Veräppelt

Zur Saisoneröffnung dominieren in Migrosmuseum wie in der Kunsthalle die Videos. Neben akustisch mangelhafter Präsentation ärgert vor allem der Inhalt, der mehrheitlich nicht fassbar gemacht wird.

 

Schall ist eine knifflige Angelegenheit. Nicht umsonst kosten akustische Kinoausstattungen ein kleines Vermögen. Stattdessen schlicht vier Lautsprecher in einen überhohen Ausstellungssaal zu stellen, erzielt kein adäquates Ergebnis. Wenn die Inhalte indes mit Bedeutungsschwere kokettieren, der Hall aber den englischen Text einerseits nur sehr schwer verständlich macht und eine Tonspur zweitens sogar noch mit jener einer davon unabhängigen Projektion im Nebenraum konkurriert, verkommt jeder Versuch eines konzentrierten Suchens nach Verstehen letztlich zur vergebenen Liebesmüh. Dem akustischen Ärgernis in der Kunsthalle steht jener im Migrosmuseum in nichts nach, allerdings aus inhaltlichen Gründen. Die koreanischen Künstler Moon Kyongwon und Jeon Joonho beschäftigen sich offensichtlich schon seit Jahren mit Fragen nach der Bedeutung von Kunst in einem postapokalyptischen Zeitalter und gehen dafür interdisziplinäre Kooperationen ein. Wenn sie allerdings an einem Künstlergespräch wie am vergangenen Sonntag nach drei Viertelstunden Namedropping noch immer weder Fragestellungen noch Ansätze von Antworten darauf liefern, sondern mit Bonmots kokettieren, wie: «Wir werden häufig gefragt, ob das überhaupt Kunst sei. Wir finden: Es spielt keine Rolle» (frei übersetzt), führen sie nicht nur das Konzept des Ausstellens im Kunstkontext ad absurdum, sondern auch ein interessiertes Publikum vor.

 

Realsatire?

Seit einigen Jahren intensivieren Institutionen der darstellenden wie der bildenden Künste in Zürich grosse Energie in Vermittlungsangebote, um zuletzt an der vergleichsweise banalen Form einer verunglückten Inszenierung zu scheitern. Bare Ironie oder schon ein Vorgeschmack auf 100 Jahre Dada? Sollte sich der Ärger nicht in bare Wut steigern, wäre dieser Blickwinkel immerhin für ein Publikum ein veritabler Rettungsanker. Denn wenn sich beispielsweise Loretta Fahrenholz in zwei Filmen im oberen Stockwerk der Kunsthalle mit wesensfremden Techniken einer Referenzgrösse widmet, um die Vorlage wiewohl das Funktionieren der angewandten Ästhetiken, wie beispielsweise Porno, exemplarisch zu entblössen und damit etwas Drittes zu schaffen, wäre es nicht komplett verkehrt, die Ursprungsreferenz entweder so zu wählen, dass sie als sattsam bekannt eingestuft werden kann oder dann im mindesten für ein Publikum nachvollziehbar offenzulegen. Sonst drohts, einzig selbstreferenziell zu werden, und der Witz geht flöten. Oder aber die voneinander unabhängig agierenden Institutionen unter einem Dach schaffen unbewusst ein Gesamtkunstwerk, das formidabel ineinander greift, und der Erklärung gleich auch noch ein physisches Erlebnis mitliefert, das der Grundannahme der beiden koreanischen KünstlerInnen bestätigt: «Zeitgenössische Kunst ist unnütz» (useless). Wer sich, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, Stunden mit diesen Ausstellungen abgemüht hat, wird sich freuen.

 

Zeitgeistig

Abgesehen von der verbesserungsfähigen Akustik bei Gesamtraumbeschallung sind wiederum die drei Filme von Pauline Boudry und Renate Lorenz geradezu das Paradebeispiel, dass das Begreiflichmachen eben doch geht. Auch ihre Arbeiten sind gefilmte Umsetzungen schwer verkopfter Ansätze,
aber immerhin wird die Gemengelage im Textblatt ausreichend nachvollziehbar umrissen. Teilweise zwar noch immer grenzwertig in der Erkennbarkeit einer vorhandenen Dringlichkeit, aber immerhin. Beinahe ist man geneigt, die auch in den darstellenden Künsten wie dem Film immer öfter auftretenden Anlehnungen ans Naturell der privaten Aktivitäten in sozialen Netzwerken, Selbstdarstellung um der Selbstdarstellung Willen, würden auch vor den bildenden Künsten nicht Halt machen. Nicht, dass das sonderlich tröstlich wäre, aber zum Ansatz eines Versuches einer Erklärung einer zeitgeistigen Tendenz, die inflationär um sich greift, taugts allemal. Im Migrosmuseum hingegen schlägt einen die zweite zeitgeistige Tendenz entgegen: Die Transdisziplinarität also die spartenübergreifende Zusammenarbeit als solche bereits zur Kunst zu erklären. Die Methodik und das Resultat werden als gleichwertig in der Wichtigkeit dargestellt, was aus der Warte der Herstellenden durchaus sein mag, nicht aber zwingend aus jener des Publikums. Eine in sich geschlossene Forschungsanstalt hier wie eine rein private Betätigung in sozialen Netzwerken dort, haben von einem Ausstellungsbetrieb verschiedene Gesetzmässigkeiten. Werden diese indes bis nahe der Unkenntlichkeit miteinander vermengt, respektive geht vor lauter Konzentration auf den Weg das Interesse am Resultat komplett verlustig, fühlt sich ein Publikum zuletzt nur noch veräppelt. Auch das ist ein Plan.

 

Pauline Boudry/Renate Lorenz: «Portrait Of An Eye» und Loretta Fahrenholz: «3 Frauen», bis 8.11. Kunsthalle, Zürich. Moon Kyungwon & Jeon Joonho: «News from Nowhere: Zurich Laboratory», bis 8.11., Migrosmuseum für Gegenwartskunst, Zürich.

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