«Velostadt wird man, wenn man es will»

Viele Städte wollen «das Velo fördern». Doch was kommt nach jahrelanger Planung und vielen Einsprachen dabei heraus? Oft ist es schon als Erfolg zu werten, wenn man dem Resultat zumindest noch die ursprüngliche gute Absicht ansieht … Dass – und vor allem: wie – es anders geht, zeigt das Buch «Velowende» auf.

Fangen wir für einmal hinten an: Nicht grad mit dem krönenden Abschluss dieses Buches («zehn Schritte zur Velowende»), aber mit dem letzten Abschnitt davor, denn er liefert eine gute Kürzest-Zusammenfassung: «Velowende bedeutet letztlich vor allem eines: den Velofahrenden eine Einladung auszusprechen, sie willkommen zu heissen. Dafür braucht es beides: grosse Gesten, aber auch kleine Details. Und Engagement auf allen Ebenen, von allen Akteuren, denn: Velostadt wird man, wenn man es will.» Wie das konkret geht? Dazu liefern die erwähnten zehn Schritte die Anleitung. Sie lauten «1. Bündnisse schmieden und übers Radfahren sprechen, 2. Diagnose erstellen, 3. Perspektive auf die Strasse wechseln, 4. Ziele festlegen, 5. Mut und Ausdauer zeigen, 6. das Radfahren als Teil des Ganzen nutzen, 7. Voneinander lernen, 8. bauen, bauen, bauen, 9. den Zugang zu Velos vereinfachen, 10. noch heute anfangen».

Für eine lebendige Stadt

Und damit der Reihe nach, denn das Buch «Velowende» ist viel mehr als eine blosse Anleitung. Die Autor:innen Patrick Rérat, Ursula Wyss, Michael Liebi und Christine Lehmann plädieren in der Einleitung für eine lebendige Stadt, um anschliessend Radumdrehung für Radumdrehung den Weg dorthin zu weisen. Sie tun das in drei Teilen mit jeweils mehreren Unterkapiteln. Vom ersten Teil, «Verstehen: Die Stadt und die Velofahrenden gefangen im System Auto» über den zweiten, «Argumentieren: Velofahren für alle» bis zum dritten, «Umsetzen: Die drei Velo-V» führen sie die Leserin auf eine spannende Tour. Sie beginnt mit der «Auto-Normativität» als «falsch verstandene Freiheit» und dem «vermeintlichen Anrecht», mit dem Auto mitten in die Stadt zu fahren. Und nein, es geht den Autor:innen weder zu Beginn des Buchs noch irgendwann später darum, jemandem etwas zu verbieten. Aber sie zeigen Zusammenhänge auf und ziehen Schlüsse daraus, zum Beispiel so: «Dem Autoverkehr mit seinem Anspruch auf Geschwindigkeit am meisten Platz auf den Strassen einzuräumen und gleichzeitig eine lebenswerte Stadt für die Menschen zu wollen ist ein Widerspruch in sich. Deshalb: Welche Stadt und Agglomeration wollen wir heute und in Zukunft sein? Wie sollen die Strassen aussehen? Welche Nutzungen wollen wir auf ihnen ermöglichen?»

«Ideologie» oder bloss Autodominanz?

Nur wenn «Auto-Normativität», wie der britische Verkehrspsychologe Ian Walker es nennt, eine der vorherrschenden sozialen Normen sei, «ist es möglich, dass Veränderungen hin zu mehr Lebensqualität als ‹Ideologie› diffamiert und die Autodominanz, wie wir sie auf den meisten Quartierstrassen antreffen, als ‹Freiheit› bezeichnet werden kann». Und ja, sogar «die von der Autolobby vorgebrachte Meinung, der Strassenverkehr decke seine direkten Kosten selbst, trifft so nur auf den kleinen Anteil des Nationalstrassennetzes zu. Dieser macht in der Schweiz gerade mal drei Prozent des gesamten Strassennetzes aus. Einen viel höheren Anteil haben die Kantons- (25 Prozent) und vor allem die Gemeindestrassen (über 70 Prozent). Letztere werden durch die Gemeinden über allgemeine Steuereinnahmen finanziert». Auch wer wissen will, warum Velofahren kein «Langsamverkehr» ist und warum Velorowdys als Feindbild dienen, wird in diesem Teil des Buches übrigens fündig, doch alles sei hier nicht verraten …

Mit Fakten gegen Mythen

Besonders viel Spass machte mir die Lektüre des Kapitels «Antworten auf Widerstand: Mit Fakten gegen Mythen». Um nur den geläufigsten zu zitieren: «Wir haben nicht genügend breite Strassen für Veloinfrastruktur.» Falsch, halten die Autor:innen fest und bringen auch Beispiele dafür, neckischerweise aus der Velostadt Amsterdam, und siehe da: Dort hatte es teils gar nicht mehr Platz als in Zürich … Aber der knappe Platz wurde anders aufgeteilt, was natürlich auch bei uns möglich wäre: Im dritten Teil zeigen etwa Visualisierungen der Velokonferenz Schweiz zweimal dieselbe Strassensituation, einmal mit parkierten Autos und «leider kein Platz fürs Velo», einmal ohne seitlich angeordnete Parkfelder, dafür – oh Wunder! –, mit ausreichend Platz für einen abgetrennten Veloweg pro Fahrtrichtung sowie für Bäume, Büsche und Veloabstellplätze. Fazit: Abgesehen von den allesamt gleich lesenswerten Kapiteln macht auch die Tatsache, wie dieses Buch das Informative und Nützliche mit überraschenden Bildern und aussagekräftigen Zitaten ‹garniert›, die Lektüre zum grossen Vergnügen. Sehr zu empfehlen!

Patrick Rérat, Ursula Wyss, Michael Liebi, Christine Lehmann: Velowende. Für eine lebendige Stadt. Rüffer & Rub 2024, 320 Seiten, 28 Franken.

«Velobahn statt Autobahn»

Wer dem Wunsch nach besseren und sichereren Bedingungen für den Veloverkehr mal wieder in aller Öffentlichkeit Nachdruck verleihen möchte, hat in diesen Tagen gleich mehrmals Gelegenheit dazu: Heute Freitagabend, 31. Mai findet die Critical Mass statt, «an der auch der international gefeierte DJ Dom Whiting mit seinem Soundmobil teilnehmen will»: Das halten Vélorution, Velo Mänsche Züri, die Grünen Stadt Zürich, umverkehR und Pro Velo Kanton Zürich in ihrer gemeinsamen Medienmitteilung vom Mittwoch fest. Sie verweisen ausserdem auf das «Wipki Velofäscht», das morgen Samstag, 1. Juni auf dem Areal des GZ Wipkingen stattfindet. Am kommenden Montag, 3. Juni, dem internationalen Tag des Fahrrads, findet zudem eine Demo für «Velobahn statt Autobahn» statt, Besammlung ist um 18.30 Uhr auf dem Marktplatz in Oerlikon. nic.