- Im Kino
Verkannt
In Südafrika unter dem Apartheidregime fotografierte der junge Ernest Cole (1940-1990) als Chronist des Elends, des Unrechts und der Grausamkeit die Perspektive der Schwarzen Bevölkerung und veröffentlichte mit nur 27 Jahren das epochale Fotobuch «House of Bondage», dessen Bedeutung mindestens so hoch gewichtet werden muss wie «The People of Moscow» von Henri Cartier-Bresson und «The Americans» von Robert Frank. Natürlich nur überall ausserhalb Südafrikas. Das internationale Aufsehen, das er damit weckte, zwang ihn regelrecht zur Emigration, was für eine Schwarze Person in Südafrika dieser Zeit die Konsequenz zur Folge hatte, niemals je wieder dorthin zurückkehren zu dürfen. In New York Ende der 1960er-Jahre wurde ihm ein Kunststipendium gewährt, woraufhin er in den USA weiterhin den Fokus auf die Rassendiskriminierung, die Verelendung der Armutsbetroffenen und die nur marginal versteckten Folgen eines Drogenelends ablichtete. Mit dem enormen Unterschied, dass sich dafür ganz im Gegensatz zu Südafrika in den USA überhaupt gar niemand interessierte, ganz im Gegenteil die allgemeine gesellschaftliche Stimmung, also auch die mediale Rezeption gerade davon verschont bleiben wollte. Er fühlte sich als Fremder in der Fremde völlig missverstanden und dislozierte auf Einladung seines Berufskollegen und langjährigen Mentors Rune Hassner (1928-2003) für eine Weile nach Schweden, wo er als erste Schwarze Person überhaupt auf den Strassen in eine wiederum nur leicht veränderte Sonder- wenn nicht gleich Exotenrolle gedrängt wurde, was die ohnehin hartnäckig in ihm nagenden Selbstzweifel existenziellen Ausmasses nurmehr ergänzend verstärkte. Ernest Cole starb völlig verkannt und geriet in Vergessenheit, bis 2017 in einem schwedischen Banksafe ein Konvolut von 60 000 Negativen gefunden wurde, dessen Ursprung oder Depositär partout nicht in Erfahrung zu bringen ist. Raoul Peckt glückt ein ungemein vielschichtiges Zeitzeugnis.
«Ernest Cole» spielt im Kino Movie.