verzückung von einer Zukunft, in der er und das «Egalité» getaufte Velo den Familiennachzug von «Liberté» nach Frankreich organisieren werden. Einst gehörte das Gefährt dem Soziologen und Arabisten Michel Seurat (1947-1985), der sich eingehend mit dem politischen Islam beschäftigte und mit der Forschungsarbeit «Syrie. L’etat de barbarie» ein Standardwerk geschaffen hatte. Er wurde von der Organisation des islamischen Jihad in Beirut entführt und verstarb unter offiziell ungeklärten Umständen ebenda in Haft. An seinen Geist sind die zuerst wirr erscheinenden Stossgebete «in der Politik ist es besser, keine Politik zu machen» gerichtet. Der Überschwang im Spiel, in der Zärtlichkeit zum Velo, der übertriebenen Gastfreundschaft gegenüber Häschern des al-Assad-Vorgängerregimes und die unbedingte Beharrlichkeit gegenüber den französischen Behörden, den Rechtsanspruch seines Fahrrades auf Asyl anzuerkennen, sind reine Spieltricks. Ablenkungsmanöver, um vordergründig zu verschleiern, welche Abgründe dahinter kaschiert werden wollten. Konjunktiv, weil sich traumatische Erfahrungen in Gefangenschaft bis tief ins Unterbewusstsein eingegraben haben und sich der Zynismus der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft gegenüber Giftgaseinsätzen, Bombenhagel und gleichwohl lebensbedrohlicher Dauerbespitzelung in einem einstmals als paradiesisch beschriebenen Landstrich als Wiederholungstat erkennbar zeigt. Wenn der passionierte Gümmeler vor seinem inneren Auge die Tour de France gewonnen hat und in den Gärten des Elyséepalastes zur feierlichen Dankesrede ansetzt, wird der Traumtänzer von seinen Dämonen überrollt: In einer zur Salzsäure erstarrten Heldenpose rattert er den ihm unter Folter eingeprügelten Text des Lobliedes auf den islamischen Nationalismus, al-Assad und die Baath-Partei herunter, dass es ein Publikum erschüttert. Unvermittelt von der tatsächlichen Heftigkeit der Bedeutung einer umfassenden Unterdrückung überrumpelt. Der mehrheitlich auf arabisch gehaltene Abend ist entgegen seines formalen Scheins inhaltlich ungeheuer komplex und in seiner wechselseitigen Sprunghaftigkeit auch überfordernd. Aber auch ohne jedes Detail in seiner Tragweite erfasst zu haben, ist das Gros dieser grundhumanistischen Anflehung aller, denen es an die Ohren dringen mag, sich den Realitäten der Bevölkerung in der Levante nicht zu verschliessen, nachgerade ohrenbetäubend laut vernehmbar. Die Figur mag den Verstand verloren haben, aber die Hintergründe dafür sind schlagend.
«Egalité», 6.6., Sogar Theater, Zürich.