So wird ‹kein Platz fürs Velo› gebaut

Die Stadt Zürich ist Meisterin in der Kunst des Velomassnahmen-Verhinderns.
Wie schafft sie das bloss immer von neuem? Eine Spurensuche.

 

Städteinitative, Gegenvorschlag zur Veloinitiative, velofreundliche Vorstösse im Gemeinderat: Für solche Ansinnen findet sich in der Stadt Zürich ohne allzugrosse Mühe eine Mehrheit. Doch vom Velosattel aus merkt man davon – wenig bis nichts: Ein paar neu gebaute Veloführungen auf dem Trottoir, die man nur über viel zu steile Randstein-Abschrägungen (umgangssprachlich: Felgenkiller) erreicht. Und ab und zu neue Verkehrsführungen, die sich, selbst bei wohlwollendster Betrachtung, irgendwo zwischen «unlogisch» und «noch gefährlicher als früher» bewegen. Was läuft da schief?

Der hier folgende Versuch, diese Frage zu beantworten, beschränkt sich auf das Beispiel Stampfenbachstrasse. Dort werden gerade die Tramgleise erneuert; im unteren Teil haben die Arbeiten bereits begonnen. Velomassnahmen gibt es dort keine. Ging das Velo etwa vergessen? Die VBZ hätten die Gleiserneuerung bereits 2007 angemeldet, und das Variantenstudium für Velomassnahmen habe 2009 begonnen, steht in der letzte Woche veröffentlichten Antwort auf den jüngsten Vorstoss im Gemeinderat zu diesem Thema, einer schriftlichen Anfrage von Hans Jörg Käppeli (SP). Er wollte vom Stadtrat unter anderem wissen, ob wegen der Erneuerung der Tramgleise in alter Lage tatsächlich erst Velomassnahmen möglich seien, wenn «in mehr als 20 Jahren» die Gleise wieder erneuert werden müssten. Soviel vorneweg: Dem ist so.

Doch wie konnte es soweit kommen? Blenden wir zurück: Das 2009 begonnene Variantenstudium dauerte seine Zeit. Im November 2013 – seit der Präsentation des Masterplans Velo war zu diesem Zeitpunkt auch schon wieder ein Jahr vergangen – organisierte Pro Velo eine Besichtigung verschiedener Velo-Brennpunkte. An der Stampfenbachstrasse, die im Masterplan Velo als «Hauptroute» aufgeführt und obendrein eine regionale Veloroute ist, wurde als negativ vermerkt, dass die Velos künftig auf einem Teilstück bergwärts aufs Trottoir geführt würden (vgl. P.S. vom 14.11.2013). Die Planauflage gemäss §13 Strassengesetz war zu dem Zeitpunkt allerdings bereits erfolgt, und zwar vom 17. Mai bis 17. Juni 2013.

Nun zur Antwort des Stadtrats auf Käppelis Frage: Dieser schreibt, «im zur Ausführung vorgesehenen Projekt war die Führung von Tram und motorisiertem Verkehr stadteinwärts neu auf einer Fahrspur (Mischverkehr) vorgesehen. Damit hätte der erforderliche Platz für neue Velomassnahmen gewonnen werden können. Als Folge der Streichung der entsprechenden Budgetpositionen durch den Gemeinderat kann das vorgesehene Strassenbauprojekt nicht umgesetzt werden. Da die Erneuerung der Tramgleise keinen Aufschub mehr duldet, müssen die Gleise in alter Lage erneuert werden. Daraus resultiert, dass die vorgesehenen Velomassnahmen bis zu einem erneuten Ersatz der Gleise nicht umgesetzt werden können.» Von einem möglichen ‹Mischverkehr› von Velos und FussgängerInnen ist hingegen keine Rede. Verwirrung herrscht…

