Verdichten, nicht verdrängen

Gestern Donnerstag hat die Besondere Kommission Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen/Verkehr des Zürcher Gemeinderats ebendiesen Richtplan, allerdings ohne den Verkehrsteil, zuhanden des Plenums verabschiedet. Was der Plan beinhaltet und weshalb die Stimmberechtigten das letzte Wort haben werden, erklärt Kommissionspräsident Marco Denoth (SP) im Gespräch mit Nicole Soland.

 

Der Richtplan Siedlung, Landschaft, öffentliche Bauten und Anlagen ist ein dicker Wälzer geworden. Kurz zusammengefasst: Worum geht es in diesem Plan?

Marco Denoth: Die Stadt Zürich befindet sich zurzeit in einer Phase, in der sie vom Kanton zur inneren Verdichtung verpflichtet wird: Die Stadt soll in den kommenden Jahren mehr Menschen aufnehmen können, und der dafür notwendige Wohnraum soll mittels Verdichtung geschaffen werden. Dem Stadtrat und der linken Mehrheit im Gemeinderat ist es wichtig, dass dieser Verdichtungsprozess mittels hoher Qualitätsstandards sowie sozialverträglich erfolgt: Es darf nicht sein, dass ZürcherInnen deswegen aus ihrem Quartier oder gar aus der Stadt verdrängt werden. Ebenfalls grossen Wert legen wir auf den Klimaschutz und die Hitzeminderung.

 

Und das alles ist im neuen Richtplan erfüllt?

Die Vorlage von Stadtrat André Odermatt, die wir in der Kommission bearbeiten durften, war schon sehr gut. Uns ist es im Rahmen der Beratungen gelungen, sie in ein paar wichtigen Punkten zusätzlich zu schärfen. Einer davon ist die bereits erwähnte Sozialverträglichkeit. Wir wollen, dass auch Menschen mit normalen Einkommen in ihren angestammten Quartieren oder zumindest in der Stadt Zürich bleiben können. Niemand soll wegen des laufenden Verdichtungsprozesses verdrängt werden. Zudem haben wir beim Klimaschutz nachgelegt: Der Stadtrat hat bekanntlich noch keine klare Haltung zum Netto-Null-Ziel, während wir diesbezüglich den Fokus auf das Jahr 2030 richten. Die SP unterstützt alle Anträge der Grünen zur Hitzeminderung, an denen wir auch mitgearbeitet haben.

 

Glaubt man der Medienmitteilung der FDP, so hat es die links-grüne Mehrheit vor allem darauf abgesehen, das Privateigentum abzuschaffen …

Die Bürgerlichen malen den Teufel an die Wand, wenn sie behaupten, künftig könne man bei HausbesitzerInnen läuten, durch deren Stube marschieren und es sich auf der Dachterrasse bequem machen, weil die böse Stadt Zürich mit dem neuen Richtplan das Eigentumsrecht und die Privatsphäre abgeschafft habe. Das ist natürlich Quatsch. Bei den entsprechenden Einträgen im Richtplan ist lediglich die Rede davon, dass die Stadt Lösungen mit Privaten suchen will, um in Gebieten mit starker Verdichtung beispielsweise Innenhöfe oder begehbare Dachflächen – wie etwa in der Siedlung Kalkbreite bereits geschehen – öffentlich zugänglich zu machen und zu beleben.

 

Zum Richtplanentwurf sind 187 Änderungsanträge eingegangen. Für die Detailberatung im Rat wird man mit etwa sovielen Stunden planen müssen wie jeweils für die Budgetdebatte. Die Uneinigkeit in der Kommission scheint gross: Hätten Sie als Präsident besser zwischen den Lagern vermitteln müssen?

Die FDP hat sich sehr früh aus der Diskussion verabschiedet und die Arbeit am Entwurf den anderen Fraktionen überlassen. SP, Grüne und AL jedoch sind sich in vielen Punkten einig. Auch die Grünliberalen sind oft auf unserer Seite, insbesondere dann, wenn es um den Klimaschutz und die Hitzeminderung geht. Dass die SP beispielsweise die Anträge der Grünen für mehr Freiflächen nicht unterstützt, heisst zudem nicht, dass wir gegen mehr Freiflächen sind: Wir sind uns lediglich nicht sicher, ob dieser Siedlungsrichtplan der richtige Ort ist, um solche Anträge einzubauen – beziehungsweise wir denken, dass sie eher in den Verkehrsrichtplan gehörten. Grundsätzlich haben wir in vielen Punkten Lösungen gefunden, in denen die Meinungen zu Beginn stark auseinandergingen, und als Deputationsleiter der SP-Fraktion konnte ich meinen Beitrag dazu leisten.

 

Dennoch kann es einem bei der Durchsicht der Synopse durchaus so vorkommen, als schalte die links-grüne Ratsseite einfach auf stur und mache, was sie wolle.

Wir von der SP haben tatsächlich viele Anträge gemacht, wobei fast jeder im Rahmen der Kommissionsarbeit mit der Verwaltung abgesprochen wurde. Die Zusammenarbeit mit der Verwaltung war übrigens sehr gut: Wir stiessen stets auf offene Ohren, und wenn wir etwas vorschlugen, was so nicht optimal umsetzbar gewesen wäre, lieferte die Verwaltung schon mal eine Art Gegenvorschlag beziehungsweise nützliche Tipps, wie sich unsere Idee verwirklichen liesse. Dafür bin ich dankbar, und so konnten wir den Richtplan als Mehrheit gut konsolidieren. Aber der Eindruck von «Sturheit» ist schon nicht verkehrt: Seit den grossen Sitzgewinnen bei den letzten Wahlen brauchen wir die Bürgerlichen nicht mehr, um Mehrheiten zu erlangen. Umso mehr steht nun der  politische Auftrag im Fokus, den uns unsere WählerInnen erteilt haben. Und ja, es ist auch ein gewisser Druck da: Wir wurden gewählt, um das umzusetzen, was wir im Wahlkampf versprochen haben, und entsprechend setzen wir uns auch beim Richtplan für zentrale Anliegen wie zahlbaren Wohnraum und umwelt- und stadtverträglichen Verkehr ein.

 

Egal, mit welchem Stimmenverhältnis der Richtplan dereinst im Gemeinderat verabschiedet wird, gibt es dem Vernehmen nach so oder so eine Volksabstimmung. Ergreifen Sie wirklich das Referendum gegen ihren eigenen Richtplan?

Eigentlich hätten wir die Vorlage freiwillig der Volksabstimmung unterstellen wollen, doch das ist gemäss neuem Gemeindegesetz nicht mehr möglich. Deshalb müssen wir nun das Parlamentsreferendum ergreifen; beantragen werden es voraussichtlich die Grünen. Zu einer Vorlage wie dieser, zu einem solch wichtigen Thema müssen die Stimmberechtigten ihre Meinung auf jeden Fall äussern können, darin ist sich die Mehrheit einig.

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