Wie Hans Jörg Käppeli auf Anfrage erklärt, gab es im unteren Abschnitt der Stampfenbachstrasse, auf den sich seine Fragen an den Stadtrat bezogen, «meines Wissens nie eine Idee für eine Mischverkehrsfläche MIV/öV». Dasselbe erklärt auf Anfrage auch Markus Knauss, Gemeinderat Grüne. Klärung bringt schliesslich eine Anfrage bei der Stadt; Pio Sulzer, Leiter Kommunikation Tiefbau- und Entsorgungsdepartement, hält dazu folgendes fest: «In der Teilantwort 1 des Stadtrats auf die Schriftliche Anfrage 2016/143 (von Hans Jörg Käppeli/nic.) wurden oberer und unterer Abschnitt der Stampfenbachstrasse verwechselt. Im Abschnitt Stampfenbachplatz – Nordstrasse war zu keinem Zeitpunkt Mischverkehr vorgesehen, sondern im oberen Teil. Stadtrat Leutenegger hat in der Kommission und im Gemeinderat das Projekt jederzeit korrekt und unmissverständlich vertreten.»
Wie dem «Auszug aus dem substanziellen Protokoll, 79. Ratssitzung vom 11. Dezember 2015» zu entnehmen ist, jener Gemeinderatssitzung also, an welcher der Budgetposten «Velomassnahmen Stampfenbachstrasse» zur Debatte stand, sagte Stadtrat Leutenegger damals folgendes: «Wir haben versucht, so zu planen, dass wir möglichst gute Massnahmen erreichen. Den Strassenperimeter können wir nicht ändern. Der Kanton würde uns eine Mischverkehrsfläche mit motorisiertem Individualverkehr und Tram aufwärts oder abwärts nicht erlauben.»

Also ein klassischer Fall von «der Kanton erlaubt nicht alles, und was er erlaubt, will der Gemeinderat nicht»? Fehlanzeige. Denn Markus Knauss hatte bereits im Oktober 2015 zu verschiedenen Strassenprojekten eine schriftliche Anfrage eingereicht und sich darin auch nach der Stampfenbachstrasse erkundigt – insbesondere danach, weshalb bei der Planauflage nach §13 im Jahr 2013 der Veloweg bergwärts im östlichen Teil auf dem Trottoir geführt worden, im Auflageprojekt gemäss §16/17 für die Velofahrenden jedoch lediglich noch eine 60 cm breite Einfärbung am rechten Strassenrand vorgesehen gewesen sei. Jene berühmte Einfärbung also, die der Gemeinderat am 11. Dezember 2015 als «ungenügend» versenkte…

In der stadträtlichen Antwort heisst es dazu, während der Planauflage gemäss §13 habe das Projekt noch «den Stand einer Vorstudie» gehabt, und damals sei bergwärts eine Mischverkehrsfläche Fuss/Velo geplant gewesen. Und weiter: «Mit der weiteren Bearbeitung des Projekts hat sich gezeigt, dass in den Vorstudienplänen die Normbreiten für Kurven nach den massgeblichen Vorgaben des VSS nicht berücksichtigt worden sind. In Beachtung dieser Norm mussten die Spuren für den motorisierten Individualverkehr (MIV), Tram und Bus verbreitert und der Randstein auf der Kurvenaussenseite weiter hinaus geschoben werden. Infolgedessen wurde das verbleibende Trottoir zu schmal, um darauf eine Mischverkehrsfläche Fuss/Velo anbieten zu können. Diese aufgrund technischer Anforderungen notwendige Anpassung ist von untergeordneter Bedeutung, weshalb auf eine nochmalige Planauflage nach § 13 StrG verzichtet wurde. Die Änderungen waren Gegenstand der Planauflage nach § 16 StrG vom 9. Oktober bis 9. November 2015.»

Im Klartext heisst das: Auf einer Hauptroute gemäss Masterplan Velo haben Vorstudien, die fast fünf Jahre dauerten, ein einziges Projekt hervorgebracht. Und dieses erwies sich im Nachhinein als nicht umsetzbar, weil «die Normbreiten für Kurven» nicht beachtet worden waren. Es hat also ‹leider› keinen Platz fürs Velo – auf einer Hauptroute gemäss Masterplan Velo. Geradezu auf der Zunge zergehen lassen muss man sich aber, dass es sich dabei laut stadträtlicher Antwort um eine «aufgrund technischer Anforderungen notwendige Anpassung» handelt, die «von untergeordneter Bedeutung» ist – weshalb noch nicht mal die Pläne neu aufgelegt werden mussten…

Fazit: Wer in Zürich Unterschriften für eine bessere Veloinfrastruktur sammeln möchte, lässt es lieber bleiben. Die Initiative würde zwar problemlos angenommen (siehe oben). Aber ob der Stadtrat sich weigert, 200 oder nur 120 Millionen Franken auszugeben, die ‹das Volk› für eine bessere Veloinfrastruktur gesprochen hat – das ist beim besten Willen einerlei.

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